Entscheidungsstichwort (Thema)

Weiterbeschäftigung während des Rechtsstreits über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Befristung

 

Leitsatz (redaktionell)

Nach § 45 Abs 2 Satz 2 ArbGG werden wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:

1. Hat ein befristet eingestellter Arbeitnehmer nach dem Ablauf der Frist einen Anspruch auf Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits über die Wirksamkeit der Befristung?

2. Falls die Frage zu 1. bejaht wird: Welches sind im einzelnen die rechtlichen Voraussetzungen und Grenzen dieses Weiterbeschäftigungsanspruches und wie kann er gerichtlich durchgesetzt werden?

 

Orientierungssatz

1. Im Anschluß an den Vorlagebeschluß des erkennenden Senats vom 21. Dezember 1983 - 7 AZR 444/81 = BB 1984, 599 (zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).

2. Das Verfahren hat sich durch Klagerücknahme erledigt.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 620; ArbGG § 45 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1979-07-02

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Entscheidung vom 12.04.1983; Aktenzeichen 6 Sa 37/83)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 12.08.1982; Aktenzeichen 4 Ca 395/82)

 

Gründe

A. Der Kläger war bei der Beklagten zuletzt aufgrund Vertrages vom 9. Dezember 1980 mit Wirkung ab 1. Januar 1981 als Redakteur im Anstellungsverhältnis beschäftigt. In diesem Vertrag hatten die Parteien vereinbart, daß das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31. Dezember 1981 ende, ohne daß es einer Kündigung bedürfe.

I. Im Verfahren 7 AZR 435/82 hatte der Kläger auf Feststellung geklagt, daß zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestehe. Die Beklagte hatte geltend gemacht, das Arbeitsverhältnis habe durch Befristung mit dem 31. Dezember 1981 geendet. Mit Urteil vom 22. Februar 1984 wies der erkennende Senat die Klage ab, so daß die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1981 rechtskräftig feststeht.

II. Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger durch Klage vom 13. Juli 1982 beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihn als Redakteur in der Tarifgruppe 3 B in ihrem Betrieb zu beschäftigen. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben hierin die Geltendmachung eines Anspruchs des Arbeitnehmers auf tatsächliche Beschäftigung während der Dauer des Rechtsstreits über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses (sog. Weiterbeschäftigungsanspruch) gesehen; die Parteien teilen ersichtlich diese Auslegung des Klageantrags. Dem schließt sich der Senat an.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Beide Vorinstanzen haben in ihren Entscheidungsgründen ausdrücklich hervorgehoben, daß sie einen Weiterbeschäftigungsanspruch in weiterem Umfang als nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. insbesondere Urteil vom 26. Mai 1977 - 2 AZR 632/76 - BAG 29, 195 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) anerkennen.

Mit Schriftsatz zum Bundesarbeitsgericht vom 30. Mai 1984 hat der Kläger die Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte verfolgt mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

B. Der Senat hält es zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für erforderlich, die in der Beschlußformel genannten Rechtsfragen wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG dem Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts zur Entscheidung vorzulegen.

I. Nach Auffassung des Senats kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits tragend auf die in der Beschlußformel genannten Fragen an.

1. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (außer dem bereits angeführten Urteil des Zweiten Senats vgl. z.B. Senatsurteil vom 2. November 1983 - 7 AZR 65/82 - zur Veröffentlichung bestimmt) hat der Arbeitnehmer grundsätzlich nur bis zum Ende der Kündigungsfrist einen Beschäftigungsanspruch. Für die Zeit danach sei der Arbeitgeber - von den Fällen des § 102 Abs. 5 BetrVG abgesehen - nur bei einer offenbar rechtsmißbräuchlichen, willkürlichen oder offensichtlich rechtsunwirksamen Kündigung zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Abschluß des Kündigungsrechtsstreits verpflichtet. Übertragen auf den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Befristung des Arbeitsvertrages würde dies bedeuten, daß ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nur dann besteht, wenn die Befristung des Arbeitsvertrages offensichtlich rechtsunwirksam ist.

