Rz. 86

Die Bewertung von Unternehmen ist sowohl in der Theorie als auch in der Praxis mit einer Vielzahl von unterschiedlichen, teilweise ineinander greifenden und somit insgesamt recht komplexen Problemen verbunden. Dies beginnt bereits bei der Auswahl der der Bewertung zugrunde zu legenden Prämissen und setzt sich bei der Auswahl der für das jeweilige Unternehmen und den aktuellen Bewertungsanlass geeignetsten Bewertungsmethode fort.

 

Rz. 87

Gem. § 11 Abs. 2 S. 3 BewG ist der Unternehmenswert aus der Sicht eines gedachten Erwerbers zu bestimmen. Vor diesem Hintergrund muss die Bewertung unter der Voraussetzung finanzieller Ziele erfolgen. Die Bewertung kann dessen ungeachtet unter Zugrundelegung verschiedener Methoden erfolgen. Im Hinblick darauf, dass gem. § 11 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BewG als Alternative zu ertragswertorientierten Bewertungsansätzen nur solche Methoden in Betracht kommen, die nicht nur für außersteuerliche Zwecke üblich, sondern auch "anerkannt" sind, kommt der Frage der betriebswirtschaftlichen, also wissenschaftlichen Rechtfertigung solcher Bewertungsansätze einige Bedeutung zu. Welche Verfahren aus Sicht der Finanzverwaltung dieses Kriterium erfüllen, ergibt sich aus einem Schreiben des bayrischen Finanzministeriums vom 4.1.2013 betreffend die Bewertung des Unternehmensvermögens.[1] Das Schreiben wurde zwar zwischenzeitlich aufgehoben,[2] an der Anwendbarkeit der dort genannten Bewertungsverfahren sollte dies aber nichts geändert haben.

 

Rz. 88

Nach Ballwieser[3] lassen sich die Verfahren der Unternehmensbewertung systematisch in vier Bewertungsansätze aufgliedern. Dies sind Gesamtbewertungsverfahren, Einzelbewertungsverfahren, Mischverfahren und Überschlagsrechnungen.

 

Rz. 89

Bei den Gesamtbewertungsverfahren wird das zu bewertende Unternehmen grds. als eine Bewertungseinheit angesehen.[4] Der Wert wird dabei aus den zukünftig erwarteten finanziellen Überschüssen ermittelt,[5] die auf den Bewertungsstichtag zu diskontieren sind.[6] Klassische Gesamtbewertungsverfahren sind die auch vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) favorisierten Methoden, nämlich das Ertragswertverfahren[7] sowie die Discounted Cash Flow Method (DCF).[8]

 

Rz. 90

Bei den Einzelbewertungsverfahren wird der Unternehmenswert aus der Summe der Werte der Einzelbestandteile des zu bewertenden Unternehmens ermittelt.[9] Hierunter fallen insb. die Substanzwertmethode sowie die Liquidationswertbestimmung. Bei den sog. Mischverfahren kommen sowohl Elemente der Gesamt- als auch der Einzelbewertungsverfahren zur Anwendung.[10] Basis ist im Regelfall der Substanzwert, der um Ertragswert-Elemente erweitert wird.[11] Ein solches Mittelwertverfahren stellte z.B. auch das bis Ende 2008 für die erbschaft- bzw. schenkungsteuerrechtliche Bewertung von nicht notierten Kapitalgesellschaftsanteilen maßgebliche Stuttgarter Verfahren dar.[12]

 

Rz. 91

Die sog. Überschlagsrechnungen[13] bzw. Multiplikatorverfahren[14] basieren auf empirisch erhobenen Marktdaten. Dies gilt natürlich auch für das Vergleichswertverfahren, bei dem der Unternehmenswertbestimmung die Marktpreise in der Vergangenheit gehandelter Beteiligungen an dem zu bewertenden Unternehmen oder an vergleichbaren Unternehmen zugrunde gelegt werden.[15] Bei Multiplikatorverfahren, die in der M & A-Praxis und gerade auch bei Transaktionen unter Beteiligung von Finanzinvestoren weit verbreitet sind, werden die empirisch festgestellten Unternehmenswerte (respektive Verkaufspreise) anhand von Bezugsgrößen (Umsatz, Gewinn, EBIT etc.) in (branchen- bzw. größenspezifische) Faktoren umgerechnet bzw. – in gewissem Umfang – verallgemeinert.[16]

 

Rz. 92

Trotz der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Bewertungsansätze ist ein unter allen Gesichtspunkten zutreffender objektiv feststellbarer Unternehmenswert praktisch nicht ermittelbar.[17] Allenfalls kann ein von einem redlichen und sachverständigen Bewerter ermittelter Unternehmenswert als "wirklicher" Unternehmenswert angesehen werden[18] ("objektivierter" Unternehmenswert).[19]

 

Rz. 93

In welchem Fall welche systematische Herangehensweise dem Üblichkeitsvorbehalt des § 11 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BewG genügt, lässt sich pauschal nicht beantworten. Insoweit ist also stets eine Einzelfallbetrachtung erforderlich.[20]

Dessen ungeachtet besteht in der jüngeren Rechtsprechung eine deutliche Präferenz für die Ertragswertmethode.[21]

[1] Schreiben v. 4.1.2013, ZEV 2013, 104; vgl. auch Riedel, ZErb 2013, 161.
[2] FinMin. Bayern v. 10.12.2017 – 34/31/33 – S 3102 – 3/1, BeckVerw. 351153.
[3] Ballwieser/Hachmeister, S. 8; Mandl/Rabel, in: Peemöller, Praxishdb. Unternehmensbewertung, S. 56.
[4] Mandl/Rabel, in: Peemöller, Praxishdb. Unternehmensbewertung, S. 56.
[5] Vgl. Sieben, BFuP 1998, 191; Siepe, Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, WPg 1998, 325.
[6] Vgl. Ballwieser/Hachmeister, S. 8 f.; Mandl/Rabel, in: Peemöller, Praxishdb. Unternehmensbewertung, S. 57.
[7] Vgl. BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10, NJW 2011, 2497: "Verfassungsrechtlich unbedenklich […], oh...

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