Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindung an Verweisungsbeschluß

 

Leitsatz (amtlich)

Beschlüsse, durch die der Rechtsstreit wegen örtlicher Unzuständigkeit weiterverwiesen wird, sind ausnahmsweise dann nicht bindend, wenn sich das verweisende Gericht über die Zuordnung des von ihm für maßgeblich gehaltenen Ortes (Wohnsitz, Sitz, Erfüllungsort, Begehungsort usw.) zu dem Bezirk des Gerichts, an das verwiesen worden ist, offensichtlich geirrt hat.

 

Normenkette

ZPO § 36 Nr. 6; ArbGG § 48 Abs. 1 n.F.; GVG § 17a Abs. 2 n.F.

 

Verfahrensgang

ArbG Weiden (Beschluss vom 27.10.1993; Aktenzeichen 2 Ca 1009/93 A)

 

Tenor

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Weiden, Kammer Schwandorf, Gerichtstag Amberg bestimmt.

 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten um Schadenersatzansprüche aus beendetem Arbeitsverhältnis. Der Beklagte, wohnhaft im Bezirk des Arbeitsgerichts Weiden, Kammer Schwandorf, Gerichtstag Amberg, war bei der Klägerin, die ihren Sitz im Bereich des Arbeitsgerichts Nürnberg hat, als Bauleiter beschäftigt. Er war an verschiedenen Orten eingesetzt, arbeitete aber zu etwa 40 % seiner Arbeitszeit im Büro der Klägerin. Die Klägerin macht Schadenersatzansprüche wegen vertragswidrigen Verhaltens des Beklagten auf einer Baustelle in S… geltend.

Die Klägerin hat Klage vor dem Arbeitsgericht Nürnberg erhoben, und zwar mit der Begründung, Erfüllungsort sei ihr Firmensitz (§ 29 ZPO). Das Arbeitsgericht Nürnberg hat sich durch Kammerbeschluß vom 22. Juni 1993 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Regensburg verwiesen. Es hat ausgeführt, § 29 Abs. 1 ZPO finde keine Anwendung, da der im Arbeitsgerichtsbezirk Regensburg wohnhafte Beklagte an verschiedenen Orten tätig gewesen sei.

Das Arbeitsgericht Regensburg hat sich durch Kammerbeschluß vom 23. Juli 1993 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Weiden verwiesen, und zwar unter Hinweis darauf, daß dieses das für den Wohnsitz des Beklagten zuständige Arbeitsgericht sei.

Das Arbeitsgericht Weiden, Kammer Schwandorf, Gerichtstag Amberg, hat durch Beschluß des Vorsitzenden vom 27. Oktober 1993 die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und ihn dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 ZPO vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe bindend den Gerichtsstand des Erfüllungsortes gewählt; das sei Nürnberg. Das Arbeitsgericht Nürnberg habe auch keinen anderen Erfüllungsort für die streitige Verpflichtung festgestellt.

 

Entscheidungsgründe

II. Örtlich zuständig ist das Arbeitsgericht Weiden, Kammer Schwandorf, Gerichtstag Amberg. Der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Nürnberg bindet das Arbeitsgericht Regensburg nicht. Dessen Verweisungsbeschluß bindet aber das Arbeitsgericht Weiden.

1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahren nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Die Arbeitsgerichte Nürnberg, Regensburg und Weiden (Kammer Schwandorf, Gerichtstag Amberg) haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt, erstere durch formell unanfechtbare Beschlüsse vom 22. Juni und 23. Juli 1993, letzteres durch den seine Zuständigkeit abschließenden verneinenden Beschluß vom 27. Oktober 1993, der als im Sinne des § 36 ZPO rechtskräftige (Rück)Verweisung anzusehen ist (BGHZ 102, 338, 340 = NJW 1988, 1794, 1795).

2.a) Rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO). Nur so kann der Zweck des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Das bedeutet: Es ist das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, dieser ist ausnahmsweise nicht bindend. In diesen Fällen ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den zweiten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, (auch) dieser ist ausnahmsweise nicht bindend.

Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe; zum neuen Recht Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – EzA § 17a GVG Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; Zöller/Vollkommer, ZPO, 18. Aufl., § 36 Rz 25, 28; einschränkend zum neuen Recht Zöller/Gummer, aaO, GVG § 17a Rz 13). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 –, aaO, zu II 3a der Gründe; BGHZ 71, 69, 72f. = NJW 1978, 1163, 1164). Er ist ferner dann offensichtlich gesetzwidrig, wenn das Erstgericht, das an das für den Wohnsitz des Beklagten zuständige Gericht verweisen will, an ein anderes Gericht verweist, von dem es irrtümlich annimmt, der Wohnsitz des Beklagten liege in seinem Bezirk. Allein dadurch, daß das verweisende Gericht das für den Wohnsitz des Beklagten zuständige Gericht offensichtlich falsch bestimmt, wird die Zuständigkeit dieses Gerichts nicht begründet. Dies kann vielmehr den Rechtsstreit weiterverweisen.

b) Um einen solchen Fall handelt es sich hier. Der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Nürnberg ist schon deshalb nicht bindend, weil es irrtümlich der Auffassung war, der Wohnsitz des Beklagten liege im Bezirk des Arbeitsgerichts Regensburg. Auf die Frage, ob die Erwägungen des Arbeitsgerichts Nürnberg zu § 29 ZPO zutreffen, wogegen manches spricht, und ob sich auch daraus die Unverbindlichkeit des Verweisungsbeschlusses ergäbe, kommt es daher nicht mehr an.

Es war daher das Arbeitsgericht Weiden, Kammer Schwandorf, Gerichtstag Amberg, als zuständig zu bestimmen, da die Sache durch den zweiten Verweisungsbeschluß an dieses Gericht gelangt war. Der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Regensburg ist bindend. Dieses hat den Rechtsstreit nicht zurückverwiesen, sondern weiterverwiesen. Es hat sich damit zwar über die von der Klägerin durch die Klageerhebung getroffene Wahl des Gerichtsstandes des Erfüllungsorts hinweggesetzt, sondern an das Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes (§ 13 ZPO) verwiesen. Selbst wenn die besseren Gründe für eine Rückverweisung sprechen würden, so kann doch von einer offensichtlich gesetzwidrigen Verweisung nicht die Rede sein.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke

 

Fundstellen

Haufe-Index 856660

BB 1994, 652

BB 1995, 627

JR 1995, 220

NZA 1994, 959

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