1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde ist zulässig.

Entgegen der Ansicht des SG ist die Beschwerde statthaft. § 178 S. 1 SGG führt nicht dazu, dass es gegen den Beschluss der Kostenrichterin kein Rechtsmittel gibt. Diese Norm bestimmt, dass gegen eine Entscheidung des Urkundsbeamten das Gericht angerufen werden kann; dessen Entscheidung ist endgültig, ein Rechtsmittel also ausgeschlossen. Genau dieser Verfahrensablauf liegt hier vor: Zunächst hat der Urkundsbeamte unter dem Datum 6.10.2009 eine Kostenfestsetzung vorgenommen. Dagegen ist Erinnerung eingelegt worden, die zu einer Entscheidung der Kostenrichterin geführt hat. Gleichwohl greift der durch § 178 S. 1 SGG normierte Rechtsmittelausschluss nicht, weil demgegenüber § 56 RVG Vorrang genießt. Aus § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 1 RVG geht hervor, dass die Beschwerde gegen die Entscheidung über die Erinnerung statthaft ist, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 EUR übersteigt; Beschwerdeausschlusstatbestände sieht das RVG ansonsten nicht vor.

Der Senat ist davon überzeugt, dass für § 178 S. 1 SGG neben § 56 RVG kein Anwendungsbereich bleibt. Denn die Regelungen des § 56 RVG, die dieser unter Rückgriff auf § 33 RVG zu Rechtsbehelfen bzw. Rechtsmitteln trifft, verkörpern Sonderrecht und sind vorrangig.

a) Das RVG in seiner Gesamtheit gestaltet die Rechtslage für einen sehr speziellen Ausschnitt aus dem rechtlich-sozialen Beziehungsgefüge des Lebens. Das tut es indes abschließend und situationsübergreifend. Das RVG misst sich die Funktion bei, die Vergütung für Rechtsanwälte umfassend und in allen denkbaren Facetten zu regeln. So enthält es ganz selbstverständlich auch Bestimmungen, die das Sozialrecht und die Sozialgerichtsbarkeit betreffen; dieser Bereich bleibt keineswegs von vornherein ausgespart. Da das RVG bestimmte, "horizontale" – gemeint sind fachgebietsübergreifende – Sachverhalte herausgreift und insoweit umfassende Regelungswirkung beansprucht, muss davon ausgegangen werden, dass auch die Geltungsanordnung, die § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 1 RVG inhärent ist, sämtliche Fachbereiche umfasst.

b) Die §§ 45 ff. RVG im Besonderen verkörpern in der Sache spezielles Prozessrecht. Prozessrecht deshalb, weil es sich dabei um einen Teilsektor der Prozesskostenhilfe, nämlich um das Rechtsverhältnis des beigeordneten Rechtsanwalts zur Staatskasse, handelt. Die Prozessordnungen der Gerichtsbarkeiten klammern die Regelungsgegenstände der §§ 45 ff. RVG aus, obwohl sie der Sache nach an sich dorthin gehören würden. Dass man es dabei grundsätzlich mit Regelungsmaterie der einzelnen Prozessordnungen zu tun hat, verdeutlicht § 122 ZPO, wo das Verhältnis des beigeordneten Rechtsanwalts zur Staatskasse zumindest "angeregelt" wird. Der Gesetzgeber hat also in den §§ 45 ff. RVG Prozessrecht vor die Klammer gezogen. Wenn aber im gleichen Abschnitt wie die sachlichen Regelungen auch Bestimmungen zu Rechtsmitteln auftauchen, dann liegt die Annahme nahe, dass auch diese vor die Klammer gezogen, also speziell sein sollen. Bezeichnenderweise wird allgemein – außerhalb der Statthaftigkeit der Beschwerde – auch denjenigen Vorschriften aus den §§ 45 ff. RVG, die sich mit Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln befassen, zumeist Spezialität beigemessen. So hat das Sozialgericht das Erinnerungsrecht offenbar nicht aus § 178 S. 1 SGG, sondern aus § 56 RVG abgeleitet. Dass sich dann aber ausgerechnet in Bezug auf das Rechtsmittel der Beschwerde der grundsätzliche normative Vorrang in einen Nachrang verkehren soll, lässt sich mit dem rechtlichen Gesamtgefüge nur schwer vereinbaren. Vielmehr muss § 56 RVG entweder insgesamt als Spezialnorm oder aber insgesamt als Auffangnorm behandelt werden.

c) Kaum begründbar erscheint zudem, dass § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 1 RVG nun ausgerechnet von einer Bestimmung in den Hintergrund gedrängt werden soll, die nach der Systematik des SGG ihrerseits lediglich Auffangfunktion hat. § 178 S. 1 soll im SGG augenscheinlich die gleiche Funktion zufallen wie in der ZPO § 573. Die Stellung des § 178 S. 1 SGG wie die des § 573 ZPO jeweils im Unterabschnitt der Beschwerde weist unübersehbar in diese Richtung. Zu § 573 ZPO ist aber anerkannt, dass diese Vorschrift gegenüber thematisch speziellen Erinnerungen nachrangig ist (vgl. Jänich, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. 2005, § 573 Rn 4). § 178 S. 1 SGG hat die gleiche Wirkungsweise. Er ist thematisch nicht spezialisiert, sondern soll allgemein, quasi als Auffangnetz, sicherstellen, dass der Betroffene immer eine richterliche Entscheidung erhalten kann.

d) Die Einschätzung des Senats wird bestätigt durch den Regierungsentwurf zu einem Zweiten Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts. Dieser sieht für § 1 RVG folgenden neuen Absatz 3 vor (S. 156 des Gesetzentwurfs):

Die Vorschriften dieses Gesetzes über die Erinnerung und die Beschwerde gehen den Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vor.

Dazu führt die Begründung zum Gesetz...

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