I. Das Rechtssystem

 

Rz. 1

Das australische Recht setzt sich zusammen aus den von Bund- und Länderparlamenten verabschiedeten Gesetzen und aus dem Präzedenz- oder Fallrecht (Common Law). Letzteres basiert auf dem englischen Common Law, welches von den australischen Gerichten weiterentwickelt wurde.[2] Seit 2001 bzw. 2006 (NSW and ors vs Cth, 2006) ist das Handels- und Wirtschaftsrecht Bundesrecht.

 

Rz. 2

Seit dem 15.7.2001 unterfallen Fragen auf dem Gebiet des Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrechts dem Aktiengesetz 2001 (Corporations Act 2001 – Cth; nachfolgend: "Corporations Act"), das als Bundesgesetz in ganz Australien Geltung beansprucht (in allen sechs Mitgliedstaaten, nämlich New South Wales, Queensland, South Australia, Tasmanien, Victoria und Western Australia, sowie in den zwei Territorien, nämlich Australian Capital Territory (ACT) und Northern Territory). Des Weiteren hat das oberste australische Bundesgericht (High Court of Australia) nicht nur die seitens der Bundesregierung betriebene Föderalisierung des corporations law (Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht), sondern auch des Arbeitsrechts hochgehalten. Im Jahr 2006 hatten einzelne australische Staaten – wenn auch ohne Erfolg – die Nutzung der corporations power durch die Regierung nach Sec. 51(xx) der Verfassung angefochten (NSW vs Commonwealth (2006)). Darüber hinaus ist das Arbeitsrecht seit dem 1.1.2010 weitgehend bundesgesetzlich reguliert (Fair Work Act 2009).

 

Rz. 3

Da die beiden größten politischen Parteien – die Labor-Partei und die Liberalen – eine Föderalisierung des Gesellschaftsrechts verfolgen, kann von einem Weiterbestehen dieses Trends in der weiteren Zukunft ausgegangen werden. Die – zur Zeit der Aktualisierung dieses Beitrags virulente – Corona-Pandemie hat diesen Trend noch verstärkt; die einzelstaatlichen Gesetzgeber testen durch individuelle Regelungen die verfassungsrechtlichen Grenzen der ihrer Gesetzgebungsspielräume auf diesem Gebiet eher extensiv aus.

 

Rz. 4

Die Australian Securities and Investment Commission ("ASIC") ist die nationale Verwaltungs- und Überwachungsbehörde auf dem Gebiet des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts. Der ASIC obliegt die allgemeine Verwaltung des Corporations Act.[3]

[2] Vgl. Fritzemeyer/Strohmaier, IWB 2005, F 9, Gruppe 3, S. 12. Zu den konzeptionellen Grundlagen des Common Law im Vergleich zu denen des Civil Law, aber auch der fortwährenden Annäherung der beiden Rechtskreise vgl. auch Fritzemeyer, "Common Law vs. Civil Law – Dichotomie oder Konvergenz der Rechtssysteme, in FS für Kay Hailbronner, "Grenzüberschreitende Recht – Crossing Frontiers", Hrsg. Jochum/Fritzemeyer/Kau, 2013, S. 833–844."
[3] Vgl. Fritzemeyer/Strohmaier, IWB 2005, F 9, Gruppe 3, S. 15 f.; Redmond, Corporations and Financial Markets Law, Rn 2.125; siehe auch Sec. 5B Corporations Act; Sec. 11 Australian Securities and Investments Commission Act 2001 (Cth).

II. Gesellschaftsformen

 

Rz. 5

Eine der wesentlichen Fragen, die sich bei der Ausarbeitung eines jeden Investitionsvorhabens stellt, ist die nach der geeigneten Organisationsform. Die in Australien gebräuchlichen Rechtsformen sind:[4]

Kapitalgesellschaften (corporations), einschließlich Niederlassungen (branches)ausländischer Gesellschaften in Australien;
Personengesellschaften (partnerships);
Joint Ventures;
Trading trust;
Einzelgewerbetreibende (Sole trader).

Welche Gesellschaftsform die geeignete ist, kann nur im Einzelfall entschieden werden.

[4] Secs. 45A–45B und Secs. 112–115 Corporations Act.

1. Kapitalgesellschaften

 

Rz. 6

Es gibt verschiedene Gesellschaftsformen. Die zwei gebräuchlichsten Formen von Kapitalgesellschaften sind:

die public company (üblicherweise als "XY Limited" oder "XY Ltd." firmierend);[5]
die proprietary (oder private) company (personalistische Kapitalgesellschaft, die der deutschen GmbH vergleichbar ist; üblicherweise als "XY Pty Ltd" firmierend),[6] bei der weiter zwischen großer und kleiner proprietary company zu unterscheiden ist.[7]

Beide Gesellschaftsformen unterliegen dem bereits in Rdn 2 beschriebenen, seit 1.1.1991 einheitlich in ganz Australien geltenden, Corporations Law.

 

Rz. 7

Bei der proprietary company wird zwischen kleiner und großer proprietary company unterschieden. Eine kleine proprietary company liegt vor, wenn mindestens zwei der folgenden drei Kriterien erfüllt sind, wobei das Vorliegen der Kriterien stichtagsbezogen auf das Jahresende zu beurteilen ist:[8]

ein betrieblicher Bruttoertrag von weniger als 50 Mio. A$;
ein Bruttovermögen von weniger als 25 Mio. A$;
weniger als 100 Beschäftigte.

Übersteigt die proprietary company mindestens zwei dieser Größenklassen, dann wird sie als große proprietary company behandelt.[9] Diese Differenzierung zwischen kleiner und großer proprietary company hat, wie im Folgenden dargestellt, eine Reihe unterschiedlicher Rechtsfolgen für deren gesellschaftsrechtlichen Behandlung.

 

Rz. 8

Die wichtigsten Unterschiede zwischen einer public company und einer proprietary company sind:[10]

Eine proprietary company kann höchstens 50 Anteilseigner haben, die ni...

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