Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindung an Verweisungsbeschluß

 

Normenkette

ZPO § 36 Nr. 6, § 17; ArbGG n.F. § 48 Abs. 1; GVG § 17a Abs. 2; GVG n.F. § 17a Abs. 4, § 17b Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Senftenberg (Beschluss vom 17.02.1994; Aktenzeichen 6 Ca 29/94)

 

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Berlin bestimmt.

 

Tatbestand

I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Arbeitsentgelt für im Juni 1993 auf dem F. für die beklagte GmbH angeblich geleistete Wachdienste.

Der Kläger erhob Klage vor dem Amtsgericht Bad Liebenwerda, Zweigstelle Finsterwalde. Dieses erklärte sich nach Gewährung rechtlichen Gehörs durch Beschluß vom 8. Dezember 1993 für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Senftenberg. Daraufhin beantragte die Beklagte die Verweisung des Rechtsstreits an das ihrer Auffassung nach örtlich zuständige Arbeitsgericht Berlin, und zwar mit der Begründung, die Beklagte befinde sich im Stadium der Gründung, sei also nicht beim Registergericht eingetragen und werde auch nicht eingetragen werden. Es komme daher auf den Geschäftsführer an, der – ebenso wie der Kläger – in Berlin wohnhaft sei. Der Kläger schloß sich dem Verweisungsantrag an. Daraufhin erklärte sich das Arbeitsgericht Senftenberg durch Kammerbeschluß vom 17. Februar 1994 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Berlin, weil die Beklagte ihren Sitz und damit ihren allgemeinen Gerichtsstand im Bereich des Arbeitsgerichts Berlin habe. Das Arbeitsgericht Berlin lehnte die „Fortführung bzw. Übernahme des Verfahrens” ab und zwar mit der Begründung, daß der Rechtsstreit nach wie vor beim Amtsgericht Bad Liebenwerda anhängig sei, da der Verweisungsbeschluß dieses Gerichts noch nicht rechtskräftig sei. Ferner sei der Beschluß möglicherweise deswegen als grob fehlerhaft und willkürlich anzusehen, weil sich aus der Akte keinerlei Anhaltspunkte dafür ergäben, daß die Beklagte ihren Sitz in Berlin habe. Das Arbeitsgericht Senftenberg hat daraufhin das Bundesarbeitsgericht ersucht, das örtlich zuständige Arbeitsgericht gem. § 36 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.

 

Entscheidungsgründe

II. Zuständig ist das Arbeitsgericht Berlin. Der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Senftenberg ist bindend.

1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Die Arbeitsgerichte Senftenberg und Berlin haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt, ersteres durch formell unanfechtbaren Beschluß vom 14. Februar 1994, letzteres durch Beschluß vom 14. März 1994, mit dem es die Übernahme des Verfahrens ablehnte.

Diese Vorschrift ist auch dann anwendbar, wenn es (auch) um die Rechtswegzuständigkeit geht, also die Zuständigkeit von Gerichten einer anderen Gerichtsbarkeit in Betracht kommt. Das Bundesarbeitsgericht ist für die beantragte Bestimmung zuständig, weil es von dem Arbeitsgericht Senftenberg zuerst um die Bestimmung angegangen worden ist (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – AP Nr. 39 zu § 36 ZPO = EzA § 17 a GVG Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).

2. Das Bundesarbeitsgericht ist an einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Nr. 6 ZPO nicht etwa durch fehlende Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Bad Liebenwerda, Zweigstelle Finsterwalde gehindert.

a) Verweisungsbeschlüsse nach § 17 a GVG n.F. sind förmlich zuzustellen (§ 329 Abs. 3 ZPO). Das abgebende Gericht darf die Akte nicht vor Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses an das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, übersenden (§ 17 b Abs. 1 GVG n.F.). Bei unterbliebener Zustellung von Verweisungsbeschlüssen ordentlicher Gerichte sind aber die §§ 516, 552 ZPO entsprechend anzuwenden. Die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde beginnt dann fünf Monate nach der Verkündung oder – bei nicht verkündeten Beschlüssen – fünf Monate nach der formlosen Mitteilung des Verweisungsbeschlusses. Das hat der Senat mit ausführlicher Begründung in seinem auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmten Beschluß vom 1. Juli 1992 (a.a.O.) dargelegt. Hierauf wird verwiesen.

Vor Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses kommt daher eine endgültige Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das Bundesarbeitsgericht nicht in Betracht. Vielmehr hat sich das Bundesarbeitsgericht in derartigen Fällen auf die Klarstellung zu beschränken, daß der Rechtsstreit wegen fehlender Rechtskraft noch immer vor dem verweisenden Gericht anhängig ist (BAG Beschluß vom 22. Februar 1993 – 5 AS 4/93 – n.v.).

b) Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus folgendes: Der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Bad Liebenwerda, Zweigstelle Finsterwalde, ist den Parteien zu keiner Zeit vom Gericht zugestellt worden. Eine Heilung dieses Mangels kommt nicht in Betracht (§ 187 Satz 2 ZPO). Das Amtsgericht durfte daher die Akten dem Arbeitsgericht Senftenberg weder sofort nach der Beschlußfassung noch später übersenden. Es hätte vielmehr seinen Beschluß begründen und die Zustellung veranlassen müssen. Erst nach Ablauf der Beschwerdefrist hätte es die Akten übersenden dürfen.

