Tenor

1.Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.09.2004 nicht beendet wird.

2.Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Arbeiterin weiterzubeschäftigen.

3.Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreite zu tragen.

4.Der Streitwert wird auf 8.440,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die soziale Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung.

Die 1967 geborene Klägerin, gelernte Bürokauffrau, ist seit 1988 bei der Beklagten als Arbeiterin beschäftigt, zuletzt als Prüferin der Fertigung von Wasserzählern.

Infolge einer konzernweiten Verlagerung von Produktionsstandorten kommt es bei der Beklagten zum Wegfall von 41 Vollzeitarbeitsplätzen im Produktionsbereich. Hierüber wurde mit dem Betriebsrat am 23. Juni 2004 ein Interessensausgleich nebst Sozialplan geschlossen.

Für die betriebsweit durchgeführte Sozialauswahl bildete die Beklagte tätigkeitsbezogen 5 Gruppen, darunter die Gruppe C (Prüfer, Anlagenführer, Kontrolleure, Reparateure), der die Klägerin zugeordnet wurde. Aus der Sozialauswahl herausgenommen wurden sodann neben sämtlichen Schwerbehinderten eine Reihe von Arbeitnehmern, zumeist aus fachlichen Gründen.

Die zu Kündigenden wurden schließlich unter Zugrundelegung eines Punkteschemas ermittelt, das jeweils einen Punkt pro vollendetem Lebensjahr sowie pro vollendetem Jahr der Betriebszugehörigkeit, 4 Punkte je unterhaltsberechtigtes Kind sowie 8 Punkte für einen unterhaltsberechtigten Ehegatten vergibt. Der Klägerin wurden nach diesem Schema 54 Punkte zuerkannt.

Zur Begründung ihrer am 18. Oktober 2004 bei Gericht eingegangenen Klage gegen die mit Schreiben vom 27. September 2004 zum 31. März 2005 ausgesprochene Kündigung beruft sich die Klägerin u.a. darauf, mit dem aus der Sozialauswahl herausgenommenen, ebenfalls der Gruppe C angehörigen Arbeitnehmer R. (47 Punkte) vergleichbar zu sein.

Die Klägerin beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten 27.09.2004 nicht beendet wird,
  2. im Falle des Obsiegens die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Arbeiterin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, Herr R. sei ein Lagerarbeiter, der selbstständig die Wareneingangskontrolle mache, wozu mechanische Messungen unter Einsatz von Messmitteln und das Lesen von Zeichnungen gehörte. Darüber hinaus fahre Herr R. Stapler und lade LKW's ab. Weitere Aufgaben seien die Bearbeitung von Speditions- und Frachtpapieren sowie das Buchen in SAP mit einem erheblichen technischen Bezug. Eine Vergleichbarkeit mit der Klägerin sei vor diesem Hintergrund nicht gegeben.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. § 313 Abs. 2 ZPO auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst ihren Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige und auch innerhalb der Frist des § 4 KSchG erhobene Klage ist begründet, da die Beklagte bei der Auswahl der Klägerin soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat (§ 1 Abs. 3 KSchG).

Nach der beklagtenseits im Schriftsatz vom 01.02.2005 zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes hat der Arbeitgeber bei der Gewichtung der gesetzlich vorgegebenen Sozialkriterien – Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung – zwar einen Wertungsspielraum und muss die Auswahlentscheidung nur vertretbar sein und nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen, die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich soziale Erwägungen hätte anstellen müssen.

Zutreffend führt die Beklagte weiter aus, dass eine ausreichende Berücksichtigung immer dann gegeben sei, wenn der Arbeitgeber die vier Sozialkriterien in ein vertretbares Verhältnis zueinander setzt, wobei keines der 4 genannten Kriterien absoluten Vorrang genieße.

Dem widerspricht indes ihre eigene Vorgehensweise, wenn die Beklagte Schwerbehinderte von vornherein aus der Sozialauswahl herausnimmt, um – wie im Kammertermin eingeräumt wurde – das ansonsten gemäß § 85 SGB IX erforderliche Verwaltungsverfahren zur Erlangung der Zustimmung des Integrationsamtes zu vermeiden.

Die Kammer hält ferner das von der Beklagten angewandte Punkteschema vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich geforderten Schutzes von Ehe und Familie (Artikel 6 Abs. 1 GG) als Voraussetzung bestmögliche Entwicklung von Kindern (Dreier, Grundgesetz, 2. Aufl., Artikel 6, Rn 67 m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) für nicht vertretbar, da es der besonderen Schutzbedürftigkeit von Arbeitnehmern mit Kindern nicht hinreichend Rechnung trägt. Es kann nicht als „sozial” angesehen werden, wenn ein 31-jähriger mit 10 Jahren Betriebszugehörigkeit, de...

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