Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristversäumung. Rechtsschutzbedürfnis

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Rechtsschutzbedürfnis für ein Beschlußverfahren, mit dem die Feststellung begehrt wird, ein Arbeitnehmer sei iS von § 5 BetrVG leitender Angestellter, entfällt, wenn der Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausgeschieden ist oder im Betrieb eine andere Tätigkeit übernommen hat.

2. Die Zustellung einer gerichtlichen Entscheidung ist bei mehreren Verfahrensbevollmächtigten gegenüber jedem von ihnen wirksam. Für den Fristablauf eines Rechtsmittels ist die erste Zustellung maßgeblich.

3. Das Kennenmüssen vom Wegfall des Hindernisses ist für den Beginn der Frist für einen Wiedereinsetzungsantrag nach § 234 Abs 1 ZPO ausreichend.

 

Normenkette

ZPO §§ 233-234; ArbGG § 92 Abs. 2 Fassung: 1979-07-02, § 81 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1979-07-02

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 10.03.1982; Aktenzeichen 3 TaBV 88/81)

ArbG Hamm (Entscheidung vom 31.05.1978; Aktenzeichen 3 (2) BV 24/78)

 

Gründe

A. Der Antragsteller ist der bei der Schachtanlage Haus A bestehende Betriebsrat. Daneben ist der bei der Schachtanlage G 3/4 bestehende Betriebsrat hinsichtlich der Verfahren bezüglich der Angestellten K und E beteiligt worden. Antragsgegnerin ist die Betreiberin des in Bergkamen- Oberaden gelegenen kohlefördernden Verbundbergwerks Haus A, das aus den beiden Schachtanlagen "Haus A " und "G 3/4" besteht. In dem Verbundbergwerk werden ca. 3.200 Arbeitnehmer unter Tage beschäftigt, die 1982 ca. 24.000 bis 25.000 t Rohkohle, das sind ca. 13.000 t verwertbare Kohle, pro Tag förderten.

Die Werksdirektion des Verbundbergwerkes wird von dem Werksleiter L geführt, dem der ihn vertretende für die Produktion zuständige Betriebsleiter Dr. Z unterstellt ist. Dem Betriebsleiter unterstehen der Tages- und der Grubenbetrieb. Der unter der Leitung des Grubeninspektors Sch stehende Grubenbetrieb untergliedert sich in die Fachbereiche:

Abbaubereiche Haus A und G 3/4,

Aus- und Vorrichtung,

Förderung, Transport und Rauben,

Maschinenbetrieb,

Elektrobetrieb,

Entspannung und Wettertechnik.

Der Betriebsführer K leitet den Maschinenbetrieb, sein ihm unterstellter Vertreter ist der Maschinenobersteiger E. Die Betriebsführungsabteilung Maschinenbetrieb erstreckt sich über beide Schachtanlagen des Verbundwerks unter Tage, d.h. über ca. 17 Quadratkilometer. Sie ist zuständig für alle Arbeiten, die zur Errichtung und zum Betrieb der im Untertagebereich eingesetzten Maschinen, deren Wert etwa 300 Mio. DM beträgt, erforderlich sind. Dem Betriebsführer K unterstehen neben dem Maschinenobersteiger E fünf Maschinenfahrsteiger, 43 Maschinensteiger und 270 Handwerker. Einer der Maschinenfahrsteiger ist der Fahrsteiger S.

Der Antragsteller hat beantragt festzustellen, daß die Angestellten K, E und S keine leitenden Angestellten i.S. des § 5 Abs. 3 BetrVG sind. Die Antragsgegnerin, der Betriebsführer K, der Maschinenobersteiger E und der Maschinenfahrsteiger S haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen und festzustellen, daß diese Arbeitnehmer leitende Angestellte i.S. des § 5 Abs. 3 BetrVG sind.

Das Arbeitsgericht hat antragsgemäß festgestellt, daß der Maschinenobersteiger E und der Maschinenfahrsteiger S keine leitenden Angestellten i.S. des § 5 Abs. 3 BetrVG seien und dem Betriebsführer K die Eigenschaft eines leitenden Angestellten zuerkannt. Die bezüglich des Betriebsführers K eingelegten Beschwerden des Antragstellers und des Beteiligten zu 2) hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Den Beschwerden der Antragsgegnerin und der Arbeitnehmer E und S hat das Landesarbeitsgericht bezüglich des Maschinenobersteigers E stattgegeben, bezüglich des Maschinenfahrsteigers S dagegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

Mit den zugelassenen Rechtsbeschwerden verfolgen der Antragsteller sowie der Beteiligte zu 2), die Antragsgegnerin und der Maschinenfahrsteiger S ihre jeweiligen erstinstanzlichen Verfahrensziele weiter. Der Antragsteller und der Beteiligte zu 2) beantragen, wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Antragsgegnerin und der Maschinenfahrsteiger S erstreben mit ihren Rechtsbeschwerden die Feststellung, daß dieser leitender Angestellter i.S. des § 5 Abs. 3 BetrVG ist mit der Maßgabe, daß sie die von ihnen in den Vorinstanzen gestellten Gegenanträge im Einverständnis mit dem Antragsteller und den übrigen Beteiligten nicht mehr stellen. Die Beteiligten haben übereinstimmend erklärt, daß der Fahrsteiger S inzwischen pensioniert sei.

