Rz. 16

Die Haftungsfrage ist von der Deckung zu trennen. Dies bedeutet, dass die Frage der Haftung unabhängig von der Frage der versicherungsrechtlichen Deckung festgestellt wird (Trennungsprinzip[1]). Gleichwohl kann der Versicherer die Feststellungen im Haftungsprozess nicht ausblenden und die Haftungsfrage eigenständig für die Deckung prüfen. Die Bindungswirkung folgt aus dem Haftpflichtversicherungsverhältnis resultierenden Leistungsversprechen des Versicherers, den Versicherten entsprechend der rechtskräftig festgestellten Haftung freizustellen.[2] Wird z.B. im Schadensersatzprozess gegen den Geschäftsführer festgestellt, dass dieser fahrlässig, aber nicht vorsätzlich den Schaden herbeigeführt hat, kann der Versicherer dies nicht abweichend für die Deckung zugrunde legen. Der Versicherte erwartet, dass der Versicherer, der den Haftungsprozess führen und den Ablauf bestimmen darf, die dortigen Feststellungen auch für sich als verbindlich erachtet. Insofern wird eine Bindungswirkung des Haftpflichturteils für die Deckungsfrage angenommen.

 

Rz. 17

"Bindungswirkung und Trennungsprinzip, wonach grundsätzlich im Haftpflichtprozeß abschließend über den Haftungstatbestand entschieden wird, sind dem Leistungsversprechen des Haftpflichtversicherers im Wege der Auslegung zu entnehmen.[3]" Die Bindungswirkung entfällt nicht deshalb, weil der Haftpflichtversicherer bereits den Versicherungsschutz wegen Vorsatzes versagt hat, also für sich die Akte geschlossen hat und sich am Haftungsprozess deshalb gar nicht mehr beteiligt. Wird im Haftungsprozess festgestellt, dass kein Vorsatz vorliegt, ist der Versicherer daher daran gebunden, auch wenn er sich an diesem wegen seiner Deckungsablehnung nicht beteiligt hat.[4]

 

Rz. 18

Die Feststellungen im Haftungsprozess haben also grundsätzlich für die Beurteilung der versicherungsrechtlichen Deckung Bindungswirkung, vereinbarte Ausschlüsse können zur Anwendung kommen, müssen aber die Feststellungen des Haftungsprozesses berücksichtigen, jedenfalls soweit Voraussetzungsidentität besteht (siehe dazu sogleich).

 

Rz. 19

Das OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 27.3.2014 – 7 U 242/13, 2015, 78, Rdnr. 14, hat die Bindungswirkung für die D&O-Versicherung wie folgt umschrieben: "Grundsätzlich ist im Haftpflichtprozess zu entscheiden, ob und in welcher Höhe der Versicherungsnehmer dem Dritten gegenüber haftet, und wird im Deckungsprozess geklärt, ob der Versicherer dafür eintrittspflichtig ist (st. Rspr. des BGH, vgl. BGH, VersR 2007, 461; BGHZ 117, 345 [350] = NJW 1992, 1509; BGHZ 119, 276 [278] = NJW 1993, 68). Notwendige Ergänzung dieses Trennungsprinzips ist die Bindungswirkung des rechtskräftigen Haftpflichturteils für den nachfolgenden Deckungsrechtsstreit. Sie bedeutet, dass das Ergebnis des vorangegangenen Haftpflichtprozesses für die Deckungsfrage verbindlich ist. Damit wird verhindert, dass die im Haftpflichtprozess getroffene Entscheidung und die zugrundeliegenden Feststellungen im Deckungsprozess erneut überprüft werden können (BGHZ 117, 345 [350] = NJW 1992, 1509; BGHZ 119, 276 [278 f.] = NJW 1993, 68). Die Bindungswirkung folgt nicht aus der Rechtskraft des Haftpflichturteils, da der Versicherer am Haftpflichtprozess nicht als Prozesspartei beteiligt ist, sondern aus dem Leistungsversprechen, das der Haftpflichtversicherer dem Versicherungsnehmer im Versicherungsvertrag gegeben hat. Dieser Vertrag verpflichtet den Versicherer schlechthin zu der Hauptleistung, den Versicherten von den gegen ihn erhobenen Haftpflichtansprüchen Dritter und deren Folgen auf welche Weise auch immer freizuhalten. Der Versicherer erhält dafür die Gegenleistung in Form des Versicherungsbeitrags. Der durch die üblichen Sanktionen des Versicherungsvertragsrechts gesicherte redliche Umgang des Versicherungsnehmers mit den vereinbarten Obliegenheiten schützt den Versicherer auch angemessen in seinem Verhältnis zum Versicherungsnehmer (BGHZ 119, 276 [280 f.] = NJW 1993, 68)."

 

Rz. 20

Sofern das Gericht den Haftpflichtanspruch auf einen versicherten Pflichtenverstoß stützt, kann der D&O-Versicherer nicht eine andere ggf. vom Versicherungsschutz ausgeschlossene Pflichtverletzung, z.B. eine wissentliche Pflichtverletzung an die Stelle setzen.[5] Allerdings gilt die Bindungswirkung nur soweit die Voraussetzungen identisch sind (sog. Voraussetzungsidentität), weil nur dann das Ergebnis identisch sein muss. Sind im Haftpflichtprozess Feststellungen offengeblieben, ist auch keine Bindungswirkung eingetreten. Diese Fragen können daher im Deckungsprozess entschieden werden.[6] Genügte im Haftpflichtprozess eine fahrlässige Begehung, musste das Gericht keine Feststellungen treffen, ob eine wissentliche Pflichtverletzung oder vorsätzliche Schadensherbeiführung vorliegt.[7] Hat das Gericht z.B. nur eine vorsätzliche Pflichtverletzung festgestellt, kann dies eine wissentliche nicht versicherte Pflichtverletzung oder aber auch eine noch versicherte bedingt vorsätzliche Pflichtverletzung umfassen. Die Frage war im Haftungsprozess ni...

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