Tenor

Dem europäischen Gerichtshof werden gemäß Art. 177 EGV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Sind Art. 48, 59, 60 EGV so auszulegen, daß sie durch eine Vorschrift des nationalen Rechts – § 1 Abs. 3 Satz 1 AEntG – verletzt werden, die die Geltung der Rechtsnormen für allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge über die Einziehung von Beiträgen und die Gewährung von Leistungen im Zusammenhang mit Urlaubsansprüchen von Arbeitnehmern durch gemeinsame Einrichtungen von Tarifvertragsparteien, und damit die Rechtsnormen dieser Tarifverträge über das dabei zu beachtende Verfahren, auf einen im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seine in den räumlichen Geltungsbereich dieser Tarifverträge entsandten Arbeitnehmer erstreckt?
  2. Sind Art. 48, 59, 60 EGV so auszulegen, daß sie durch die Vorschriften des § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 AEntG verletzt werden, die die Anwendung von Rechtsnormen für allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge zur Folge haben, die

    1. eine Urlaubslänge vorsehen, die über die in der Richtlinie 93/104/EG des Rates der Europäischen Union vom 23.11.1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung festgelegte Mindestlänge des Jahres-Erholungsurlaubs hinausgeht,
    2. und/oder
    3. einen Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen für Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld gegen gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien in Deutschland ansässigen Arbeitgebern zubilligen, für im Ausland ansässige Arbeitgeber aber einen solchen Anspruch nicht vorsehen, sondern stattdessen einen direkten Anspruch der entsandten Arbeitnehmer gegen die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien,
    4. und/oder
    5. im Rahmen des nach diesen Tarifverträgen zu beachtenden Sozialkassenverfahrens Auskunftsverpflichtungen der im Ausland ansässigen Arbeitgeber gegenüber gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorsehen, die dem Umfang der zu erteilenden Auskünfte nach über den Umfang hinausgehen, der die in Deutschland ansässigen Arbeitgeber trifft?
  3. Sind Art. 48, 59, 60 EGV so auszulegen, daß sie durch die Regelung des § 1 Abs. 4 AEntG verletzt werden, derzufolge für die Zuordnung zu dem betrieblichen Geltungsbereich eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages, der nach § 1 Abs. 3 Satz 1 AEntG auch für im Ausland ansässige Arbeitgeber und ihre in den räumlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrags entsandten Arbeitnehmer gilt, alle – aber auch nur die – nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer als ein Betrieb gelten, obwohl für in Deutschland ansässige Arbeitgeber ein abweichender Betriebsbegriff gilt, der in bestimmten Fällen zu einer abweichenden Abgrenzung der Betriebe führt, die unter den Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags fallen?
  4. Ist Art. 3 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen dahin auszulegen, daß sie mit Rücksicht auf die korrekte Auslegung der Art. 48, 59, 60 EGV jedenfalls die mit den Vorlagefragen 1 bis 3 problematisierten Regelungen weder anordnet noch zuläßt?
 

Tatbestand

I.

Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer Gesellschaft nach … Recht ein Bauunternehmen mit Sitz in …. Sie hat Arbeitnehmer zur Erbringung baulicher Leistungen in die Bundesrepublik Deutschland entsandt.

Die … ist eine bereits 1949 gegründete, in der Rechtsform des wirtschaftlichen Vereins im Sinne von § 22 BGB errichtete gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes im Sinne von § 4 Abs. 2 Tarifvertragsgesetz (TVG). Sie hat ihren Sitz in W.. Der Hessische Minister des Innern hat ihr am 20. Juli 1950 die Rechtsfähigkeit verliehen.

Die … verlangt von der Klägerin auf der Grundlage des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 12. November 1986 (Verfahrenstarifvertrag – VTV) in der Fassung vom 18. Dezember 1996 und gestützt auf § 1 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (Arbeitnehmerentsendegesetz – AEntG) vom 26. Februar 1996 (BGBl. I, S. 227) die Teilnahme an dem durch den zitierten Tarifvertrag vorgesehenen Umlageverfahren zur Finanzierung der Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer im Baugewerbe. Zur Vorbereitung der Erhebung hier vorgesehener Beitragszahlungsforderungen verlangt sie von der Klägerin die Erteilung bestimmter, in dem zitierten VTV vorgesehener Auskünfte. Die Klägerin macht im Rahmen einer negativen Feststellungsklage geltend, sie sei zur Erfüllung dieser Zahlungs- und Auskunftsansprüche nicht verpflichtet. Ob die Inanspruchnahme der Klägerin ohne Verstoß gegen zwingend zu beachtende Vorschriften des EG-Vertrages möglich ist, ist zweifelhaft. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur Auslegung der einschlägigen Normen des EG-Vertrages erscheint erforderlich. Deshalb legt das erkennende Gericht dem Europäischen Gerichtshof gem. Art. 177 Abs. 2 EG-Vertrag die aus dem Tenor ersichtlichen Fragen zur Vorab-Entscheidung vor.

1. Zum deutsc...

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