Rz. 25

In der Haftpflichtversicherung lässt sich der Versicherer grundsätzlich bevollmächtigen die Schadensabwicklung im Namen der Versicherungsnehmerin bzw. des Versicherten zu übernehmen. Eine spezielle gesetzliche Regelung im VVG gibt es hierfür nicht. Es gilt der allgemeine Teil des BGB, wonach Vollmachten erteilt werden können. Dies betrifft auch die Prozessführung. Man spricht hier vom Prozessführungsrecht des Haftpflichtversicherers. Der Versicherer erhält nach A-6.2 AVB D&O sowohl eine Regulierungsvollmacht als auch eine Prozessführungsvollmacht.[1]

 

Rz. 26

Aufgrund der Regulierungsvollmacht kann der Versicherer alle ihm zur Abwicklung des Schadens oder Abwehr der Schadenersatzansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen der versicherten Personen abgeben. Die Prozessführungsvollmacht berechtigt den Versicherer in einem Rechtsstreit über die gegen die versicherten Personen erhobenen Schadenersatzansprüche zu verhandeln. Er führt danach den Rechtsstreit im Namen der versicherten Personen.

 

Rz. 27

Der BGH hat am 19.3.2022[2] entschieden, dass der Haftpflichtversicherer den Versicherungsnehmer nicht im sog. Parteiprozess vertreten darf. Dies gilt gleichermaßen für den Versicherten. Gemeint ist, dass der Versicherer den Versicherten in Prozessen, bei denen kein Anwaltszwang gilt, also bei Streitwerten bis 5.000 EUR, nicht vertreten darf. Das Urteil ist zur Tierhalterhaftpflichtversicherung ergangen. Der Haftpflichtversicherer hatte für seinen Versicherungsnehmer gegen einen Vollstreckungsbescheid, der einen Schadensersatzanspruch wegen eines Hundebisses betraf, Einspruch eingelegt. Der BGH hat unter anderem einen Verstoß gegen § 79 Abs. 2 Satz 2 ZPO angenommen. Dort werden die Personen aufgeführt, durch die sich die Prozessparteien im Prozess vertreten lassen können. Dies sind z.B. Rechtsanwälte, Inkassodienstleister und in bestimmten Angelegenheiten Verbraucherzentralen. Haftpflichtversicherer werden dort nicht genannt. Der D&O-Versicherer müsste daher seinerseits, wenn er sich auf seine Prozessführungsvollmacht beruft, einen Anwalt beauftragen. Nach den üblichen Bedingungen darf sich der Versicherte einen Anwalt wählen – anders ist dies nach B3-3.2 f) AVB D&O. Wird gegen eine versicherte Person ein Anspruch gerichtlich geltend gemacht, hat sie die Führung des Verfahrens dem Versicherer zu überlassen. Der Versicherer beauftragt im Namen der versicherten Person einen Rechtsanwalt (siehe dazu die Ausführungen unter B3-3 AVB D&O).

 

Rz. 28

Eine so weitgehende Vollmacht ist solange aus Sicht der versicherten Personen akzeptabel, wie Versicherungsschutz gewährt wird. In der Praxis besteht häufig auch das Interesse, dass der Versicherer die Regulierungsverhandlungen an sich zieht, sie zumindest koordiniert und organsiert. Problematisch wird es jedoch, wenn der Versicherer im Verlaufe oder am Ende des Prozesses seine Eintrittspflicht ablehnt und den Versicherten dann mit dem Ergebnis seiner Regulierung zurücklässt.

 

Rz. 29

 

Beispiel: "Wir wehren ab"[3]

Eine GmbH vermittelte Immobilien als Kapitalanlage. Hierbei beschäftigte sie auch Untervertriebspartner, die Käufer für Objekte gewinnen sollten. Mit einer anderen Gesellschaft, die Immobilien vertrieb, bestand eine Rahmenvereinbarung, wonach die GmbH berechtigt war, ihren Kunden die Immobilien der anderen Gesellschaft anzubieten, wobei ihre Kunden, die dann in Kontakt mit der anderen Gesellschaft treten, Kundenschutz genießen. Das heißt die andere Gesellschaft darf diesen Kunden nicht selbst die betreffenden oder auch andere Immobilien anbieten. Dieser Kundenschutz galt vor allem auch für die Kunden der Untervertriebspartner der GmbH.

 

Rz. 30

Beim Abschluss des neuen Rahmenvertrags erfolgte neben einer Reduzierung des Provisionssatzes die Streichung der Kundenschutzklausel. In der Folge wurden daher Kunden abgeworben, wodurch Schäden bei den Untervertriebspartnern entstanden, die diese gegenüber der GmbH geltend machten. Die GmbH wiederum will hierfür ihren Geschäftsführer in die Haftung nehmen, weil sie meint die Streichung der Kundenschutzklausel im neuen Rahmenvertrag und die Reduktion des Provisionssatzes stelle ein pflichtwidriges Verhalten des Beklagten nach § 43 Abs. 2 GmbHG dar.

 

Rz. 31

Der D&O-Versicherer bespricht sich nach Anzeige des Versicherungsfalls mit dem Versicherten bzw. mit dessen Anwalt. Dieser erläutert, dass der Geschäftsführer vor der Wahl stand, entweder eine Kündigung des Rahmenvertrags zu kassieren oder die Änderungen zu akzeptieren. Deshalb habe er sich auf die Verschlechterung des Rahmenvertrags einlassen müssen. Dies sei nicht pflichtwidrig gewesen, sondern lag im Rahmen des unternehmerischen Ermessens. Der Versicherer schreibt für den Versicherten die GmbH an und weist den Schadensersatzanspruch zurück, auch eine vergleichsweise Lösung soll nicht erfolgen. Die GmbH forderte hierbei einen Vergleichsbetrag in Höhe von 100.000 EUR, dies sei nur ein Bruchteil des tatsächlich entstandenen Schadens. Der Versicherer lehnt einen solchen Verg...

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