Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergütung von Reisezeiten

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Vergütung nach Nr 16 Abs 1f Satz 2 der SR 2a zum MTB 2 ist Arbeitsentgelt im Sinne von § 46 Abs 2 BPersVG.

 

Normenkette

MTB 2 Anl SR; BPersVG § 46 Abs. 2; MTB Anlage 2 a Nr. 16 Abs. 1 f S. 2; MTB 2 Anlage 2 a Nr. 16 Abs. 1 f.

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 06.10.1982; Aktenzeichen 3 Sa 793/82)

ArbG Detmold (Entscheidung vom 28.04.1982; Aktenzeichen 1 Ca 155/82)

 

Tatbestand

Der Kläger arbeitet bei der Standortverwaltung in A als Vorarbeiter im Gerätelager. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft Organisationszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für die Arbeiter des Bundes (MTB II) Anwendung.

Im Rahmen seiner Tätigkeit fuhr der Kläger in unregelmäßigen Abständen, durchschnittlich etwa zwei- bis dreimal wöchentlich, als Begleiter eines Bundeswehr-Lkw's zum Depot in H. Soweit die Fahrzeit innerhalb seiner Arbeitszeit lag, erhielt der Kläger den vereinbarten Lohn. Überschritt die Reisezeit die Arbeitszeit, erhielt er für den überschießenden Teil der Reisezeit eine Vergütung nach Nr. 16 Abs. 1 f der Sonderregelungen für die Arbeiter im Bereich des Bundesministers der Verteidigung (SR 2 a MTB II). Im Durchschnitt betrug diese Vergütung 23,84 DM monatlich. Daneben zahlte die Beklagte die Ausbleibezulage nach Nr. 16 Abs. 1 a SR 2 a MTB II.

Im Mai 1979 wurde der Kläger zum Vorsitzenden des bei der Standortverwaltung bestehenden Personalrats gewählt und für dieses Amt zu zwei Drittel von seiner dienstlichen Tätigkeit freigestellt. Da das verbleibende Drittel Arbeitszeit zur Wahrnehmung der bisherigen Aufgaben nicht mehr ausreicht, wird der Kläger seitdem nur noch mit der Wartung von Selbstschutzgeräten beschäftigt. Durch diese Aufgabenänderung entfallen Fahrten zum Depot.

Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte habe ihm die Reisezeitvergütung für den Zeitraum von 1979 bis einschließlich Februar 1982 im Gesamtbetrag von 810,56 DM brutto (34 Monate x 23,84 DM/Monat) nachzuzahlen; denn es handele sich dabei um Arbeitsentgelt gemäß § 46 Abs. 2 BPersVG.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger

810,56 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem

1. März 1982 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, die Vergütung für die die Arbeitszeit überschreitende Reisezeit stelle eine Entschädigung für erhöhten Aufwand dar, welche nicht unter das Verbot der Lohnminderung nach § 46 Abs. 2 BPersVG falle.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen und die Revision zugelassen.

Entgegen den Angaben in der beigefügten Ausfertigung des angefochtenen Urteils waren in der Revisionsschrift der vom Kläger eingelegten Revision als Prozeßbevollmächtigte zweiter Instanz der beklagten und revisionsbeklagten Bundesrepublik nicht Rechtsanwalt H, sondern die Gewerkschaftssekretäre W und G, ÖTV, angeführt. Nach erfolgter Klarstellung wurde die zunächst an die Gewerkschaftssekretäre W und G zugestellte Revisionsschrift am 27. November 1982 ordnungsgemäß an Rechtsanwalt H zugestellt.

Der Kläger begehrt mit der Revision, das Urteil des Arbeitsgerichts wiederherzustellen. Die Beklagte begehrt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist zulässig. Nachdem der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts durch Beschluß vom 16. September 1986 - GS 4/85 - (zur Veröffentlichung bestimmt) beschlossen hat, daß im arbeitsgerichtlichen Verfahren eine Rechtsmittelschrift auch dann ordnungsgemäß ist, wenn sie nicht die ladungsfähige Anschrift des Rechtsmittelbeklagten oder seines Prozeßbevollmächtigten enthält, bestehen gegen die Zulässigkeit der Revision keine Bedenken.

II. Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorinstanz und Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe gem. § 46 Abs. 2 BPersVG i.Verb.m. Nr. 16 Abs. 1 f SR 2 a MTB II der Klageanspruch nicht zu, weil es sich bei der Vergütung für den überschießenden Teil der Reisezeit um einen Aufwendungsersatz und nicht um Arbeitsentgelt handele.

