1. Problemaufriss

 

Rz. 5

Bei der gesellschaftsfinanzierten D&O-Versicherung sind eine Vielzahl von Organpersonen und ggf. leitende Mitglieder der Konzerngesellschaften mitversichert. Hier drängt sich die Frage auf, wie sich Defizite/Versäumnisse einzelner "Akteure" auf den Versicherungsschutz einer versicherten Person auswirken? Die Zentralfrage ist, wie autonom die Rechte der Versicherten sind. Wie wirken sich Versäumnisse/Handlungen/Kenntnisse der Versicherungsnehmerin oder anderer Versicherter auf den Direktanspruch und den Versicherungsschutz des betreffenden Versicherten aus? Die Versicherten sind in der Regel am Abschluss und bei Änderungen des D&O-Versicherungsvertrags nicht beteiligt. Für sie ist von essentieller Bedeutung wie sich "Störfälle" und "Defizite" bei der Vertragsanbahnung und der Durchführung des Vertrags, aber auch wie sich Kenntnisse und Verhaltensweisen anderer Personen auswirken.[1] Folgende Fragen lassen sich zu diesem Problemkreis formulieren:

 

Rz. 6

  1. Welches Verhalten und welches Wissen müssen sich die jeweiligen Versicherten zurechnen lassen?
  2. Schadet dem Versicherten eine Arglistanfechtung des Vertrags?
    (siehe dazu die Ausführungen unten bei A-8 AVB D&O I 3 sowie bei B1-1- II AVB D&O)
  3. Schadet dem Versicherten ein Rücktritt vom Vertrag gemäß § 19 Abs. 2 VVG?

    (siehe dazu auch die Ausführungen bei B1-1- II AVB D&O)

  4. Schadet es den Versicherten, wenn ein anderer Versicherter oder die Versicherungsnehmerin den Versicherungsfall vorsätzlich gemäß § 103 VVG herbeigeführt hat, also einen subjektiven Risikoausschluss verwirklicht hat? (siehe dazu auch die Ausführungen beim A-8 AVB D&O II 3).
  5. Schadet es dem Versicherten, wenn nicht er, sondern nur ein anderer Versicherter eine wissentliche Pflichtverletzung bzw. einen anderen Risikoausschluss verwirklicht hat? (siehe dazu unten bei A-8 AVB D&O I 2 und II)
  6. Schadet dem Versicherten die Verletzung der Aufklärungsobliegenheit durch die Versicherungsnehmerin, etwa weil diese die geforderten Auskünfte nicht erteilt oder Unterlagen nicht zusammenstellt?

    (siehe dazu unten bei A-8 AVB D&O III und bei B-3-3 AVB D&O)

  7. Schadet es dem Versicherten, wenn die Versicherungsnehmerin den Versicherungsfall nicht rechtzeitig angezeigt hat?

    (siehe dazu auch die Ausführungen unten bei B3-3.3 AVB D&O I, II)

  8. Schadet dem Versicherten ein von ihm weder veranlasste noch ihm bekannte Gefahrerhöhung?

    (siehe dazu auch die Ausführungen unten bei B3-3.2 AVB D&O II)

  9. Wirkt sich ein Prämienzahlungsverzug unter gleichen Bedingungen wie sonst bei der Versicherungsnehmerin mit der Rechtsfolge der Leistungsfreiheit für den Versicherten aus?

    (siehe dazu auch die Ausführungen unten bei B1-3.3 AVB D&O)

[1] Melot de Beauregard/Gleich NJW 2013, 824, 827.

2. D&O-Versicherungsvertrag zu Gunsten der Versicherten

 

Rz. 7

Die Versicherung auf fremde Rechnung begründet einen Vertrag zu Gunsten Dritter, hier der Versicherten. Die Vorschriften in den §§ 328 ff. BGB sind grundsätzlich anwendbar.[1] Dies gilt gerade für die D&O-Versicherung.[2] Da dem jeweiligen Versicherten die versicherungsrechtlichen Ansprüche auf Rechtsschutz, Abwehr bzw. Freistellung zustehen, kann über diese die Versicherungsnehmerin selbst nicht verfügen. Dies ändert sich auch in einem etwaigen Insolvenzverfahren der Versicherungsnehmerin nicht.[3]

 

Rz. 8

Bei einem Vertrag zu Gunsten Dritter heißt es in § 328 Abs. 2 BGB, dass in Ermangelung einer besonderen Bestimmung aus den Umständen, insbesondere aus dem Zweck des Vertrags zu entnehmen ist, ob der Dritte das Recht erwerben, ob das Recht des Dritten sofort oder nur unter gewissen Voraussetzungen entstehen soll und ob den Vertragschließenden – also unter Ausschluss des Dritten - die Befugnis vorbehalten sein soll, das Recht des Dritten ohne dessen Zustimmung aufzuheben oder zu ändern. In § 334 BGB heißt es, dass Einwendungen aus dem Vertrag dem Versprechenden, dies wäre hier der D&O-Versicherer auch gegenüber dem Dritten zustehen. Aus diesem Satz könnte man schließen, dass der Versicherer gegenüber der jeweiligen versicherten Person dieselben Einwendungen erheben kann, die er sonst gegenüber der Versicherungsnehmerin erheben könnte.[4] Allerdings hat der BGH zutreffend auch ausgeführt, dass "die bei der Versicherung für fremde Rechnung vorhandene Gefährdung der Rechte des Versicherten durch ihre Abhängigkeit von dem Verhalten des VN … durch besondere Vereinbarungen der Beteiligten ausgeschlossen werden [kann]"[5]. Genau dies haben die Parteien bei der D&O-Versicherung konkludent vereinbart. Eine Auslegung des D&O-Versicherungsvertrags auf der Grundlage eines Deckungskonzept, das im Kern den AVB D&O entspricht ergibt, dass § 334 BGB abbedungen ist und den Versicherten die Direktansprüche durch die Kenntnis oder das Verhalten der Versicherungsnehmerin nicht entzogen werden können. Gleiches gilt für das Verhalten und die Kenntnis der anderen versicherten Personen. Allerdings ist in diesem Bereich alles umstritten, wobei zur D&O-Versicherung kein BGH-Urteil vorliegt, das sich mit der Zurechnung beschäftigt. Nach dem hiesigen Verständnis wird die gesellschaftsfin...

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