Leitsatz

Der im Jahre 1976 geborene Kläger nahm seinen Vater auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt für die Zeit ab November 2002 in Anspruch. Der Schul- und Berufsausbildungsweg des Klägers gestaltete sich wie folgt:

  • Realschulabschluss im Jahre 1993;
  • Maurerlehre von 1993 bis 1995;
  • Besuch der Fachoberschule mit Fachhochschulreife bis 1998;
  • Zivildienst im Jahre 1999 und Aufnahmeprüfung für den gehobenen Polizeidienst;
  • Aufgabe der Ausbildung für den gehobenen Polizeidienst nach wiederholtem - provozierten - Scheitern bei der Zwischenprüfung;
  • Nachfolgende Arbeitslosigkeit bis September 2002;
  • Seit Oktober 2002 Studium der Architektur mit voraussichtlichem Abschluss im Jahre 2006.

Der Beklagte wurde vom AG und vom OLG zu Unterhaltszahlungen verurteilt. Hiergegen richtete sich seine Revision, die zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht führte.

 

Sachverhalt

siehe Kurzzusammenfassung

 

Entscheidung

Der BGH hat eine fortdauernde Unterhaltspflicht des Beklagten bestätigt und sah hierin keinen Widerspruch zu seiner bisherigen Rechtsprechung. Nach § 1610 Abs. 2 BGB umfasse der Unterhalt eines Kindes die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Eltern, die ihrem Kind eine solche Ausbildung gewährt hätten, seien grundsätzlich nicht mehr verpflichtet, Kosten einer weiteren Ausbildung zu tragen. Modifiziert werde dies für die sog. Abitur-Lehre-Studium-Fälle, die einen engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang der einzelnen Ausbildungsabschnitte voraussetzten. Ferner müssten sich eine praktische Ausbildung und ein Studium sinnvoll ergänzen. Nach Auffassung des BGH können diese Grundsätze auf andere Ausbildungsabläufe nicht übertragen werden, etwa wenn nach dem Realschulabschluss zunächst eine Lehre und später noch ein Studium aufgenommen wird.

Die Abitur-Lehre-Studium-Fälle bildeten nach Auffassung des BGH nach wie vor eine Ausnahme. Wo diese Sondersituation nicht gegeben sei, bleibe es bei dem Grundsatz, dass nur eine Ausbildung geschuldet werde.

Abhängig vom Alter und der Einsichtsfähigkeit des Unterhaltsberechtigten müsse der Unterhaltsverpflichtete allerdings solche Ausbildungsverzögerungen hinnehmen, die nur auf einem vorübergehenden leichten Versagen beruhten. Diese Voraussetzung sei hier gegeben: Der Kläger habe sich in der Vergangenheit stets bemüht, den Beklagten finanziell nicht übermäßig zu belasten. Die Parteien hätten auch über den Unterhalt verhandelt und der Beklagte habe das in Aussicht genommene Studium des Klägers nicht abgelehnt. Hieran müsse er sich jetzt festhalten lassen. Dieser Umstand stehe einer Obliegenheitsverletzung des Klägers entgegen.

 

Hinweis

Wenn der Unterhaltsberechtigte sich auf den Fortbestand eines Unterhaltsanspruchs beruft, darf er grundsätzlich keine unterhaltsrechtliche Obliegenheit verletzt haben. Nach dem aus § 1610 BGB abgeleiteten Prinzip gegenseitiger Rücksichtnahme ist auf die Sphäre beider Parteien abzustellen. Wenn der Unterhaltsberechtigte, wie in dem vom BGH entschiedenen Fall, mit dem Unterhaltsverpflichteten die Ausbildungsabläufe im Einzelnen besprochen und in der Vergangenheit keine zu hohen Unterhaltsanforderungen an ihn gestellt hat, kann der Unterhaltsanspruch ausnahmsweise fortbestehen. Die Kernaussagen der Entscheidung des BGH sind wie folgt zusammenzufassen:

  • Die Grundsätze der "Abitur-Lehre-Studium"-Rechtsprechung sind nicht übertragbar.
  • Die Annahme, die Maurerlehre würde für den Unterhaltsberechtigten eine angemessene Ausbildung i.S.d. § 1610 Abs. 2 BGB darstellen, stellte sich als Fehleinschätzung dar, die den Unterhaltsgläubiger zu einer weiteren Ausbildung berechtigte.
  • Dem Unterhaltsgläubiger könne nicht als gravierenden Fehlverhalten angelastet werden, dass er zunächst dem Irrtum erlegen sei, nach Erreichen der Fachhochschulreife sei der gehobene Polizeidienst der seinen Neigungen am meisten entsprechende Ausbildungsgang.
  • Von Bedeutung sei auch, dass der Unterhaltsverpflichtete die weitere Ausbildung seines Sohnes durch Aufnahme eines Studiums nicht von vornherein abgelehnt habe.

Die Entscheidung des BGH ist für jeden Praktiker lesenswert. Der gesellschaftliche Wandel und Trend zu lebenslangem Lernen erfordert ein Überdenken und eine Korrektur der bisherigen Grundsätze zum Ausbildungsunterhalt.

 

Link zur Entscheidung

BGH, Urteil vom 17.05.2006, XII ZR 54/04

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