Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Altersfreizeit für Teilzeitarbeitnehmer

 

Normenkette

BeschFG 1985 § 2 Abs. 1; Manteltarifvertrag für die chemische Industrie vom 24. Juni 1992 § 2a

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 04.02.1994; Aktenzeichen 3 Sa 37/92)

ArbG Hamburg (Urteil vom 20.02.1992; Aktenzeichen 4 Ca 408/91)

 

Tenor

1. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.

2. Der Streitwert für den Revisionsrechtszug beträgt 7.932,00 DM.

 

Tatbestand

I. Die Parteien haben darüber gestritten, ob die teilzeitbeschäftigte Klägerin Anspruch auf anteilige Gewährung einer tariflichen Altersfreizeit hat.

Die am 12. Juli 1934 geborene Klägerin war seit 15. Februar 1982 bei der Beklagten als Telefonistin und Fernschreiberin teilzeitbeschäftigt. Sie ist dort im Laufe des Revisionsverfahrens, nämlich am 31. Mai 1995, ausgeschieden. Die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin betrug zunächst 20 Stunden, seit 1. August 1988 betrug sie 22,5 Stunden. Die Klägerin war jeweils von Montag bis Freitag von 9.00 Uhr bis 13.30 Uhr tätig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien unterlag den Tarifverträgen für Angestellte der chemischen Industrie. Nach dem Manteltarifvertrag vom 18. Juli 1987 in der Fassung vom 1. Juli 1990 betrug die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 39 Stunden. In § 2 a MTV hatten die Tarifvertragsparteien Altersfreizeiten für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer vereinbart. Darin heißt es auszugsweise:

  1. „Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr vollendet haben, erhalten mit Wirkung ab 1. Juli 1990 je eine vierstündige Altersfreizeit pro Woche.

    Diese Regelungen gelten nicht für Teilzeitbeschäftigte und Arbeitnehmer, die Kurzarbeit leisten.

  2. Die Lage der Altersfreizeit kann zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unter Beachtung des § 76 Abs. 6 Betriebsverfassungsgesetz vereinbart werden. Vorrangig sollen Altersfreizeiten am Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag gewährt werden.

    Ist aus Gründen des Arbeitsablaufs eine Zusammenfassung der Altersfreizeiten zu einem freien Tag von acht Stunden erforderlich, so können sich die Betriebsparteien hierauf einigen; in diesem Fall verdoppelt sich der in Ziffer 1 genannte Turnus.

    Einigen sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht, so fallen die Altersfreizeiten auf den Mittwochnachmittag.

  3. …”

Ab 1. April 1993 betrug die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit an Werktagen 37,5 Stunden. Die Regelung über die Altersfreizeiten (§ 2 a MTV) wurde in ihrem Abs. 1 wie folgt neu gefaßt:

„1. Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr vollendet haben, erhalten eine zweieinhalbstündige Altersfreizeit je Woche.

Soweit für Arbeitnehmer aufgrund einer Regelung nach § 2 I Ziffer 3 oder einer Einzelvereinbarung oder aufgrund von Kurzarbeit eine um bis zu zweieinhalb Stunden kürzere wöchentliche Arbeitszeit als die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit gilt, vermindert sich die Altersfreizeit entsprechend. Liegt die Arbeitszeit um zweieinhalb Stunden oder mehr unter der tariflichen Arbeitszeit, entfällt die Altersfreizeit.”

Die Klägerin ist der Ansicht, ihr habe seit Vollendung ihres 57. Lebensjahres am 12. Juli 1991 entsprechend ihrer anteiligen Arbeitszeit eine Altersfreizeit von 2 Stunden und 34 Minuten wöchentlich zugestanden. Der tarifvertragliche Ausschluß teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer von der Gewährung der Altersfreizeiten sei rechtswidrig. Für die Zeit vom 12. Juli 1991 bis 4. November 1991 seien ihr Altersfreizeiten im Umfang von 43 Stunden und 36 Minuten nachzugewähren.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. festzustellen, daß der Klägerin seit dem 12. Juli 1991 eine Altersfreizeit von zwei Stunden 34 Minuten wöchentlich zusteht,
  2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 43 Stunden 36 Minuten Altersfreizeiten nachzugewähren.

Die Beklagte hat die Klageabweisung beantragt und entgegnet, im Tarifvertrag seien Teilzeitbeschäftigte von der Teilnahme an den Altersfreizeiten rechtswirksam ausgeschlossen. Vollzeit- und Teilzeitkräfte würden insoweit nicht ungleich behandelt; falls doch, sei dies aber sachlich gerechtfertigt. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus der gemeinsamen Tarifinterpretation der Tarifvertragsparteien über den Anlaß und den Zweck der Vereinbarungen über Altersfreizeiten. Den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern soll ermöglicht werden, die mit zunehmendem Lebensalter wachsende Belastung zu mildern; sie sollten einmal in der Woche „durchatmen”.