2. Im Entscheidungsfall lag eine derartige offensichtliche Unwirksamkeit auch nach Ansicht der Vorinstanzen nicht vor. Der Senat hat die Befristung sogar als wirksam angesehen. Der Senat kann deshalb zu der Auffassung, im Zeitpunkt der Entscheidungen der Vorinstanzen habe ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers bestanden, nur dann gelangen, wenn ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers über die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hinaus anzuerkennen sein sollte. Für die Sachentscheidung des erkennenden Senats tragend ist insbesondere auch die Frage, ob im Zeitpunkt der Entscheidungen der Vorinstanzen ein Weiterbeschäftigungsanspruch bestehen kann, obwohl durch eine später ergangene Entscheidung rechtskräftig feststeht, daß das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt bereits beendet war.

3. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es tragend auf die in der Beschlußformel genannten Fragen an, obwohl aufgrund des oben (A I) angeführten Urteils des Senats vom 22. Februar 1984 rechtskräftig feststeht, daß das Arbeitsverhältnis am 31. Dezember 1981 geendet hat. Denn weil nur der Kläger die Hauptsache für erledigt erklärt hat, die Beklagte aber an ihrem Klageabweisungsantrag festhält, muß der Senat entscheiden, ob die Hauptsache erledigt oder die Klage abzuweisen ist. Für die demnach vom Senat zu entscheidende Frage, ob die Klage bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet gewesen ist, kommt es entscheidend darauf an, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Arbeitnehmer während des Rechtsstreits über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung hat.

II. Die in der Beschlußformel genannten Fragen sind von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG. Sie erfordern nach Auffassung des Senats eine Entscheidung des Großen Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

1. Das bereits oben (A II) angeführte Urteil des Zweiten Senats vom 26. Mai 1977 hat im Schrifttum nur zum Teil Zustimmung gefunden; vor allem aber sind die Instanzgerichte diesem Urteil zu einem großen Teil nicht gefolgt (vgl. die Nachweise im zur Veröffentlichung bestimmten Senatsbeschluß vom 21. Dezember 1983 - 7 AZR 444/81 -). Durch den soeben genannten Beschluß hat deshalb der erkennende Senat dem Großen Senat die Fragen vorgelegt, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen und in welchen Grenzen der gekündigte Arbeitnehmer außerhalb der Regelung der §§ 102 Abs. 5 BetrVG, 79 Abs. 2 BPersVG einen Anspruch auf Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzprozesses hat und wie ein solcher Anspruch gerichtlich durchgesetzt werden kann. Das Verfahren ist beim Großen Senat unter dem Aktenzeichen GS 1/84 anhängig.

2. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es nicht um den Weiterbeschäftigungsanspruch während eines Kündigungsschutzprozesses, sondern während eines Rechtsstreits darüber, ob das Arbeitsverhältnis durch Befristung geendet hat. Deshalb erscheint es trotz des Vorlagebeschlusses des erkennenden Senats vom 21. Dezember 1983 erforderlich, dem Großen Senat auch die in der Beschlußformel genannten Fragen zur Entscheidung vorzulegen. Zwar ist aufgrund der im wesentlichen gleichliegenden Problematik denkbar, daß sich die in der Beschlußformel genannten Fragen bereits auf der Grundlage der Entscheidung beantworten lassen, die der Große Senat über die im Beschluß vom 21. Dezember 1983 vorgelegten Fragen treffen wird. Andererseits wird aber der Meinungsstreit über den Weiterbeschäftigungsanspruch weitgehend mit Argumenten geführt, die gerade die Kündigung und insbesondere das Kündigungsschutzgesetz betreffen (vgl. z.B. Bötticher, BB 1981, 1954). Der Senat mißt deshalb den in der Beschlußformel genannten Fragen auch neben den durch Beschluß vom 21. Dezember 1983 vorgelegten Fragen grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG bei. Insbesondere hält es der Senat zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für erforderlich, daß dem Großen Senat der gesamte Problembereich des Weiterbeschäftigungsanspruchs zur Entscheidung vorliegt.

Dr. Seidensticker Roeper Dr. Steckhan

Nehring Lappe

 

Fundstellen

Haufe-Index 441382

BB 1985, 592-593 (LT1-2)

DB 1984, 2466-2466 (LT1-2)

ZIP 1984, 1390

ZIP 1984, 1390-1391 (LT1-2)

AP § 611 BGB Beschäftigungspflicht (LT1-2), Nr 13

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