Rz. 6

Für den Versicherungsschutz der Versicherten ist von essentieller Bedeutung, ob und wie sich eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit oder die vom Versicherer ausgesprochene Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung auf ihren Versicherungsschutz bzw. Direktanspruch auswirken. Büßen diese ihren Versicherungsschutz infolge der Nichtigkeit des Versicherungsvertrags bei Anfechtung ein? Müssen sich die Versicherten auch den Rücktritt nach § 19 Abs. 2 VVG infolge der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit entgegenhalten lassen?

 

Rz. 7

Nach der hier vertretenen Auffassung ist dies nicht der Fall (siehe die Ausführungen unter A-8 AVB D &O unter II. und III.). Demgegenüber geht die nahezu einhellige Gegenansicht von einer Gesamtwirkung aus und misst der Anfechtung und dem Rücktritt jedenfalls dann, wenn keine sog. (strengen) Severability-Klauseln vereinbart sind, Gesamtwirkung zu.[1] Den versicherten Personen schadet jedoch nur die eigene Arglist bzw. die persönlich vorgenommene Verletzung der Anzeigeobliegenheit. Dem Versicherer bleibt es unbenommen, über die Versicherungsnehmerin bei der Antragsaufnahme von allen zu versichernden Personen Fragenkataloge anzufordern, die von diesen zu beantworten sind.

 

Rz. 8

 

Beispiel: "Der verschwiegende Vorschaden".

2015 hatte die GmbH, die noch über keinen D&O-Versicherungsschutz verfügte, einen großen Haftungsfall. Die GmbH verklagte damals ihren ehemaligen Geschäftsführer und gewann den Prozess. Den zugesprochenen Schadensersatz in Höhe von 1 Mio. EUR konnte dieser jedoch nicht zahlen und fiel ins Insolvenzverfahren. Aufgrund dieser Erfahrung beantragte die GmbH 2017 eine D&O-Versicherung. Bei der Frage, ob es Organhaftungsfälle in den letzten fünf Jahren gab, kreuzt der für Versicherungsangelegenheiten zuständige Geschäftsführer "Nein" an. Dies obwohl der Geschäftsführer wusste, dass es den Haftungsfall 2015 gab. Die GmbH erhielt den Versicherungsvertrag. 2022 wurde ein weiterer Geschäftsführer bestellt. Kurz nach seinem Dienstantritt schloss er ein Vertrag mit einem ausländischen Vertragspartner über die Lieferung von Waren und vergaß die Bonitätsprüfung, weshalb die Forderung ausfiel. Hierfür soll er in die Haftung genommen werden. Der D&O-Versicherer ficht den Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung an und beruft sich darauf, auch gegenüber dem neu eingetretenen Geschäftsführer leistungsfrei zu sein. Dieser wusste nichts von dem erledigten und im Antrag verschwiegenen Haftungsfall.

 

Rz. 9

Wendet man die gesetzlichen Vorschriften an, läge eine rückwirkende Nichtigkeit des Versicherungsvertrags vor (§ 142 Abs. 1 BGB). Der Versicherer wurde arglistig getäuscht, als ihm trotz Nachfrage der erhebliche Vorschaden verschwiegen wurde. Er konnte daher den Versicherungsvertrag anfechten (§ 123 Abs. 1 VVG). Der Geschäftsführer, der die falsche Angabe getätigt hat, ist Repräsentant der GmbH bzw. auch Wissensvertreter, so dass diese falsche Angabe der GmbH zuzurechnen ist. Ohne diese Täuschung hätte er den D&O-Versicherungsvertrag ggf. nicht oder nicht zu den vereinbarten Konditionen geschlossen. Aufgrund der Nichtigkeit des Versicherungsvertrags, entfiele auch für den erst 2022 eingetretenen Geschäftsführer der Versicherungsschutz. Dass diese Rechtslage auch bei der D&O-Versicherung gilt, wird ganz überwiegend vertreten, auch mit der Konsequenz, dass der redliche Versicherte seinen Versicherungsschutz verliert.[2] Dieses Ergebnis versucht die Bedingungspraxis zu vermeiden, indem sie in den Bedingungen ein Verzicht auf das Anfechtungsrecht zu Gunsten des redlichen Versicherten vereinbart (siehe dazu die Ausführungen unter III).

[1] Looschelders VersR 2018, 1413, 1421, siehe die Nachweise in der folgenden Fußnote.
[2] Armbrüster FS Windbichler 2020, 473, 483; Melot de Beauregard/Gleich NJW 2013, 824, 828.

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