Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 20, 37; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2; KSchG § 1; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 07.10.1992; Aktenzeichen 3 (5) Sa 59/92)

KreisG Leipzig-Stadt (Urteil vom 22.05.1992; Aktenzeichen 17 Ca 193/91)

 

Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 7. Oktober 1992 – 3 (5) Sa 59/92 – wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziffern 1 und 2 des Einigungsvertrages (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 oder 2 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.

Der am 24. November 1954 geborene Kläger war nach Abschluß einer Ausbildung zum Postbetriebsfacharbeiter seit September 1973 ohne pädagogische Ausbildung als Freundschaftspionierleiter tätig. Im Jahre 1984 schloß er am Zentralinstitut der Pionierorganisation „Ernst Thälmann” für Aus- und Weiterbildung eine Ausbildung zum Freundschaftspionierleiter mit dem Fachschulabschluß ab. Dabei erwarb er die Lehrbefähigung für den Unterricht in den unteren Klassen der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule für die Fächer Deutsch und Werken. Seither war der Kläger als Freundschaftspionierleiter tätig und erteilte regelmäßig mindestens sechs Unterrichtsstunden in den Fächern Deutsch und Werken sowie gelegentlich vertretungsweise Unterricht in Mathematik. Ab März 1990 übernahm der Kläger eine volle Unterrichtstätigkeit.

Der Kläger war von 1978 bis 1989 Mitglied und amtierender Vorsitzender der FDJ-Revisionskommission Leipzig-Land.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 25. Oktober 1991 zum 31. Dezember 1991 unter Hinweis auf die Ausbildung des Klägers als Freundschaftspionierleiter und die fehlende Befähigung für die Fächerkombination Mathematik und Deutsch.

Mit der beim Kreisgericht am 29. Oktober 1991 eingegangenen Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Aufgrund seiner Ausbildung und des über mehrere Jahre ohne Beanstandung erteilten Unterrichts sei er für eine Tätigkeit als Lehrer in den unteren Klassen qualifiziert.

Der Kläger hat beantragt

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 25. Oktober 1991 nicht zum 31. Dezember 1991 beendet wird, sondern unverändert fortbesteht.
  2. im Falle des Obsiegens zu 1. den Beklagten zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat geltend gemacht, es liege der Kündigungsgrund einer mangelnden fachlichen Qualifikation gemäß Einigungsvertrag vor. Der Abschluß als Freundschaftspionierleiter entspreche nicht den Anforderungen, die nunmehr an einen Unterstufenlehrer bzw. Grundschullehrer gestellt würden. Hierzu gehörten eine methodische Ausbildung in beiden Hauptfächern Mathematik und Deutsch. Zudem fehle es dem Kläger an der persönlichen Eignung. Der Kläger biete keine Gewähr dafür, als Lehrer Schüler im Sinne einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung erziehen und unterrichten zu können. Der Kläger sei als Funktionär der FDJ und politischer Leiter der Pionierfreundschaft im außerschulischen Bereich zur politischen Betreuung der Schüler zuständig gewesen.

Zudem sei die Kündigung wegen mangelnden Bedarfs gerechtfertigt, denn es gebe genügend voll ausgebildete Deutschlehrer, die in der Lage seien, mehrere Fächer der Stundentafel qualifiziert abzudecken.

Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht erkannt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 25. Oktober 1991 nicht zum 31. Dezember 1991 aufgelöst worden ist.

I. Der Kläger hat in der Revisionsverhandlung klargestellt, daß der Feststellungsantrag allein den punktuellen Streitgegenstand der §§ 4, 7 KSchG umfaßt. Auf das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO für einen weitergehenden Antrag kommt es daher nicht an.

II. Nach Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag (EV) gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I vereinbarten Regelungen. Der Kläger war zum Zeitpunkt des Beitritts Angehöriger des öffentlichen Dienstes. Er unterrichtete an einer allgemeinbildenden Schule.

III. Die Kündigung ist nicht wegen mangelnder fachlicher Qualifikation des Klägers gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV wirksam.