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben, nämlich hinsichtlich des Feststellungsantrags im Umfang von 2 Stunden und 19 Minuten, hinsichtlich des Leistungsantrags im Umfang von 27 Stunden und 43 Minuten. Dagegen hat nur die Beklagte Berufung eingelegt. Sie blieb erfolglos. Mit ihrer Revision hat die Beklagte ihr Ziel weiterhin verfolgt, die Klage insgesamt abweisen zu lassen. Im Laufe des Revisionsverfahrens ist die Klägerin bei der Beklagten aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Die Parteien haben daraufhin den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt; zugleich haben sie sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II. Gemäß § 91 a ZPO ist bei übereinstimmender Erledigungserklärung über die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Soweit schwierige und bisher höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden sind, reicht dabei eine lediglich summarische Prüfung aus. Sie kann auch zur Folge haben, daß die Kosten des Rechtsstreits zu verteilen sind (Zöller/Vollkommer, ZPO, 19. Aufl., 1995, § 91 a Rz 26 a; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 54. Aufl., 1996, § 91 a Rz 134).

Die Kosten waren hier beiden Parteien zur Hälfte aufzuerlegen. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist nicht ohne weiteres vorhersehbar, welche der beiden Seiten in welchem Umfang tatsächlich obsiegt hätte, wenn über die Revision in der Sache zu entscheiden gewesen wäre.

1. Dem Grunde nach hängt der Erfolg der Klage wesentlich davon ab, ob die tarifvertragliche Regelung, wonach Altersfreizeiten für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nicht vorgesehen sind, der rechtlichen Prüfung, vor allem § 2 Abs. 1 BeschFG, standhält. Die Entscheidung des Senats vom 3. März 1993 zur altersbedingten Pflichtstundenermäßigung (– 5 AZR 170/92 – BAGE 72, 305 = AP Nr. 97 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten) läßt sich auf den vorliegenden Fall nicht ohne weiteres übertragen. Vorliegend haben die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer Tarifautonomie einen Schwellenwert für die Teilhabe an der Arbeitszeitverkürzung festgesetzt, von dem an sie eine Vorbereitung auf den Ruhestand für geboten erachten. Ein solches Regelungsziel, nämlich mehr Freizeit zur Vorbereitung auf den Ruhestand zu haben, wäre bei einer teilzeitbeschäftigten Arbeitskraft ohne weiteres schon aufgrund ihrer Teilzeittätigkeit erreicht, so daß von daher eine weitere tarifvertragliche Vergünstigung nicht geboten wäre. Insoweit ist der gemeinsamen Interpretation der Tarifvertragsparteien zu § 2 a des Manteltarifvertrags für die chemische Industrie zu folgen. Unter diesen Gesichtspunkten bietet sich eine relative Parallele zu den Fällen an, in denen erst ab Überschreitung der tarifvertraglichen regelmäßigen Arbeitszeit Zuschläge für Mehrarbeit zu zahlen sind (vgl. BAG Urteil vom 20. Juni 1995 – 3 AZR 539/93 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Andererseits hat die tarifliche Regelung zur Folge, daß Vollzeitkräfte und Teilzeitkräfte in ihrer Stundenvergütung ungleich behandelt werden; mit der Gewährung von Altersfreizeiten erhalten Vollzeitbeschäftigte einen im rechnerischen Durchschnitt höheren Stundenlohn als Teilzeitbeschäftigte. Dieser Umstand ist auch dann zu beachten, wenn er nicht das Ziel der Tarifregelung, sondern nur eine Begleiterscheinung war. Unter diesem Gesichtspunkt würde mehr dafür sprechen, daß auch teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer einen (anteiligen) Anspruch auf Altersfreizeit haben; fraglich bleibt allerdings, ob das Ziel der tarifvertraglichen Regelung bzw. der mit ihr nach der übereinstimmenden Interpretation der Tarifvertragsparteien verfolgte Zweck derart durchschlägt, daß die Ungleichbehandlung hinsichtlich der Vergütung durch den Regelungszweck sachlich gerechtfertigt sein könnte.

2. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß die Klägerin auch dann mit ihrer Klage der Höhe nach nicht vollen Umfangs obsiegt hätte, wenn man zu ihren Gunsten davon ausgeht, ihr stünde dem Grunde nach ein Anspruch auf Altersfreizeit zu. Gemessen an den Regelungen des Tarifvertrages hat sie nicht nur zuviel, sondern teilweise auch noch doppelt Altersfreizeit verlangt. Der Feststellungsantrag betrifft die Zeit ab 12. Juli 1991. Für die Zeit von diesem Tag bis zum 4. November 1991 (dem Tag vor Einreichung der Klage) hat die Klägerin zugleich aber auch einen entsprechenden Leistungsantrag gestellt. Einer der beiden Anträge hätte insoweit abgewiesen werden müssen. Der Höhe nach stünde ihr – wie das Arbeitsgericht bereits erkannt hat – die Altersfreizeit nicht in Höhe von 2 Stunden 34 Minuten, sondern in Höhe von 2 Stunden 19 Minuten wöchentlich für die Dauer der tarifvertraglichen Regelung in der Fassung vom 1. Juli 1990 zu. Für die Zeit ab 1. April 1993 hätte der Klägerin sogar noch weniger Altersfreizeit zugestanden, weil die Altersfreizeit von 4 auf 2,5 Stunden gekürzt worden ist. Anstelle der begehrten 2 Stunden 34 Minuten wäre es nur ein Umfang von 1 Stunde 30 Minuten pro Woche gewesen.

3. Bei Abwägung dieser Momente hält es der Senat für angemessen, die Kostenlast beiden Prozeßparteien zu gleichen Teilen aufzuerlegen.

 

Unterschriften

Schliemann, Dr. Reinecke, Bepler, Dr. Kalb, Kreienbaum

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093056

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