Die Vorschrift der Nr. 16 Abs. 1 f SR 2 a MTB II gewähre in Satz 2 dem Berechtigten für den überschreitenden Teil der Reisezeit 2/3 der vollen Arbeitsvergütung. In Satz 5 der Vorschrift sei bestimmt, daß Zeitzuschläge aber nur für die tatsächliche Arbeitszeit gezahlt werden. Daraus folge, daß die Tarifvertragsparteien den über die Arbeitszeit hinausgehenden Teil der Reisezeit nicht als Arbeitszeit ansehen, denn sonst hätten sie nicht hinsichtlich der Zuschläge von § 39 MTB II abweichen können.

2. Diese Auffassung des Landesarbeitsgerichts hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Mit seiner Freistellung hat der Kläger gegen die Beklagte Anspruch darauf, daß ihm sein bisheriges Entgelt auch während seiner Amtszeit als Personalratsmitglied weitergezahlt wird (§ 46 Abs. 2 Satz 1 BPersVG). Durch diese Regelung wird für Personalratsmitglieder ebenso wie durch § 37 Abs. 2 BetrVG für Mitgliedes des Betriebsrats kein eigenständiger Lohnanspruch begründet, sondern es bleiben die dem Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber zustehenden Ansprüche erhalten. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das dem Arbeitnehmer aufgrund seines Arbeitsverhältnisses geschuldete Arbeitsentgelt trotz Nichterbringung der Arbeitsleistung für die Dauer der Personalratstätigkeit weiterzuzahlen. Auszugehen ist dabei von dem Entgelt, welches das Personalratsmitglied vor Beginn seiner Freistellung erhalten hat (BAG Urteil vom 7. Februar 1985 - 6 AZR 72/82 - BAGE 48, 76 = AP Nr. 3 zu § 46 BPersVG, m.w.N.).

b) Der Kläger hat für den überschießenden Teil der Reisezeit eine "Vergütung" gem. Nr. 16 Abs. 1 f SR 2 a MTB II erhalten. Gleichwohl ist unklar, ob es sich insoweit um Arbeitsentgelt oder um eine Entschädigung (so Scheuring/Steingen, MTB II, Stand Dezember 1986, Nr. 16 SR 2 a Rz 8; Fürst, GKÖD, Bd. IV, Stand März 1987, W § 39 Rz 6) handelt. Bei der Auslegung dieser Tarifnorm ist entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zunächst von dem Wortlaut auszugehen. Dabei ist jedoch über den reinen Wortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in der tariflichen Norm ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mitberücksichtigt werden muß, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und so nur bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann (vgl. BAG Urteil vom 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Tarifauslegung = EzA § 1 TVG Auslegung Nr. 14).

c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts stellt die Vergütung nach Nr. 16 Abs. 1 f Satz 2 SR 2 a MTB II keinen Aufwendungsersatz, sondern Arbeitsentgelt dar. Nr. 16 SR 2 a MTB II lautet auszugsweise wie folgt:

"Für nachstehende Fälle treten bei der Verwendung

im Inland an die Stelle der §§ 38 und 39 folgende

Regelungen:

...

Abs. 1 f)

Soweit an einem Tage Reisezeit allein oder Reisezeit

und Arbeitszeit zusammen die regelmäßige Arbeitszeit

nicht überschreiten, wird die Reisezeit voll vergütet.

Darüber hinaus wird der überschießende Teil der

Reisezeit mit zwei Dritteln vergütet. In jedem Falle

ist jedoch mindestens der für die regelmäßige Arbeits-

zeit zustehende Lohn zu zahlen. Als Reisezeit gilt

diejenige Zeit, die der Arbeiter für den Weg zum aus-

wärtigen Beschäftigungsort und von dort zur Arbeits-

stelle und in gleicher Weise wieder zurück aufzuwen-

den hat. Zeitzuschläge (§ 27) werden nur für die tat-

sächliche Arbeitszeit gezahlt."

Der Wortlaut dieser Bestimmung spricht für das Vorliegen eines Arbeitsentgeltes, weil der überschießende Teil der Reisezeit mit 2/3 v e r g ü t e t wird. Den gleichen Wortlaut hat auch Satz 1 dieser Bestimmung, wonach die Reisezeit voll vergütet wird. Wenn es in Satz 3 dann weiter heißt, daß in jedem Falle jedoch mindestens der für die regelmäßige Arbeitszeit zustehende Lohn zu zahlen ist, so bedeutet dies, daß die in der Gesamtregelung von Nr. 16 Abs. 1 f SR 2 a MTB II geregelte Vergütung ein über den Mindestlohn hinaus gehender Lohnbestandteil sein soll.