Der Senat hat mit Urteil vom 25. Februar 1993 (– 8 AZR 246/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen) über eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung in dem vergleichbaren Fall eines Freundschaftspionierleiters mit der Lehrbefähigung für Deutsch und Musik entschieden. Der vorliegende Rechtsstreit gibt keine Veranlassung, von diesem Urteil abzuweichen. Soweit die Kündigung mit mangelnder fachlicher Qualifikation des Klägers begründet wird, ist demnach von folgenden Grundsätzen auszugehen:

1. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher Qualifikation den Anforderungen nicht entspricht.

Der Arbeitgeber kann unter sachlichen Gesichtspunkten die Qualifikationsvoraussetzungen festlegen, indem er die Anforderungsprofile bestimmt, die er mit einem Arbeitsplatz verbindet. Eine Kündigung ist dann möglich, wenn unter Berücksichtigung der festgelegten Qualifikationsmerkmale eine Beschäftigung für den Arbeitnehmer, der diesen Anforderungen nicht genügt, nicht mehr vorhanden ist. Genau wie der Unternehmer durch freie Unternehmerentscheidung kann auch das Land in seinem Zuständigkeitsbereich die Qualifikationen festlegen, die es zur Ausfüllung des Arbeitsplatzes für erforderlich hält.

Abs. 4 Ziff. 1 EV wird ergänzt durch Art. 37 EV. Nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV gelten in der Deutschen Demokratischen Republik erworbene oder staatlich anerkannte schulische, berufliche und akademische Abschlüsse oder Befähigungsnachweise in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) weiter. Die Regelung in Art. 37 Abs. 1 Satz 2 und 3 EV, wonach im Beitrittsgebiet oder in den anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) abgelegte Prüfungen oder erworbene Befähigungsnachweise einander gleichstehen und die gleichen Berechtigungen verleihen, wenn sie gleichwertig sind, erfaßt den Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits nicht; denn es ist nicht darüber zu entscheiden, ob der Kläger im alten Bundesgebiet unterrichten könnte. Somit hat der Arbeitgeber bei Festlegung der Qualifikationsmerkmale die Regelung in Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV zu beachten, der die Zielsetzung zugrunde liegt, beruflich tätigen Arbeitnehmern jedenfalls im Beitrittsgebiet ihre Qualifikationen nicht abzuerkennen, die sie zur bisherigen Berufsausübung in der ehemaligen DDR befähigten.

2. Der Kläger hat Befähigungen in zwei Fächern erlangt, die dem Beruf eines Lehrers zuzuordnen sind und Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV unterfallen.

Der Kläger wurde am Zentralinstitut für Aus- und Weiterbildung in Droyßig ausgebildet. Er erhielt die Befähigung zur Arbeit als Freundschaftspionierleiter sowie die Lehrbefähigung für die Unterrichtsfächer Deutsch und Werken. Auch das Abschlußzeugnis des Klägers weist ausdrücklich zwei „Befähigungen” aus. Entsprechend der Richtlinie zur Auswahl, zur Delegierung, zum Einsatz und zur Tätigkeit der hauptberuflich tätigen Freundschaftspionierleiter vom 5. April 1976 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung Nr. 5/1976, S. 23) erteilte der Kläger regelmäßig mindestens sechs Wochenstunden Unterricht in den Fächern Deutsch und Werken sowie gelegentlich vertretungsweise Unterricht in Mathematik. Nach der Richtlinie zur Tätigkeit der hauptamtlichen Freundschaftspionierleiter (Arbeitsrichtlinie) und Regelungen für die Leitungen der FDJ zur Auswahl, zur Delegierung und zum Einsatz der Freundschaftspionierleiter vom 17. April 1984 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung Nr. 6/1984, S. 77) war weiter bestimmt, der Freundschaftspionierleiter werde nach langjähriger und erfolgreicher Tätigkeit vorrangig in Leitungen des Jugendverbandes für leitende Tätigkeit im Bereich der Volksbildung, als Lehrer (im Original nicht unterstrichen) oder Erzieher bzw. in außerschulischen Einrichtungen eingesetzt. Somit war mit der Ausbildung zum Freundschaftspionierleiter in der ehemaligen DDR die Befähigung zu einer Tätigkeit als Lehrer verbunden. Da der Kläger langjährig auch als Lehrer eingesetzt war, besteht eine anzuerkennende fachliche Qualifikation als Lehrer mit zwei Fächern.