B. Die Rechtsbeschwerden des Antragstellers und des Beteiligten zu 2) sind unzulässig. Sie sind verspätet eingelegt worden und deshalb nach § 92 Abs. 2, § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG zurückzuweisen. Der Wiedereinsetzungsantrag vom 9. September 1982, bei Gericht eingegangen am 15. September 1982, ist nach § 234 Abs. 1 ZPO verspätet und deshalb ebenfalls unzulässig.

Der Antragsteller sowie der Beteiligte zu 2) waren in zweiter Instanz von zwei Verfahrensbevollmächtigten (Rechtsanwalt Z und Rechtsanwalt Dr. G) vertreten. Einem von ihnen (Rechtsanwalt Z) wurde die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts am 4. Juni 1982 mit Empfangsbekenntnis zugestellt. Fristablauf war damit der 5. Juli 1982 (Montag). Die Rechtsbeschwerde ist durch Rechtsanwalt Dr. G erst am 10. September 1982 bei Gericht eingelegt worden.

Bei mehreren Verfahrensbevollmächtigten ist die Zustellung gegenüber jedem von ihnen wirksam (vgl. auch BVerwG NJW 1975, 1795, 1796; vgl. auch BGH LM Nr. 7 zu § 176 ZPO). Für den Fristablauf eines Rechtsmittels ist die erste Zustellung maßgeblich. Damit verlängert sich durch die Beauftragung mehrerer Verfahrensbevollmächtigter die Rechtsmittelfrist nicht. Davon gingen auch die Bevollmächtigten des Antragstellers aus. Damit kommt es auf die Kenntnisnahme des anderen Verfahrensbevollmächtigten, die dieser nach seiner Erklärung am 1. September 1982 erlangt hat, nicht an.

Der Wiedereinsetzungsantrag vom 15. September 1982 kann keinen Erfolg haben, da er ebenfalls verspätet ist. Er ist nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gestellt.

Zwar hat nach der durch eidesstattliche Versicherung bekräftigten Erklärung des in der Rechtsbeschwerdeinstanz zunächst allein tätigen Verfahrensbevollmächtigten dieser "von der Existenz der Beschlußausfertigung erstmals" fernmündlich am 1. September 1982 bei einem Anruf aus dem Büro des weiteren Verfahrensbevollmächtigten erfahren. Dies wird jedoch dadurch widerlegt, daß ihm am 30. August 1982 die Rechtsbeschwerdebegründung der Antragsgegnerin mit Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, die im einzelnen auf die Gründe des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts eingeht. Damit war ihm die "Existenz der Beschlußausfertigung" bereits am 30. August 1982 bekannt. Spätestens an diesem Tag war daher i.S. von § 234 Abs. 2 ZPO das Hindernis behoben, die Unkenntnis von der Beschlußausfertigung beseitigt.

Das Kennenmüssen des Wegfalls des Hindernisses ist für den Beginn der Frist nach § 234 Abs. 1 ZPO ausreichend (BGH NJW 1975, 1744). Das trifft auch zu, wenn Umstände dafür sprechen, daß eine gerichtliche Entscheidung bereits zugestellt ist, der Verfahrensbevollmächtigte sie aber noch nicht für zugestellt hält. Bei einem solchen Irrtum über das Zustellungsdatum beginnt die Frist mit der Kenntnis der für eine Fehldatierung sprechenden Umstände. Dies war der 30. August 1982. Mithin lief die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag am 13. September 1982 ab. Der erst am 15. September 1982 bei Gericht eingegangene Wiedereinsetzungsantrag war daher verspätet.

C. Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin und des Arbeitnehmers S sind dagegen gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 72 Abs. 2 ArbGG statthaft.

1. Die Antragsgegnerin und der Arbeitnehmer S haben ihre Rechtsbeschwerden auch form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet.

2. Der zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin bestehende Streit ist im Beschlußverfahren auszutragen, da es sich um eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz, die Zuordnung eines Arbeitnehmers zur vom Betriebsrat vertretenen Belegschaft, handelt (§ 2 a Abs. 1 Nr. 1, § 8 ArbGG, § 5 Abs. 3 BetrVG).