d) Zu Unrecht folgert das Landesarbeitsgericht aus dem Wortlaut der Sätze 2 und 5, wonach keine Zeitzuschläge für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehende Reisezeit gezahlt werden, daß die Tarifvertragsparteien die über die Arbeitszeit hinausgehende Reisezeit nicht als Arbeitszeit ansehen, weil sie sonst nicht hinsichtlich der Zuschläge von § 39 MTB II hätten abweichen können. Zutreffend unterscheidet der Tarifvertrag allerdings zwischen Arbeitszeit und Reisezeit. Vergütungsrechtlich wird die Reisezeit jedoch wie Arbeitszeit behandelt, soweit die regelmäßige Arbeitszeit nicht überschritten wird. Für den überschießenden Teil der Reisezeit ist eine mindere Vergütung vorgesehen. Daraus läßt sich aber nicht herleiten, daß es sich bei dieser Vergütung um einen Aufwendungsersatz handelt. Vielmehr ergibt sich daraus nur, daß nach dem Willen der Tarifvertragsparteien die über die tägliche regelmäßige Arbeitszeit hinausgehenden Reisezeiten geringer und ohne Zeitaufschläge vergütet werden sollen. Nicht der mit der Reisezeit verbundene Aufwand soll nach der tarifvertraglichen Regelung entschädigt werden, sondern die Wegezeit, d.h. die Zeit, die der Arbeitnehmer, bedingt durch die Dienstreise, über die reguläre Arbeitszeit hinaus aufwendet. Eine Vergütung in unterschiedlicher Höhe für Zeiten, in denen der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber tätig wird, ohne daß Arbeitszeit im engeren Sinne vorliegt, ist namentlich im öffentlichen Dienst nicht ungewöhnlich, wie die tarifvertragliche Regelung über die Vergütung von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft zeigt (vgl. § 15 BAT und z.B. die SR 2 a, 2 c und 2 e III zum BAT).

e) Dieser Sinn und Zweck der Tarifnorm wird auch durch den tariflichen Gesamtzusammenhang bestätigt. Wie sich aus dem Einleitungssatz zu Nr. 16 SR 2 a MTB II ergibt, werden die Regelungen der §§ 38, 39 MTB II, soweit sie den Lohn und besondere Entschädigung bei Dienstreisen betreffen, durch die Regelung der Nr. 16 Abs. 1 f SR 2 a MTB II ersetzt. Unzutreffend ist auch die Auffassung der Revisionsbeklagten, diese Sonderregelung sei vom Wortlaut her mit § 38 Abs. 1 MTB II gleichzusetzen, weil dort auch der Begriff Vergütung verwendet wird. Denn es wird übersehen, daß § 38 Abs. 1 MTB II die Reise k o s t e n vergütung, Nr. 16 Abs. 1 f SR 2 a MTB II aber die Reise z e i t vergütung regelt. Da Regelung nach Nr. 16 Abs. 1 f SR 2 a MTB II kommt insoweit im Sinne von Arbeitsentgelt eine eigenständige Bedeutung zu, was nicht zuletzt auch dadurch bestätigt wird, daß in Nr. 16 Abs. 1 a die Ausbleibezulage ausdrücklich als Aufwandsentschädigung bezeichnet wird. Eine entsprechende Bezeichnung fehlt für die Vergütung des überschießenden Teils der Reisezeit. Die Tarifvertragsparteien sind ersichtlich insoweit nicht von einer Aufwandsentschädigung ausgegangen. Darüber hinaus sind aber keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Vergütung bei überschießender Reisezeit als Aufwandsentschädigung zu betrachten ist.

III. Nach allem handelt es sich bei der Vergütung nach Nr. 16 Abs. 1 f Satz 2 SR 2 a MTB II um einen Teil des Lohnes, der dem Arbeitnehmer wegen der besonderen Belastung, die mit der über die reguläre Arbeitszeit hinausgehenden Reisezeit verbunden ist, zusätzlich gewährt wird. Auch dieser Teil des Lohnes darf durch die Freistellung gem. § 46 Abs. 2 BPersVG nicht gemindert werden. Es war daher, wie geschehen, mit der Kostenfolge aus den §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO zu entscheiden.

Dr. Röhsler Dr. Jobs Schneider

Dr. Kukies Buschmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 440863

BAGE 55, 185-190 (LT1)

BAGE, 185

NZA 1987, 705-706 (LT)

RdA 1987, 315

AP § 46 BPersVG (LT1), Nr 10

AR-Blattei, Personalvertretung VII Entsch 13 (LT1)

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