3. Die auf Lehrbefähigung und praktischer Tätigkeit beruhende Qualifikation des Klägers für den Unterricht genügt für einen Einsatz als Lehrer. Der Streitfall erfordert keine Stellungnahme zu der Frage, in welcher Form der öffentliche Arbeitgeber Qualifikationsvoraussetzungen festlegen kann, insbesondere, ob es einer Regelung durch Gesetz oder Rechtsverordnung bedarf. Auch wenn man die formlose Festlegung von Qualifikationsvoraussetzungen genügen läßt, muß sich diese im Rahmen von Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV halten. Die Forderung, als Grundschullehrer seien nur solche Lehrkräfte fachlich qualifiziert, die an Grundschulen in beiden Hauptfächern und zusätzlich in einem Wahlfach unterrichten könnten, läßt sich mit Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV nicht vereinbaren.

IV. Die Kündigung ist nicht wegen mangelnder Eignung des Klägers im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV wirksam.

1. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, soweit der Beklagte die Kündigung auf mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV stütze, genüge sein Vortrag den zu stellenden Anforderungen nicht. Ein Verhalten des Lehrers in der Vergangenheit könne zwar geeignet sein, Zweifel zu begründen, ob der Lehrer zukünftig die genannten Anforderungen erfüllen werde. Hierbei sei aber zu berücksichtigen, daß sich jeder Lehrer in der DDR am Programm der SED zu orientieren hatte und die ihm anvertrauten Schüler zu guten Staatsbürgern, zu Patrioten ihres sozialistischen Vaterlandes und zu proletarischen Internationalisten zu erziehen angehalten gewesen sei. Der Einigungsvertrag traue den Lehrern der ehemaligen DDR im allgemeinen die Bewältigung des notwendigen Umlernprozesses zu. Die Erziehungsaufgabe der Freundschaftspionierleiter sei nicht wesentlich über diejenige der Lehrer hinausgegangen. Der Beklagte habe nicht dargetan, daß sich der Kläger bei der von ihm geforderten einseitigen politischen Unterweisung der Schüler besonders hervorgetan habe. Die frühere Tätigkeit des Klägers in der Revisionskommission Leipzig-Land der FDJ sei unerheblich, weil deren Verantwortlichkeit auf die Überwachung des organisatorischen und technischen Ablaufs der Arbeit sowie vor allem der finanziellen Vorgänge beschränkt gewesen sei.

2. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht.

Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volks Souveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2. 1 – Leitsatz 2 –).

Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – zur Veröffentlichung bestimmt, unter B III 1, 2 der Gründe).

Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Deshalb zwingt die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers zunächst zu erproben (BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O.). Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a, aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – zur Veröffentlichung bestimmt. zu III der Gründe; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG. betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG. betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe), denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen. Darum geht es im Streitfalle jedoch nicht.

Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften.

