Rz. 284

Ähnlich wie für Arztpraxen besteht auch für Rechtsanwaltskanzleien ein Leitfaden zur Bewertung, den die Bundesrechtsanwaltskammer im Jahr 2007 zum 4. Mal fortgeschrieben hat.[329] Auch der Wert einer Anwaltskanzlei soll sich aus zwei Komponenten zusammensetzen, nämlich dem Substanzwert (bestehend aus Büroeinrichtung,[330] ausstehenden Forderungen und Verbindlichkeiten) sowie dem sog. Kanzleiwert (Firmenwert). Die Finanzverwaltung erwähnt diese Kammer-Methode ausdrücklich als anerkannte branchenspezifische Bewertungsmethode.[331]

 

Rz. 285

Für die Ermittlung des Substanzwerts ist der Verkehrswert (ausdrücklich nicht der Anschaffungswert) maßgeblich. Bei der Ermittlung des Kanzleiwerts ist zu beachten, dass dieser nachhaltig personengebunden und daher mit dem Geschäftswert eines gewerblichen Unternehmens nicht vergleichbar ist.[332]

 

Rz. 286

Bemessungsgrundlage für den Kanzleiwert ist grds. der bereinigte Ist-Umsatz ohne Umsatzsteuer. Zu bereinigen sind insb. die außerordentlichen personenbezogenen Einnahmen (z.B. als Politiker, Mitglied eines Aufsichtsrats oder Beirats, Organ eines Verbands, Vereins und/oder einer sonstigen Organisation, Schriftsteller, Lehrer, Referent in Fort-, Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen). Daneben sind aber auch die außerordentlichen anwaltsbezogenen Einnahmen (als Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter, Zwangsverwalter, Vormund, Pfleger, Vermögensverwalter, Treuhänder, Mediator, Mitglied eines Schiedsgerichts, Sachverständiger, Betreuer etc.) zu bereinigen, soweit diese Einnahmen nur gelegentlich erzielt werden und nicht aus der Haupttätigkeit des Rechtsanwalts resultieren.

 

Rz. 287

Auch wenn eine Notarkanzlei nicht übertragbar ist und der Notariatsumsatz selbstverständlich bei der Bewertung der Anwaltskanzlei unberücksichtigt bleibt, ist die Verbindung einer Rechtsanwaltskanzlei mit einem Notariat für die Umsatzentwicklung der Kanzlei mitunter sehr vorteilhaft. Soweit eine solche Verbindung besteht, kann dies als werterhöhender Umstand zu berücksichtigen sein.

 

Rz. 288

Der bereinigte Umsatz ist mit einem Berechnungsfaktor zu multiplizieren, dessen Höhe sich grds. nach den Umständen des Einzelfalles richtet, der aber i.d.R. zwischen 0,3 und 1,0 liegt, in besonderen Fällen aber auch auf 0 sinken bzw. bis auf 1,3 steigen kann. Eine Reduzierung auf 0 kommt insb. dann in Betracht, wenn durch Krankheit oder aus anderen Gründen eine Kanzlei lange nicht mehr betrieben wurde oder völlig unwirtschaftliche oder zerrüttete Verhältnisse vorliegen.

Der pauschale Ansatz eines Mittelwerts ist nicht gerechtfertigt; vielmehr sind die Bewertungsmerkmale im Einzelfall konkret zu gewichten.

 

Rz. 289

Bei Einzelkanzleien sind als wertsenkende Merkmale insb. das Bestehen der Kanzlei seit weniger als zehn Jahren, das Alter des Kanzleiinhabers von über 65 Jahren, schlechte Gesundheit des Kanzleiinhabers, Einkünfte von wenigen Großklienten, überdurchschnittliche kanzleibedingte Kosten, Kosten angestellter Rechtsanwälte oder auslaufende Tätigkeitsarten der Kanzlei (z.B. Vertreibungsschäden, Rückübertragungen) anzusehen. Werterhöhend können sich das Bestehen der Kanzlei über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren, ein breit gestreuter Klientenkreis, überdurchschnittlich niedrige Kosten, die Einführung des Nachfolgers durch den bisherigen Inhaber, ein besonders guter Ruf der Kanzlei, günstige Geschäfts- und Konkurrenzlage, günstige Mietverträge oder eine moderne Kanzleiausstattung auswirken.

 

Rz. 290

Dieselben Merkmale gelten im Wesentlichen auch bei Sozietäten. Bei diesen ist der Kanzleiwert zunächst für die Sozietät insgesamt zu ermitteln und sodann auf die Gesellschafter aufzuteilen. Die Aufteilung erfolgt nach den Vorgaben der BRAK nach dem Gesellschaftsvertrag, hilfsweise nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen.

 

Rz. 291

Die Hinweise der BRAK enthalten auch Vorgaben für die Bewertung von Kanzleien für den Fall der Gründung einer Sozietät bzw. für den Fall des Ausscheidens aus einer Sozietät. Diese Vorgaben sind aber erbschaft- bzw. schenkungsteuerrechtlich irrelevant, da gem. § 11 Abs. 2 S. 2 letzter Hs. BewG auf die Sichtweise eines gedachten Erwerbers abzustellen ist. Vor diesem Hintergrund können allein die Bewertungsmethoden für den Fall der Übernahme einer Kanzlei bzw. des Eintritts in eine Sozietät als übliche Methoden herangezogen werden.

[329] BRAK-Mitt. 3/2007, 112 ff.
[330] Diese umfasst neben den Bürogeräten insb. auch die Bibliothek.
[331] Vgl. FinMin. Bayern v. 4.1.2013, ZEV 2013, 104, Ziffer 2.2, aufgehoben durch FinMin. Bayern v. 10.12.2017 – 34/31/33 – S 3102 – 3/1, BeckVerw. 351153; an der Richtigkeit der Darstellung im Schreiben v. 4.1.2013 hat dies aber nichts geändert.
[332] Der Kanzleiwert verflüchtigt sich relativ rasch; vgl. BFH v. 30.3.1994, BStBl II 1994, 903.

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