Das Urteil ist – nicht – rechtskräftig.

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bei gesetzlich angeordnetem Übergang eines Arbeitsverhältnisses vom Land in Stufen zu einem privaten Arbeitgeber

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die gesetzliche Überleitung von Arbeitsverhältnissen eines Landes über eine Anstalt des öffentlichen Rechts in Stufen auf einen privaten Arbeitgeber löst ein Widerspruchsrecht der betroffenen Arbeitnehmer aus, unabhängig davon, ob ein solches Recht im Gesetz vorgesehen ist oder nicht.

2. Eine solche Überleitung vom öffentlichen Dienst zum privaten Arbeitgeber gegen den Willen des Arbeitnehmers verstößt gegen wichtige verfassungsrechtlich gewährleitstete Rechtspositionen des Arbeitnehmers, insbesondere gegen dessen Rechte aus Artikel 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde), Artikel 2 Abs. 1 GG (Persönlichkeitsrecht) und Artikel 12 Abs. 1 GG (Berufsausübungsfreiheit, freie Wahl des Arbeitgebers/des Vertragspartners).

3. Staatliche Eingriffe in bestehende Arbeitsverhältnisse mit der Folge der Überleitung der Arbeitsverhältnisse auf einen anderen Arbeitgeber verletzen stets den Schutzbereich des Artikel 12 Abs. 1 GG.

Der vorliegende Eingriff ist unverhältnismäßig und verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, da sich die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter durch den Arbeitgeberwechsel vom Land in den Privatdienst erheblich verändern und den Mitarbeitern mit dem privaten Arbeitgeber kein ähnlich potenter Schuldner wie im Landesdienst mehr zur Verfügung steht (Fortführung von BAG, Urteil vom 02.03.2000 – 8 AZR 124/05 – DB 2006, 1680f).

4. Das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers wird nicht dadurch verhindert, dass das Land die Überleitung des Arbeitsverhältnisses in mehreren, jeweils für sich unangreifbaren Schritten vollzogen hat. Da das Land nach einem Gesamtplan handelte, sind die Einzelschritte als einheitliche Maßnahme zu betrachten.

5. Dahin gestellt bleibt, ob der Landesgesetzgeber auch das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot des Artikel 3 Abs. 1 GG verletzt hat.

Fest steht jedenfalls, dass die vom Land angestrebte Gesamtrechtsnachfolge durch Gesetz ohne Widerspruchsrecht die Arbeitnehmer des Landes gegenüber den Arbeitnehmern der Kommunen und der Privatwirtschaft erheblich benachteiligt, ohne dass ein Rechtfertigungsgrund dafür ersichtlich ist.

6. Das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers ist nicht an eine Frist gebunden, solange die Arbeitgeberseite dieses Recht gegenüber dem Arbeitnehmer bestreitet.

Übt der Arbeitnehmer das Widerspruchsrecht aus, so wirkt es zurück auf den gesetzlich bestimmten Zeitpunkt des Übergangs des Arbeitsverhältnisses mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis beim Land verbleibt.

 

Normenkette

GG Art. 1-3, 12; BGB § 613a

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 18.12.2008; Aktenzeichen 8 AZR 694/07)

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitverhältnis des Klägers nicht auf die Beklagte zu 2) übergegangen ist, sondern aufgrund seines Widerspruchs vom 12.01.2006 über den 01.07.2005 hinaus unverändert zum Land Hessen fortbesteht.

2. Das beklagte Land wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Der Kläger und das beklagte Land haben die Kosten des Rechtsstreits jeweils zur Hälfte zu tragen.

5. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 9.800,00 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Feststellung, dass sein mit dem Land H. begründetes Arbeitsverhältnis nicht auf die Beklagte zu 2) übergegangen ist, sondern beim Land H. fortbesteht. Er begehrt außerdem die Weiterbeschäftigung.

Der Kläger ist beim beklagten Land als Kraftfahrer befristet seit dem 15.04.1985 und unbefristet seit dem 01.03.1986 beschäftigt. Das unbefristete Arbeitsverhältnis beruht auf dem Arbeitsvertrag vom 21.02.1986. Danach ist er als Arbeiter beim Klinikum der P.-Universität M. weiterbeschäftigt worden.

Nach § 2 des Arbeitsvertrages sollte sich das Arbeitsverhältnis nach dem Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder und den diesen ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen bestimmen.

Der Kläger ist Mitglied bei der für das Klinikum zuständigen Gewerkschaft. Das beklagte Land war Mitglied im zuständigen Arbeitgeberverband bis zum 31.03.2004 (Tarifgemeinschaft Deutscher Länder). Die einschlägigen Tarifverträge des öffentlichen Dienstes fanden deshalb auf das Arbeitsverhältnis des Klägers und des beklagten Landes kraft vertraglicher Vereinbarung sowie Organisationszugehörigkeit bzw. seit dem 01.04.2004 kraft Nachbindung Anwendung.

Die Beklagte zu 2) ist nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes.

Der Kläger ist 43 Jahre alt. Er erhielt zuletzt Vergütung nach der Lohngruppe 5a MTL II. Sein Lohn belief sich zuletzt auf 2.450,00 Euro brutto monatlich.

Nach dem Universitätsgesetz des Landes H. vom 12. Mai 1970 wurde die Universität M. in eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts umgewandelt. Nach den Bestimmungen des Gesetzes verblieben allerdings die Beamten, Angestellten und Arbe...

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