b) Soweit das beklagte Land die mangelnde Eignung des Klägers aus seiner Tätigkeit als Freundschaftspionierleiter herleitet, rechtfertigt dies allein die ausgesprochene Kündigung nicht. Der Freundschaftspionierleiter war zwar als hauptberuflicher Funktionär des sozialistischen Jugendverbandes und Pädagoge politischer Leiter der Pionierfreundschaft. Von ihm wurden „ein klarer Klassenstandpunkt und eine sozialistische Moral” verlangt (vgl. die Ausführungen unter „Berufsbild des Freundschaftspionierleiters” vor Nr. 1 der Richtlinie zur Auswahl, zur Delegierung, zum Einsatz und zur Tätigkeit der hauptberuflich tätigen Freundschaftspionierleiter vom 5. April 1976, a.a.O.). Doch kam dem Freundschaftspionierleiter damit noch keine hervorgehobene Funktion zu. Die Wahrnehmung dieses Amtes begründet für sich genommen noch keine die Eignung als Lehrer ausschließenden Zweifel. Sie ist aber Grund, die persönliche Eignung des Lehrers kritisch zu prüfen. Um anzunehmen, ein Freundschaftspionierleiter habe sich in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert, bedarf es daher zusätzlicher Umstände. Es ist Sache des öffentlichen Arbeitgebers, solche Umstände, etwa zum Werdegang oder zur Tätigkeit des Freundschaftspionierleiters, im Einzelfall vorzutragen. Daß die Nichteignung des Klägers aus der individuellen Amtsführung als FDJ-Funktionär folge, hat das beklagte Land nicht behauptet, Ebensowenig hat der Beklagte die mangelnde Eignung des Klägers durch den Hinweis auf die Tätigkeit des Klägers in der FDJ-Revisionskommission Leipzig-Land substantiiert dargelegt. Daß dieses PDJ-Amt eine besondere politische Indoktrination erforderte, ist kein von Amts wegen zu berücksichtigender Umstand und hätte deshalb im einzelnen begründet werden müssen. Folglich ist die Würdigung des Berufungsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

V. Die Kündigung ist auch nicht gemäß Abs. 4 Ziff. 2 EV wirksam. Danach ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist. Dieser Kündigungsgrund setzt einen Überhang an Arbeitskräften voraus, infolgedessen der Arbeitsbereich des zu kündigenden Arbeitnehmers entfallen ist (BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 331/92 – zur Veröffentlichung bestimmt, unter II 3 der Gründe, mit weiteren Nachweisen).

Diese Voraussetzungen hat der Beklagte nicht dargelegt. Der Beklagte hat weder vorgetragen, wieviele ausgebildete Grundschullehrer zur Verfügung stehen, noch, wieviele Grundschullehrer nach der Schulplanung benötigt werden. Der bloße Vortrag, es stünden „genügend” ausgebildete Grundschullehrer zur Verfügung, erfüllt nicht die Anforderungen an die schlüssige Darlegung eines mangelnden Bedarfs. Das Wort „genügend” enthält eine Wertung, die ohne konkrete Tatsachen nicht nachvollzogen werden kann. Daher kommt es auch im vorliegenden Zusammenhang nicht darauf an, ob die Kündigung wegen mangelnden Bedarfs gegenüber Lehrern mit der Lehrbefähigung in Deutsch und einem Wahlfach immer schon dann gerechtfertigt ist, wenn der Unterrichtsbedarf mit solchen Lehrern abgedeckt werden kann, die zusätzlich die Lehrbefähigung im Fach Mathematik besitzen. Wird ein Überhang an Lehrern insgesamt konkret dargelegt, so kann bei Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung nach Abs. 4 EV die mindere Lehrbefähigung jedenfalls mitberücksichtigt werden. Der Beklagte hat ferner nicht schlüssig vorgetragen, daß der Einsatz eines Lehrers in der Grundschule ohne die Lehrbefähigung im Fach Mathematik nicht möglich sei. Dazu hätte es der näheren Darstellung des abzudeckenden Unterrichtsbedarfs und der vorhandenen Lehrkräfte einschließlich ihrer Lehrbefähigung bedurft.

VI. Das beklagte Land hat keine weiteren Kündigungsgründe geltend gemacht, die eine soziale Rechtfertigung der Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG ergeben könnten, so daß die Kündigung rechtsunwirksam ist (§ 1 Abs. 1 KSchG).

VII. Über die Berechtigung des Anspruchs auf vorläufige Weiterbeschäftigung ist nicht mehr zu befinden, denn mit der Verkündung des Urteils steht die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung rechtskräftig fest.

VIII. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Schallmeyer, Dr. Rödder

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1079683

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