Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses

 

Normenkette

ZPO § 36 Nr. 6; GVG n.F. § 17a Abs. 2, 4

 

Verfahrensgang

ArbG Hagen (Westfalen) (Beschluss vom 12.05.1992; Aktenzeichen 4 Ca 261/92)

LG Essen (Beschluss vom 27.02.1992; Aktenzeichen 4 O 277/91)

 

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Hagen bestimmt.

 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche.

Die Mutter der Kläger betrieb eine Fahrschule. Nach deren Tod erteilte die Beklagte, die selbst eine Fahrschule betreibt, vereinbarungsgemäß im Dezember 1990 und Januar 1991 gegen Vergütung Schülern der Mutter der Kläger theoretischen und praktischen Fahrunterricht. Die Kläger nehmen als angebliche Erben ihrer Mutter die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch, und zwar deswegen, weil sie während des Unterrichts Schüler zu ihrer eigenen Fahrschule und der ihres Lebensgefährten abgeworben und sich schlecht über den später von den Klägern eingestellten Fahrlehrer geäußert habe. Das Landgericht Essen, bei dem die Klage erhoben wurde, erhob in zwei Sitzungen Beweis über Behauptungen der Kläger durch Vernehmung von sieben Zeugen. Im Protokoll der dritten Sitzung vom 27. Februar 1992 heißt es u.a.:

„Die Anwälte wurden darauf hingewiesen, daß möglicherweise die ausschließliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Hagen in Betracht komme und daß dafür von Belang ist, zu welchen Konditionen und mit welchen Befugnissen die Beklagte in der Übergangszeit für die Rechtsnachfolger der verstorbenen Fahrlehrerin H. sowohl beim Fahrunterricht als auch beim theoretischen Unterricht tätig geworden ist.”

Daraufhin beantragte der Klägervertreter hilfsweise Verweisung an das zuständige Arbeitsgericht. Weiter heißt es in dem Protokoll, daß der Beklagtenvertreter keine Erklärungen abgab.

Durch Beschluß vom selben Tage, den Parteien am 23. März 1992 förmlich zugestellt, erklärte sich das Landgericht Essen für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Hagen, und zwar mit der Begründung, die Arbeitsgerichte seien nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 d ArbGG ausschließlich zuständig, da die Beklagte als Arbeitnehmerin in den Fahrschulbetrieb der Kläger integriert gewesen sei.

Aufgrund Verfügung vom 10. April 1992 wurden die Akten dem Arbeitsgericht Hagen übersandt. Mit Schriftsatz vom 28. April 1992 beantragte die Beklagte, „den Rechtsstreit an das Landgericht in Essen zurückzuverweisen”, weil der Verweisungsbeschluß ohne ausreichendes rechtliches Gehör erlassen worden und nahezu willkürlich sei.

Das Arbeitsgericht Hagen hat am 12. Mai 1992 beschlossen, den Rechtsstreit dem Bundesarbeitsgericht gemäß § 36 Nr. 6 ZPO mit der Bitte um die Bestimmung des zuständigen Gerichts vorzulegen. Zur Begründung heißt es, der Verweisungsbeschluß sei nicht bindend, da den Parteien kein rechtliches Gehör zur Frage des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses gewährt worden und die Verweisung deswegen willkürlich sei, weil der Akteninhalt die Begründung des Verweisungsbeschlusses nicht trage.

 

Entscheidungsgründe

II. Zuständig ist das Arbeitsgericht Hagen.

1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Diese Vorschrift ist auch bei einem negativen Kompetenzkonflikt von Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten anwendbar (BAGE 44, 246 = AP Nr. 34 zu § 36 ZPO). Das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts kann von einer Partei oder durch ein Gericht gestellt werden. Das Bundesarbeitsgericht ist vorliegend für die beantragte Bestimmung zuständig, weil es in dem Zuständigkeitsstreit zwischen dem Arbeitsgericht und dem Amtsgericht zuerst um die Bestimmung angegangen worden ist (vgl. BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 1 der Gründe, m.w.N.; BGHZ 44, 14, 15).

2. Der Verweisungsbeschluß des Landgerichts Essen bindet das Arbeitsgericht Hagen.

a) Rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist bindend. Dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO). Nur so kann der Zweck des § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden.

Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe; zum neuen Recht Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen; Zöller/Vollkommer, ZPO, 17. Aufl., § 36 Rz 25, 28; a.A. zum neuen Recht Zöller/Gummer, a.a.O., GVG § 17 a Rz 13).

Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt oder willkürlich gefaßt ist. Zwar mögen die besseren Gründe für die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte sprechen. Die Ansicht des Landgerichts Essen, die Beklagte sei Arbeitnehmerin gewesen, ist aber immerhin vertretbar. Abgesehen davon ist anerkannt, daß Verweisungsbeschlüsse nicht schon immer dann offensichtlich gesetzwidrig sind, wenn sie grob fehlerhaft sind (BAG Beschluß vom 1. März 1984 – 5 AS 5/84 – AP Nr. 35 zu § 36 ZPO; Beschluß vom 12. März 1992 – 5 AS 10/91 –, n.v.).

b) Vor der Verweisung ist den Parteien rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG, § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG n.F.). Offensichtlich gesetzwidrig können Verweisungsbeschlüsse auch dann sein, wenn sie auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruhen. Das ist regelmäßig aber nur dann anzunehmen, wenn der Beschluß für die Partei, der das rechtliche Gehör verweigert worden ist, unanfechtbar ist. Denn der Mangel des nicht gewährten rechtlichen Gehörs kann durch nachträgliche Anhörung in der Rechtsmittelinstanz geheilt werden. Die nicht angehörte Partei kann in diesem Fall auf die Einlegung des Rechtsmittels verwiesen werden.

So liegen die Dinge hier. Laut Protokoll hatte das Landgericht die Parteien auf die mögliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Hagen hingewiesen, jedoch dazu ausgeführt, es sei rechtlich von Belang, „zu welchen Konditionen und mit welchen Befugnissen die Beklagte in der Übergangszeit für die Rechtsnachfolger der verstorbenen Fahrlehrerin H. sowohl beim Fahrunterricht als auch beim theoretischen Unterricht tätig geworden” sei. Das deutete auf die Erteilung einer Auflage hin. Wenn sich das Landgericht Essen durch Beschluß vom selben Tage gleichwohl sofort für unzuständig erklärte, so handelte es sich dabei um eine Überraschungsentscheidung. Gegen den Verweisungsbeschluß war aber die sofortige Beschwerde gegeben (§ 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG). Die Zwei-Wochen-Frist für ihre Einlegung (§ 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO) begann mit der Zustellung, hier also mit dem 23. März 1992, und endete mit dem 6. April 1992. Die fehlende Rechtsmittelbelehrung ändert daran nichts; § 9 Abs. 5 ArbGG gilt nicht für Verweisungsbeschlüsse der ordentlichen Gerichte. Diese Frist hat die Beklagte verstreichen lassen. Erst mit Schreiben vom 28. April 1992 – also zu spät – hat sie gerügt, daß ihr kein rechtliches Gehör gewährt worden sei.

c) Der Verweisungsbeschluß ist schließlich nicht deshalb offensichtlich gesetzwidrig, weil er erst nach Durchführung einer umfangreichen Beweisaufnahme ergangen ist. Die Einführung der Vorabentscheidung über die Rechtswegzuständigkeit durch die §§ 17 ff. GVG n.F. dient vor allem der Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens (vgl. BT-Drucks, 11/7030, S. 36, 37). Diesem Anliegen hätte das Landgericht natürlich am besten gedient, wenn es die Rechtswegzuständigkeit zu Beginn des Rechtsstreits geprüft hätte. Dies hat es nicht getan. Daraus folgt aber nicht, daß es nach der Durchführung der Beweisaufnahme an dieser Prüfung gehindert wäre. Vielmehr hat das erstinstanzliche Gericht die Zulässigkeit des zu ihm beschrittenen Rechtswegs in jeder Lage des Verfahrens, also auch noch nach Durchführung einer Beweisaufnahme, von Amts wegen zu prüfen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 50. Aufl., GVG § 17 a Anm. 4). Eine Einschränkung dieser Verpflichtung hätte einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Olderog, Dr. Reinecke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1083497

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge