Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg. Vertreter ohne Vertretungsmacht. Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses. Arbeitgeber. Rechtsnachfolge. Prozeßrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Nimmt eine Partei des Arbeitsvertrags jemanden als Vertreter ohne Vertretungsmacht auf die Erfüllung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis oder auf Schadensersatz für solche Forderungen in Anspruch (§ 179 BGB), ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben. Der vollmachtlose Vertreter ist Rechtsnachfolger iSd. § 3 ArbGG.

 

Orientierungssatz

  • Der Begriff der Rechtsnachfolge in § 3 ArbGG ist weit auszulegen. Entscheidend ist nicht die Rechtsstellung als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, sondern die durch den Arbeitsvertrag oder dessen Vor- und Nachwirkungen begründete Rechts- und Pflichtenzuständigkeit. Schließt ein Vertreter ohne Vertretungsmacht einen Arbeitsvertrag, kann er in diesem Sinne als Rechtsnachfolger auf Erfüllung oder Schadensersatz (§ 179 Abs. 1 BGB) vor den Gerichten für Arbeitssachen in Anspruch genommen werden.
  • Der Nachweis der Vertretungsmacht und die Genehmigung des Arbeitsvertrags durch den Vertretenen schließen die Zulässigkeit des Rechtswegs gemäß § 3 ArbGG nicht aus, sondern führen ggf. zur Unbegründetheit der Klage.
 

Normenkette

ArbGG §§ 2-3; BGB §§ 177, 179

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Beschluss vom 16.12.2002; Aktenzeichen 4 Ta 332/02-10)

ArbG Chemnitz (Beschluss vom 06.08.2002; Aktenzeichen 12 Ca 3095/02)

 

Tenor

  • Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers werden die Beschlüsse des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 16. Dezember 2002 – 4 Ta 332/02-10 – und des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 6. August 2002 und vom 22. Oktober 2002 – 12 Ca 3095/02 – aufgehoben.
  • Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
  • Dem Kläger wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlung mit Wirkung ab dem 13. März 2003 bewilligt und Rechtsanwalt P…, C…, zur Wahrnehmung seiner Rechte beigeordnet.
  • Der Beklagte hat die Kosten der sofortigen Beschwerde und der Rechtsbeschwerde zu tragen.
  • Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 1.311,71 Euro festgesetzt.
 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten über Arbeitsvergütung und im vorliegenden Verfahren über die Zulässigkeit des Rechtswegs.

Der Beklagte ist der Bruder von Frau S… K…, die Inhaberin der “S.… K… Baustahlarmierung” in L… (im folgenden: Firma S.… K.…) war. Über deren Vermögen wurde am 23. August 2001 ein vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt und später – wohl am 12. Oktober 2001 – das Insolvenzverfahren eröffnet.

Am 2. September 2001 unterzeichneten der Kläger und der Beklagte in C… einen Arbeitsvertrag, nach dem der Kläger ab dem 3. September 2001 als Eisenflechter bei der Firma S.… K.… eingestellt wurde. Der Beklagte unterschrieb mit “i.A. K…”.

Der Kläger arbeitete im November und Dezember 2001 auf einer Baustelle der Firma S.… K.… in P… unter Anleitung des Beklagten. Er erhielt lediglich eine Abschlagszahlung von 400,00 Euro für November 2001. Nach seiner Auffassung hat das Arbeitsverhältnis bis zum 31. Januar 2002 bestanden. Erst anschließend erfuhr er von der Insolvenz. Der Insolvenzverwalter verweigerte die Zahlung und erklärte, er habe die Fortführung des Geschäftsbetriebs nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens untersagt und von der Beschäftigung des Klägers nichts gewußt. Mit Bescheid vom 3. Dezember 2002 lehnte das Arbeitsamt die Zahlung von Insolvenzgeld ab, da nach Auskunft des Insolvenzverwalters kein Arbeitsverhältnis mit der Firma S.… K.… bestanden habe.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger Arbeits- und Urlaubsvergütung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs für den Zeitraum November 2001 bis Januar 2002. Er hat geltend gemacht, der Beklagte sei als Vertreter ohne Vertretungsmacht zur Erfüllung verpflichtet. Dem Beklagten könne es nicht verborgen geblieben sein, daß sich seine Schwester in Insolvenz befunden habe; er hafte deshalb auch auf Grund unerlaubter Handlung für die offenen Lohnansprüche. Hierfür seien die Gerichte für Arbeitssachen zuständig.

Der Beklagte hat behauptet, seine Schwester habe ihn telefonisch beauftragt, den Arbeitsvertrag im Namen der Firma S.… K.… zu unterschreiben. Er habe selbst erst im März 2002 von der Insolvenz erfahren und müsse nun auch darum kämpfen, wenigstens Insolvenzgeld zu erhalten. Keinesfalls sei er zum Arbeitgeber geworden.

Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Chemnitz verwiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde des Klägers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser hält der Kläger an seiner Auffassung zur Rechtswegzuständigkeit fest.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Die Vorinstanzen haben zutreffend angenommen, daß sich die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit nicht allein aus § 2 Abs. 1 Nr. 3a, c oder d ArbGG ergibt.

a) Der Beklagte hat den Kläger nicht als Arbeitnehmer iSv. § 5 ArbGG beschäftigt. Wer als Vertreter ohne Vertretungsmacht einen Vertrag schließt, ist zwar dem anderen Teil kraft Gesetzes nach dessen Wahl zur Erfüllung verpflichtet (§ 179 Abs. 1 BGB). Er wird aber nicht selbst Vertragspartner und erwirbt keinen eigenen Erfüllungsanspruch (BGH 14. November 1969 – V ZR 97/66 – NJW 1970, 240, 241; MünchKomm BGB/Schramm 4. Aufl. § 179 Rn. 32). Der Beklagte ist deshalb nicht Arbeitgeber iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG geworden (anders wohl Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 2 Rn. 51).

b) Der Rechtsstreit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses (§ 2 Abs. 1 Nr. 3c ArbGG) setzt zwar nicht voraus, daß es zu einem Arbeitsverhältnis gekommen ist. Die Verhandlungen müssen aber auf ein Arbeitsverhältnis gerade zwischen den Parteien des Rechtsstreits gerichtet gewesen sein; denn auch in § 2 Abs. 1 Nr. 3c ArbGG heißt es “Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern”. Lediglich der Vertragsschluß kann durch entsprechende Vertragsverhandlungen ersetzt werden.

c) Ob § 2 Abs. 1 Nr. 3d ArbGG auch unerlaubte Handlungen außerhalb des Arbeitsverhältnisses umfaßt und ob es wenigstens zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses gekommen sein muß, kann dahinstehen. Selbst wenn man den Zusammenhang mit einem nicht zustande gekommenen Arbeitsverhältnis genügen läßt, muß der Rechtsstreit auch hier gerade zwischen den Parteien geführt werden, deren Arbeitsverhältnis in Rede stand.

2. Die ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte folgt aus § 3 ArbGG iVm. § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG. Nimmt ein Arbeitnehmer jemanden als Vertreter ohne Vertretungsmacht auf die Erfüllung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis oder auf Schadensersatz für solche Forderungen in Anspruch (§ 179 BGB), ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben. Der vollmachtlose Vertreter ist Rechtsnachfolger iSd. § 3 ArbGG. “Rechtsnachfolge” ist weit auszulegen. Entscheidend ist nicht die durch den Arbeitsvertrag oder seine Vor- und Nachwirkungen begründete Rechtsstellung als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, sondern die durch das Arbeitsverhältnis begründete Rechts- und Pflichtenzuständigkeit (BAG 13. Juni 1997 – 9 AZB 38/96 – AP ArbGG 1979 § 3 Nr. 5 = EzA ArbGG 1979 § 3 Nr. 1). Eines förmlichen Wechsels auf Seiten einer der Parteien bedarf es nicht. Es genügt, daß ein Dritter den Rechtsstreit an Stelle der in den §§ 2, 2a ArbGG genannten Prozeßpartei führt (LAG Hamm 6. Januar 1997 – 9 Ta 172/96 – AP ArbGG 1979 § 3 Nr. 3; zustimmend GK-ArbGG/Wenzel Stand Dezember 2002 § 3 Rn. 11, 37).

3. Ob die Vertretungsmacht nachgewiesen ist und ob der Vertretene die Genehmigung des Vertrags verweigert hat bzw. diese als verweigert gilt (§ 179 Abs. 1, § 177 BGB), ist vom Arbeitsgericht zu prüfen. Es handelt sich um doppelrelevante Tatsachen. Entsprechende Feststellungen hierzu schließen die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht aus, sondern führen ggf. zur Unbegründetheit der Klage. Insofern muß die Rechtsnachfolge in eine Parteistellung nach den Zuständigkeitstatbeständen des § 2 ArbGG nicht feststehen, sondern nur substantiiert vorgetragen werden (GK-ArbGG/Wenzel Stand Dezember 2002 § 3 Rn. 47; Grunsky ArbGG 7. Aufl. § 3 Rn. 7; aA Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 3 Rn. 4).

III. Die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe nebst Anwaltsbeiordnung beruht auf den §§ 114, 121 ZPO.

IV. Der Beklagte hat gem. § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten der sofortigen Beschwerde und der Rechtsbeschwerde zu tragen.

V. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 25 Abs. 2 GKG. Der Streitwert im Bestimmungsverfahren beträgt 1/3 des Hauptsachestreitwerts.

 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Linck

 

Fundstellen

Haufe-Index 940715

BAGE 2004, 10

DB 2003, 1856

NJW 2003, 2554

BuW 2003, 572

ARST 2004, 44

FA 2003, 243

NZA 2003, 813

SAE 2004, 77

AP 2007

AP, 0

EzA-SD 2003, 17

EzA

MDR 2003, 1360

ArbRB 2003, 240

www.judicialis.de 2003

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