Die Beschwerde ist als Erinnerung gem. § 56 Abs. 1 S. 1 RVG zulässig und begründet.

Die Herstellung der vorliegend streitgegenständlichen Kopien für den Angeklagten war zu seiner Unterrichtung notwendig i.S.d. Nr. 7000 Nr. 1 Buchst. c) VV und weist einen Umfang von über 100 Seiten auf.

Die Herstellung und Übergabe der streitgegenständlichen Kopien war notwendig im Sinne der vorgenannten Vorschrift, da ein vernünftiger und sorgfältiger Verteidiger diese Vorgehensweise zur effektiven Gestaltung der Verteidigung für erforderlich halten durfte. Hierbei ist ihm ein Ermessen zuzubilligen, das vorliegend nicht überschritten wurde.

Grundsätzlich obliegt die Entscheidung, welche Aktenteile ein Verteidiger für seinen Mandanten kopiert, … seinem Ermessen. Aus Sicht eines sorgfältigen und vernünftigen Verteidigers kann es erforderlich sein, dem Mandanten Akten(-bestandteile) in Kopie zur Verfügung zu stellen, wenn dieser die Kopien benötigt, um gemeinsam mit dem Verteidiger die Verteidigung einzurichten. Dabei kann es erforderlich sein, dass der Mandant selbst die Möglichkeit hat, umfassend, sorgfältig und ohne Zeitdruck den Akteninhalt ganz oder teilweise auch durch mehrmaliges Lesen zu erfassen, um sich in die Gestaltung der Verteidigung konstruktiv einzubringen. Hierzu kann gehören, dass der Mandant durch Aushändigung von Kopien in die Lage versetzt wird, den Verteidiger auf Umstände hinzuweisen, deren Erheblichkeit dem Verteidiger entgangen ist oder deren Erheblichkeit sich dem Verteidiger mangels eigener Wahrnehmung von tatsächlichen Geschehensabläufen nicht erschlossen hat oder erschließen konnte. Dies kann auch prozessuale Umstände erfassen, die sich aus den Akten ergeben. Der sorgfältige Verteidiger ist daher nicht gehalten, den Mandanten immer ausschließlich über die Aktenbestandteile zu informieren, die er nach eigener Prüfung für erheblich hält. Vielmehr muss er auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der Mandant in Aktenbestandteilen bedeutsame Umstände erkennt, die der Verteidiger zunächst für unerheblich gehalten hat. Es liegt daher in seinem Ermessen, welche Aktenbestandteile er dem Mandanten in Kopie zur Prüfung übergibt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich sowohl dem Staatsanwalt als auch dem Richter die Akte vollumfänglich jederzeit zur Verfügung steht und beide jede Überlegung sofort mit einer Prüfung jeden Teils der Akte verbinden können. Hinzu kommt, dass sich der zuständige Staatsanwalt durch Führung des Ermittlungsverfahrens schrittweise über einen längeren Zeitraum tiefgehende Aktenkenntnis aneignen kann. Dies ist dem Verteidiger und seinem Mandanten nicht in gleicher Weise möglich. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet es, dem Verteidiger und seinem Mandanten eine Arbeitseffektivität zu ermöglichen, die strafprozessual als waffengleich zu betrachten ist.

In welchem Maße der Angeklagten in der Lage war, den Inhalt der übergebenen Unterlagen richtig einzuordnen oder zu beurteilen, ist grundsätzlich nicht Sache des Gerichts zu beurteilen. Dies zu beurteilen und die geeigneten Unterlagen zu übergeben, fiel in das Ermessen des Verteidigers. Der Angeklagten hatte ein berechtigtes Interesse daran, zumindest den Vorteil zu erlangen, den er mit seinen vorhandenen intellektuellen Fähigkeiten aus den Unterlagen ziehen konnte. Zudem ist keine hinreichende Erkenntnisgrundlage ersichtlich, um davon auszugehen, der Angeklagte habe mit den ihm übergebenen Unterlagen ohnehin nichts anfangen können.

Es ist nicht ersichtlich, dass der Verteidiger das ihm eingeräumte Ermessen überschritten hat. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass er Aktenbestandteile für den Angeklagte kopieren ließ, bei denen schon von vornherein jede Bedeutung ausgeschlossen war. Von der äußerst umfassenden Hauptakte ließ er nur einen sehr kleinen Teil kopieren. Die kopierten Fallakten weisen thematisch einen unmittelbaren Bezug zum Tatvorwurf auf. Die für den Angeklagten kopierten Aktenbestandteile machen nur einen Bruchteil der Gesamtakten sowie auch der Kopien aus, die der Verteidiger für sich selbst angefertigt hat.

Dass dem Verteidiger eine elektronische Akte zur Verfügung stand und er auch seinen Laptop zu Mandantengesprächen mit in die JVA nehmen durfte, ändert hieran nichts, denn dies ermöglichte es dem Angeklagten nicht, die umfangreichen Unterlagen in Ruhe durchzulesen und Überlegungen zur gemeinsamen Gestaltung seiner Verteidigung jederzeit mit einem Nachschlagen in den relevanten Unterlagen zu verbinden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befand und dadurch in der Gestaltung der gemeinsamen Verteidigung organisatorisch eingeschränkt und besonders schutzbedürftig war. Der Angeklagte hatte aufgrund der organisatorischen Nachteile durch die Untersuchungshaft ein berechtigtes Interesse daran, auf die Gespräche mit seinem Verteidiger möglichst umfassend vorbereitet zu sein, um sich in die Besprechungen wirkungsvoll einbringen zu können.

Vorliegend kommt hinzu, dass die Akt...

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