Leitsatz

Die Art. 17, 18 Abs. 2 und 3 und Art. 21 Nr. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie stehen einer nationalen Ausschlussfrist für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts nicht entgegen. Allerdings stehen die Art. 18 Abs. 1 Buchst. d und 22 der 6. EG-Richtlinie einer Praxis entgegen, nach der eine Nichterfüllung zum einen der Verpflichtungen, die sich aus den von der nationalen Regelung in Anwendung von Art. 18 Abs. 1 Buchst. d vorgeschriebenen Förmlichkeiten ergeben, und zum anderen der Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten nach Art. 22 Abs. 2 und 4 im Fall der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens mit der Verwehrung des Abzugsrechts geahndet wird.

 

Sachverhalt

Die betroffene Handels-AG mit Sitz in Italien beauftragte mit der Warenbeförderung in andere EU-Mitgliedstaaten nicht in Italien ansässige Frachtführer. In deren Rechnungen wurde Mehrwertsteuer nicht ausgewiesen, einige enthielten den Vermerk "steuerfrei". Die AG erklärte diese Vorgänge nicht in ihren Steuererklärungen.

Für die innergemeinschaftlichen Güterbeförderungen fällt italienische Umsatzsteuer an (vgl. § 3b Abs. 3 Satz 2 UStG). Da der Leistende aus italienischer Sicht jeweils im Ausland ansässig war, ist die AG unstrittig insoweit der Schuldner der italienischen Steuer (sog. Reverse-Charge-Verfahren, in Deutschland § 13b Abs. 1 Nr. 1 UStG). Wegen Nichtbeachtung der Aufzeichnungspflichten (= kein Eintrag in den in Italien insoweit auszustellenden internen “Ausgangsrechnungen), wurde der AG der Vorsteuerabzug aus der Reverse-Charge-Umsatzsteuer verweigert. Es ergaben sich daher erhebliche Nachzahlungen. Das Vorsteuerabzugsrecht der AG sei verfallen, weil dieser nicht innerhalb der in Italien geltenden 2-Jahresfrist ausgeübt wurde, während die für die Steuerverwaltung geltende 4-jährige Frist für die Erhebung der Reverse-Charge-Umsatzsteuer noch nicht abgelaufen war.

Nach Auffassung des EuGH verstößt die für den gleichen Vorgang geltenden o.g. ungleichen Ausschlußfristen zwar nicht gegen den Gleichheitssatz. Jedoch ergibt sich aus dem gesamten Vorgang letztlich keine Steuerbelastung für die AG als Leistungsempfänger. Trotz Nichtbeachtung der geltenden Aufzeichnungspflichten besteht keine Gefahr für das Steueraufkommen des betreffenden Mitgliedstaats.

Deshalb dürfen die von Italien vorgeschriebenen von den Steuerpflichtigen zu erfüllenden "Förmlichkeiten" zur Ausübung des Abzugsrecht im Rahmen des Reverse-Charge-Verfahrens nicht unverhältnismäßig sein; deren Nichtbefolgung darf nicht zum endgültigen Verlust des Vorsteuerrechts aus der Reverse-Charge-Umsatzsteuer führen.

 

Hinweis

In Deutschland existieren keine ähnlichen die Wirtschaft belastende "förmlichen" Vorschriften für den Vorsteuerabzug aus der nach § 13b UStG geschuldeten Vorsteuer (vgl. Abschn. 201 Abs. 4 bzw. Abschn. 182a Abs. 40 bis 44 UStR).

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil v. 8.5.2008, Rs. C-95/07 und C-96/07.

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