Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 06.02.2003; Aktenzeichen 2 AZR 621/01)

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Anfechtung der Beklagten vom 08.06.2000 beendet worden ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreites hat die Beklagte zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.289,25 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Anfechtung des Arbeitsvertrages.

Am 03.05.2000 schlossen die Parteien mit Wirkung zum 02.05.2000 einen unbefristeten Arbeitsvertrag, nachdem die Klägerin als Wäschereimitarbeiterin eingestellt wurde. Dieser Arbeitsvertrag verpflichtete die Klägerin zu allen verkehrsüblichen Arbeiten einer Wäschereigehilfin. § 8 des Arbeitsvertrages lautet – soweit hier von Bedeutung – wie folgt:

„1. Der Arbeitnehmer versichert:

dass keine Schwangerschaft vorliegt.”

Bereits am 11.04.2000 hatte die Frauenärztin der Klägerin, Frau Dr. med. …, die Schwangerschaft der Klägerin festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch noch keine „fetalen Anteile” nachweisbar, so dass eine intakte Schwangerschaft noch nicht bestätigt werden konnte.

Der Nachweis einer intakten Schwangerschaft erfolgte am 09.05.2000.

Die Klägerin informierte am 19.05.2000 die Beklagte von der Schwangerschaft.

Die Beklagte erklärte daraufhin mit Schreiben vom 08.06.2000 die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 19.07.2000.

Die Klägerin beantragt:

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien am 03.05.2000 begründete Arbeitsverhältnis durch die Anfechtung des Arbeitsvertrages vom 08.06.2000 nicht beendet ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit als Wäschereimitarbeiterin sei objektiv für Schwangere nicht geeignet. Insoweit behauptet die Beklagte, als Wäschereimitarbeiterin sei die Klägerin ständig Temparaturen zwischen 35 bis 45 Grad ausgesetzt; darüber hinaus sei sie verpflichtet, ständig im Stehen zu arbeiten und regelmäßig Gewichte von bis zu 10 Kilogramm zu heben. Darüber hinaus sei ein Schichtdienst erforderlich. Diese Voraussetzungen habe sie der Klägerin im Einstellungsgespräch mitgeteilt und bei diesem Gespräch deutlich gemacht, dass die Tätigkeit für Schwangere nicht geeignet sei.

Die Beklagte vertritt insoweit die Ansicht, vorliegend sei die Frage nach der Schwangerschaft gerechtfertigt gewesen, da die Tätigkeit als Wäschereimitarbeiterin objektiv für Schwangere nicht geeignet sei und daher die Frage nach der Schwangerschaft dem Schutz der Schwangeren und des ungeborenen Kindes gedient habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle nach § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Der zwischen den Parteien am 03.05.2000 abgeschlossene Arbeitsvertrag ist nicht gemäß § 142 Abs. 1 in Verbindung mit § 123 Abs. 1 BGB nichtig bzw. beendet worden.

Der Beklagten steht ein Anfechtungsgrund im Sinne des § 123 BGB nicht zu (insoweit kann dahinstehen, ob der Tatbestand der arglistigen Täuschung vorliegend erfüllt ist). Im vorliegenden Fall oblag der Klägerin keine Offenbarungspflicht hinsichtlich ihrer Schwangerschaft. Daher scheidet ein Fragerecht der Beklagten nach dem Vorliegen der Schwangerschaft aus. Eine solche Frage verstößt vorliegend gegen § 611 a Abs. 1 BGB. Gemäß § 611 a Abs. 1 S. 1 BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder Maßnahme, insbesondere bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses oder einer Kündigung, nicht wegen seines Geschlechtes benachteiligen. Mit dieser Bestimmung hat der nationale Gesetzgeber die EWG-Richtlinie 76/207 zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen in nationales Recht umgewandelt. Bei der Auslegung dieser Rechtnorm hat dementsprechend das nationale Gericht gemäß dem Gebot der gemeinschaftskonformen Auslegung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) besonders zu beachten (vgl. BVerfG 28.01.1992, Az.: 1 BVR 1025/92; BAG 14.03.1989, Az.: 8 AZR 447/98; BAG 15.10.1992, Az: 2 AZR 227/92).

Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 05.05.1994 (Aktenzeichen C-421/92-„Habermann-Beltermann”) entschieden, dass bei einem auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Arbeitsvertrag ein Beschäftigungsverbot für Schwangere für eine gegenüber der Gesamtdauer des Vertrages nur beschränkte Zeit gelte und daher eine Anfechtung unter Berufung auf das Beschäftigungsverbot ein Verstoß gegen Artikel 2 Absatz 3 der EWG-Richtlinie 76/207 darstelle.

Im Anschluss an diese Entscheidung hat das LAG Hamm (01.03.1999, 19 Sa 2596/98) entschieden, dass ein Arbeitgeber einen unbefristet abgeschlossenen Arbeitsvertrag nicht mit der Begründung anfechten kann, die Arbeitnehmerin habe ihn arglistig getäuscht, weil sie nicht von sich aus auf die bestehende Schwangerschaft hi...

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