Nachgehend

BAG (Urteil vom 03.04.2001; Aktenzeichen 9 AZR 301/00)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Der Streitwert beträgt 58.997,30 DM.

 

Tatbestand

Die Klägerin fordert vom Beklagten aus übergegangenem Recht die Zahlung von Arbeitsentgelt für Arbeitsleistungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht wurden. Im Kern streiten die Parteien um die Rechtsfrage, ob § 108 Abs. 2 InsO gegenüber § 55 Abs. 2 InsO eine Spezialregelung darstellt oder umgekehrt.

Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der L GmbH. Mit Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 11.02.1999 wurde der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis eingesetzt. Das Insolvenzverfahren wurde am 29.03.1999 mit Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom gleichen Tage eröffnet.

Der Beklagte beschäftigte in seiner Funktion als vorläufiger Insolvenzverwalter im Zeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Arbeitnehmer weiter. Für den Zeitraum dieser Weiterbeschäftigung durch den Beklagten bis zur Insolvenzeröffnung gewährte die Klägerin gemäß § 183 SGB III Insolvenzgeld mit der Folge, daß die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer gegen den Beklagten in Höhe von DM 58.997,30 gemäß § 187 SGB III auf die C übergingen.

Die Parteien streiten nun über die Frage, ob dieser auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangene Anspruch gegen den Beklagten eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 2 InsO darstellt oder eine Insolvenzforderung im Sinne des § 108 Abs. 2 InsO.

Die Klägerin ist der Auffassung, § 55 Abs. 2 InsO sei die speziellere Norm. Nach deren eindeutigen Wortlaut seien die hier fraglichen Ansprüche der Arbeitnehmer Masseverbindlichkeiten, was dementsprechend auch gelten müsse, wenn diese Ansprüche auf sie, die C, übergegangen seien.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, einen Betrag in Höhe von DM 58.997,30 als Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 2 InsO anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, § 108 Abs. 2 InsO sei die speziellere Vorschrift. Aus ihr ergebe sich, dass die hier fraglichen Ansprüche der Arbeitnehmer Insolvenzverbindlichkeiten seien. Die Rechtsansicht der Klägerin führe dazu, dass so gut wie jeder Insolvenzfall massearm würde, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter sich entschliesse, die Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen und nicht von der Arbeitsleistung freizustellen. Dieses Ergebnis widerspreche dem Ziel der gesamten Novellierung des Insolvenzrechts, die Sanierung des betroffenen Unternehmens zu erleichtern und dessen Zerschlagung gegebenenfalls zu verhindern.

Im übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze und ihre Anlagen verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Nach dem übereinstimmenden Antrag der Parteien konnte vorliegend gemäß § 55 Abs. 3 ArbGG durch den Vorsitzenden alleine entschieden werden.

II.

Der rechnerisch unstreitige Betrag stellt keine Masseverbindlichkeit dar.

Soweit die sonstigen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 InsO vorliegen, sind Ansprüche der Arbeitnehmer auf Arbeitsentgelt Masseverbindlichkeiten. Dem steht § 108 Abs. 2 InsO nicht entgegen. § 55 Abs. 2 InsO ist die speziellere Norm (1.).

Die Regelung des § 55 Abs. 2 InsO ist aber im Wege der teleologischen Reduktion auf diejenigen Fälle nicht anzuwenden, in denen die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer auf die C übergegangen sind (2.).

1.

Gemäß § 55 Abs. 2 InsO gelten Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind und für die der vorläufige Insolvenzverwalter (mit Verfügungsbefugnis) für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat, als Masseverbindlichkeiten.

Die hier der Höhe nach unstreitigen Entgeltansprüche der Arbeitnehmer erfüllen die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 InsO und stellen deshalb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten dar. Dem steht § 108 Abs. 2 InsO nicht entgegen, nach dem Ansprüche aus Miet-, Pacht- und Dienstverhältnissen für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Insolvenzforderungen (und eben nicht als Masseverbindlichkeiten) gelten.

Die Literaturmeinungen, die eine Spezialität des § 108 Abs. 2 InsO vertreten (vgl. Lakies, BB 1998, 2638; Berscheid, ZInsO 1998, 259; Wiester, ZInsO 1998, 99, 102; Niesert, InVo 1998, 85, 88), können nicht überzeugen. Diese Autoren stützen ihre Auffassung auf drei Argumente: Erstens nenne § 108 Abs. 2 InsO spezielle Dauerschuldverhältnisse, während § 55 Abs. 2 InsO nur allgemein von Dauerschuldverhältnissen rede. Zweitens ergebe sich aus der Systematik der InsO, daß § 55 Abs. 2 InsO nur die grundsätzliche Einteilung der Gläubiger regele, während § 108 Abs. 2 InsO sich mit der Erfüllung der Rechtsgeschäfte im Rahmen der Wirkung der Eröffnung des Verfahrens befasse. Drittens seien die Folgen einer Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO für das Insolvenzverfahren fatal; beschäftige der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitneh...

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