Leitsatz

Auch bei einer Anfechtungsklage darf die Auslegung des Klageantrags – wie allgemein im Prozessrecht – nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen; nur wenn sich das Rechtsschutzziel des Klägers auch durch die gebotene Auslegung unter Einbeziehung der gesamten Klageschrift nicht eindeutig ermitteln lässt, gehen die verbleibenden Unklarheiten zu seinen Lasten.

 

Normenkette

§ 46 Abs. 1 WEG

 

Das Problem

  1. In der Versammlung vom 22.5.2012 wird zu TOP 4 unter Antrag 1 die Genehmigung der Gesamt- und Einzelabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2011 beschlossen. Unter der Bezeichnung TOP 4 Antrag 2 wird ein weiterer Beschluss gefasst, mit dem der in der Gemeinschaftsordnung vorgesehene Umlageschlüssel ab dem Geschäftsjahr 2012 geändert wird. Beschlüsse zu TOP 6 betreffen den Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012.
  2. Gegen die "zu TOP 4 und TOP 6 gefassten Beschlüsse betreffend Gesamt- und Einzelabrechnung 2011 und Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012" erhebt Wohnungseigentümer K Anfechtungsklage. Das Amtsgericht erklärt die zu TOP 6 gefassten Beschlüsse für ungültig und weist die Klage im Übrigen ab. Die auf TOP 4 Antrag 2 beschränkte Berufung des Klägers bleibt erfolglos. Das LG München I sieht die Anfechtungsfrist nicht als gewahrt an. Nach der Klageschrift habe ein Beschluss über die Genehmigung der Einzel- und Gesamtabrechnung 2011 angefochten werden sollen. Dies betreffe nur TOP 4 Antrag 1, nicht aber TOP 4 Antrag 2. Dessen Anfechtung ergebe sich auch nicht daraus, dass die "zu TOP 4 und TOP 6 gefassten Beschlüsse" unter Verwendung des Plurals genannt worden seien; zudem sei die Anfechtung inhaltlich auf TOP 4 Antrag 1 beschränkt worden. Dass sie sich auch auf die zu TOP 4 Antrag 2 erfolgte Änderung des Umlageschlüssels mit Wirkung ab dem Wirtschaftsjahr 2012 habe beziehen sollen, lasse sich der Klageschrift nicht entnehmen. Zwar habe K in der Klageschrift mitgeteilt, dass er selbst bei der Versammlung nicht anwesend gewesen sei; dies gebiete es aber nicht, die Klage dahin auszulegen, dass er auch einen ihm ggf. unbekannten Beschluss anfechten wolle. Die Beschlusskompetenz für die Änderung des Umlageschlüssels ergebe sich zwar nicht aus § 16 Abs. 3 und 4 WEG, weil auch eine allgemeine Regelung für Instandhaltungskosten getroffen worden sei. Hieraus folge aber nicht die Nichtigkeit des gefassten Beschlusses. Die Gemeinschaftsordnung enthalte eine Öffnungsklausel. Werde – wie hier – das in der Klausel vorgesehene Quorum nicht erreicht, führe dies nur zur Anfechtbarkeit, nicht aber zur Nichtigkeit des Beschlusses. Das Landgericht lässt die Revision wegen der Frage, "ob das Nichterreichen eines Quorums im Rahmen einer vereinbarten Öffnungsklausel zur Nichtigkeit eines Mehrheitsbeschlusses oder lediglich zu dessen Anfechtbarkeit führt" zu. Mit der Revision will K erreichen, dass der zu TOP 4 Antrag 2 gefasste Beschluss für ungültig erklärt wird.
 

Die Entscheidung

  1. Die Revision sei zulässig; insbesondere sei das Rechtsmittel ohne Einschränkung zugelassen. Zwar beziehe sich die vom LG München I zur Begründung seiner Zulassungsentscheidung angeführte Rechtsfrage nur auf die Nichtigkeitsklage. Dies sei aber nicht als inhaltliche Beschränkung der Zulassungsentscheidung zu verstehen – die ohnehin unzulässig wäre. Da Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage denselben Streitgegenstand hätten (Hinweis auf BGH v. 26.10.2012, V ZR 7/12, NJW 2013 S. 65 Rn. 8), könne die Revision nicht auf die Nachprüfung von Nichtigkeitsgründen begrenzt werden. Die Zulassung könne nur auf einen tatsächlich und rechtlich abgrenzbaren Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden, der Gegenstand eines Teil- oder Grundurteils sein könne oder auf den der Rechtsmittelkläger selbst sein Rechtsmittel beschränken könnte (Hinweis auf BGH v. 27.5.2009, XII ZR 111/08, NJW 2009 S. 2450 Rn. 8).
  2. Die Revision sei auch begründet. K habe hinsichtlich TOP 4 Antrag 2 nicht die Anfechtungsfrist versäumt. Die Auslegung des Klageantrags unterliege dabei der revisionsrechtlichen Nachprüfung. Zwar sei die Einhaltung der Klage- und der Begründungsfrist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG keine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Anfechtungsklage; ihre Versäumung führe vielmehr zu einem materiell-rechtlichen Ausschluss von Anfechtungsgründen (Hinweis auf BGH v. 16.1.2009, V ZR 74/08, BGHZ 179 S. 230 Rn. 7). Das ändere aber nichts daran, dass die Klage und ihre Begründung Prozesshandlungen darstellten, deren Auslegung der BGH uneingeschränkt nachprüfen könne (BGH v. 27.3.2009, V ZR 196/08, NJW 2009 S. 2132 Rn. 8).
  3. Richtig sei, dass ein Kläger "zwecks Wahrung der Klagefrist" mitteilen müsse, gegen welchen Beschluss aus welcher Versammlung er sich wenden wolle (Hinweis auf BGH v. 6.11.2009, V ZR 73/09, NJW 2010 S. 446 Rn. 15), und dass die Auslegung eine Beschränkung auf einzelne Beschlüsse oder abtrennbare Punkte ergeben könne. Aber auch bei einer Anfechtungsklage dürfe die Auslegung – wie allgemein im Prozessrecht – nic...

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