Gleichwohl war der Verweisungsbeschluß am 14. März 1994, als das Arbeitsgericht Berlin die Übernahme ablehnte, bereits rechtskräftig. Die Parteien haben nämlich dadurch, daß sie durch Schriftsätze vom 25. und 28. Januar 1994 übereinstimmend Verweisung an das Arbeitsgericht Berlin beantragten, stillschweigend auf Rechtsmittel gegen den ihnen bekannten Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts verzichtet.

Unabhängig davon wäre inzwischen auch durch Zeitablauf Rechtskraft eingetreten. Der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts wurde den Parteien im Dezember 1992 formlos übersandt. Mangels Zustellung begann die Zweiwochenfrist also im Mai 1994; sie endete daher spätestens im Juni 1994.

Wie sich bereits aus den §§ 516, 552 ZPO ergibt, wonach die Rechtsmittelfrist spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten beginnt, hindert die fehlende Begründung den Eintritt der Rechtskraft nicht.

3. Das Arbeitsgericht Senftenberg, an das der Rechtsstreit von einem Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen worden war, konnte wegen örtlicher Unzuständigkeit innerhalb „seines” Rechtsweges weiter verweisen (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992, a.a.O.; Beschluß vom 14. Januar 1994 – 5 AS 22/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

4. a) Rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO; BAG Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Nur so kann der Zweck des § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Das bedeutet: Es ist das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, dieser ist ausnahmsweise nicht bindend. In diesem Fall ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den zweiten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, (auch) dieser ist ausnahmsweise nicht bindend.

Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AZR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe; zum neuen Recht Beschluß vom 1. Juli 1992, a.a.O.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 18. Aufl., § 36 Rz 25, 28; einschränkend zum neuen Recht Zöller/Gummer, a.a.O., GVG § 17 a Rz 13). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 –, a.a.O., zu II 3 a der Gründe; BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164).

b) Von einer offensichtlichen Gesetzwidrigkeit des Verweisungsbeschlusses des Arbeitsgerichts Senftenberg kann aber (noch) nicht gesprochen werden.

Zunächst einmal ist festzuhalten, daß der Beschluß – wenn auch nur sehr kurz – begründet worden ist. Ob die Begründung richtig ist, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.

Allerdings bemängelt das Arbeitsgericht Berlin die Begründung des Arbeitsgerichts Senftenberg insofern zurecht, als keinerlei Anhaltspunkte dafür sprechen, daß die beklagte GmbH ihren Sitz in Berlin hat. § 17 ZPO gilt auch für alle nicht rechtsfähigen Prozeßparteien, die im Zivilprozeßverfahren verklagt werden können. Hierzu zählt auch die sogenannte Vor-GmbH (Vorgesellschaft) in der Zeit zwischen Gründungsvertrag und Eintragung. Maßgeblich für den Gerichtsstand ist danach bereits vor Eintragung der im Gesellschaftsvertrag gewählte Sitz (Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 17 Rn 3). Dies hätte das Arbeitsgericht Senftenberg aufklären müssen.

Der vorliegende Fall ist aber durch die Besonderheit gekennzeichnet, daß beide Parteien übereinstimmend die Verweisung an das Arbeitsgericht Berlin beantragt haben.

Nach Wortlaut und Sinn des § 48 Abs. 1 ArbGG n.F. in Verbindung mit § 17 a Abs. 2 GVG n.F., § 281 Abs. 1 ZPO darf zwar nur ein unzuständiges Gericht den Rechtsstreit verweisen, nicht aber ein zuständiges Gericht. Wie sich aus § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO ergibt, sind Gerichtsstandvereinbarungen nach Rechtshängigkeit nicht geeignet, die einmal begründete Zuständigkeit zu beseitigen (BGH Beschluß vom 16. November 1962 – III ARZ 123/91 – NJW 1963, 585; Zöller/Vollkommer ZPO, 18. Aufl., § 38 Rz 12). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist aber ein Verweisungsbeschluß, der auf einer vor dem Eintritt in die Kammerverhandlung abgeschlossenen Gerichtsstandvereinbarung beruht, nicht offenbar gesetzwidrig (BAG Beschluß vom 3. Juli 1974 – 5 AR 184/74 – AP Nr. 18 zu § 36 ZPO; Beschluß vom 26. März 1992 – 5 AS 7/91 – n.v.; vgl. auch OLG Düsseldorf Beschluß vom 26. Januar 1976 – 19 Sa 2/76 – OGLZ 1976, 475; Zöller/Vollkommer, a.a.O.), zumal da in Rechtsprechung und Literatur auch die Auffassung vertreten wird, daß eine nachträgliche Zuständigkeitsvereinbarung eine Verweisung rechtfertigt (OLG Düsseldorf Beschluß vom 4. Oktober 1961 – 12 AR 29/61 – NJW 1961, 2355; OLG Oldenburg Beschluß vom 9. Mai 1961 – 1 AR 3/61 – MDR 1962, 60; Traub, NJW 1963, 842; Schneider, DRiZ 1962, 410). Entsprechendes hat zu gelten, wenn beide Parteien – wie hier – übereinstimmende Verweisungsanträge stellen (BAG Beschluß vom 14. Oktober 1993 – 5 AS 19/93 – n.v.). Aus diesem Grunde ist der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Senftenberg nicht als offensichtlich gesetzwidrig anzusehen.

 

Unterschriften

Schliemann, Dr. Reinecke, Dr. Wißmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093325

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