3. Das Antrags- und Beteiligungsrecht des antragstellenden Betriebsrats und der Antragsgegnerin (Arbeitgeber) folgt unmittelbar aus ihrer Stellung als notwendig Beteiligte eines Beschlußverfahrens (BAG 37, 31, 36 = AP Nr. 2 zu § 83 ArbGG 1979). Die Antrags- und Beteiligungsbefugnis der Arbeitnehmer, für die vom Antragsteller die Feststellung begehrt wird, daß sie nicht leitende Angestellte i.S. von § 5 Abs. 3 BetrVG seien, ist nach der Rechtsprechung des bisher zuständigen Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts ebenfalls zu bejahen (vgl. erstmals Beschluß vom 5. März 1974, BAG 26, 36 = AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG 1972, zuletzt Beschluß vom 29. Januar 1980 - 1 ABR 49/78 - AP Nr. 24 zu § 5 BetrVG 1972 und Beschluß vom 13. Oktober 1981, BAG 36, 291 = AP Nr. 1 zu § 117 BetrVG 1972).

4. Das Rechtsschutzinteresse für die beantragte Feststellung ergibt sich daraus, daß für die beteiligten Betriebsräte wie für den Arbeitgeber der (personelle) Kompetenzbereich des Betriebsrats geklärt werden muß.

Es ist jedoch nach Ausscheiden des Angestellten S aus dem Arbeitsverhältnis mit der Antragsgegnerin insoweit entfallen. Der vom Antragsteller weiterverfolgte Sachantrag bezüglich der für diesen Arbeitnehmer begehrten Feststellung ist unzulässig geworden.

In jeder Lage des Verfahrens und damit auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist von Amts wegen zu prüfen, ob für eine im Beschlußverfahren begehrte Entscheidung das Rechtsschutzbedürfnis fortbesteht; denn dieses ist prozessuale Voraussetzung für eine Sachentscheidung. Dabei muß das Rechtsbeschwerdegericht auch neu eingetretene Tatsachen berücksichtigen, wenn und insoweit sie das Rechtsschutzinteresse berühren.

Der Antragsteller erstrebt mit dem Beschlußverfahren eine verbindliche gerichtliche Klärung der gegenwärtigen betriebsverfassungsrechtlich beachtlichen Eigenschaft des Maschinenfahrsteigers S. Dieses Ziel kann er jedoch im vorliegenden Verfahren nicht mehr erreichen, weil sich der Sachverhalt, der dem angefochtenen Beschluß zugrunde liegt und von dem auch der Senat bei seiner materiell-rechtlichen Prüfung ausgehen müßte, im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens durch sein Ausscheiden bei der Antragsgegnerin geändert hat. Da die Verfahrensbeteiligten trotz dieser Sachlage keine Erledigungserklärung abgegeben, sondern an ihren Sachanträgen festgehalten haben, war vom Senat auszusprechen, daß die Entscheidungen der Vorinstanzen, soweit sie die Anträge des Antragstellers bezüglich des Fahrsteigers S betreffen, aufzuheben sind und der Antrag insoweit als unzulässig zu verwerfen ist.

D. Da die Antragsgegnerin und die beteiligten Arbeitnehmer im Einverständnis mit dem Antragsteller die in den Vorinstanzen gestellten Gegenanträge nicht mehr gestellt haben, bedarf es einer Beurteilung der verfahrensrechtlichen Zulässigkeit dieser Anträge nicht mehr.

Der Senat geht davon aus, daß die Beteiligten die nach ihrer Auffassung gegenstandslosen Anträge damit im gegenseitigen Einvernehmen zurückgenommen haben. Damit war nach § 92 Abs. 2 Satz 3, § 81 Abs. 2 Satz 2 ArbGG das Verfahren insoweit einzustellen.

Dr. Auffarth Dr. Jobs Dr. Leinemann

Döring Mergenthaler

 

Fundstellen

BAGE 51, 29-34 (LT1-3)

BAGE, 29

NJW 1986, 2785

RdA 1986, 270

AP § 5 BetrVG 1979 (LT1-3), Nr 31

AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit VII Entsch 183 (LT2)

AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit XI Entsch 103 (LT3)

AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit XII Entsch 136 (LT1-3)

AR-Blattei, ES 160.11 Nr 103 (LT3)

AR-Blattei, ES 160.12 Nr 136 (LT1-3)

AR-Blattei, ES 160.7 Nr 183 (LT2)

EzA § 233 ZPO, Nr 7 (LT1-3)

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