C. Europäisches Verfahren für geringfügige Forderungen

I. Anwendungsbereich

Für Forderungen, die 2.000,00 EUR nicht überschreiten, kann das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen nach der Verordnung (EU) Nr. 861/2007 (EU-BagatellVO) beschritten werden. Das Verfahren steht als Alternative zu den nationalen Verfahren zur Verfügung, so dass es dem Gläubiger überlassen bleibt, das europäische Verfahren oder die nationalen Verfahren (Mahnverfahren, Klage) zu wählen. Die EU-BagatellVO findet in Deutschland unmittelbare Anwendung, jedoch gilt deutsches Prozessrecht, soweit die EU-BagatellVO nichts anderes bestimmt (Art. 19 EU-BagatellVO). Anwaltszwang besteht in dem Verfahren nicht. Für den Antrag auf Einleitung des Verfahrens muss der Kläger zwingend das amtliche Formular nach Anhang I der EU-BagatellVO verwenden.

Das sachlich zuständige Gericht wird nach deutschem Recht bestimmt.[1] Wegen § 23 Nr. 1 GVG sind zumeist die Amtsgerichts zuständig, jedoch bleiben die ausschließlichen Zuständigkeiten des LG unberührt. Auch das Rechtsmittelverfahren richtet sich nach deutschem Recht.[2]

Die notwendigen Durchführungsbestimmungen sind in §§ 10971109 ZPO eingestellt. Dabei regeln §§ 10971104 ZPO die Durchführung des Erkenntnisverfahrens vor deutschen Gerichten. Die Zwangsvollstreckung aus den Titeln wird durch §§ 11051109 ZPO geregelt, wobei zu unterscheiden ist zwischen der Vollstreckung aus deutschen Titeln nach der EU-BagatellVO in anderen EU-Mitgliedsstaaten (§§ 1105, 1106 ZPO) und der Vollstreckung aus ausländischen Titeln nach der EU-BagatellVO in Deutschland (§§ 1107–1109 ZPO).

[1] BT-Drucks 16/8839, S. 17.
[2] BT-Drucks 16/8839, S. 16.

II. Erkenntnisverfahren

1. Gerichtskosten

Für die Verfahren nach der EU-BagatellVO findet das GKG Anwendung (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GKG). Dabei werden die Verfahren kostenrechtlich wie normale Zivilprozessverfahren behandelt.[3]

Gebühren entstehen daher nach Nrn. 1210, 1211 GKG-KostVerz. für die erste Instanz und für die Rechtsmittelinstanzen nach Nrn. 1220 ff. GKG-KostVerz. (Berufung) bzw. Nr. 1230 ff. GKG-KostVerz. (Revision). Die Gebühren fallen auch an, wenn das Gericht den Antrag nach Art. 4 Abs. 4 S. 3 EG-BagatellVO als offensichtlich unzulässig oder unbegründet zurückweist.

Eine Vorauszahlungspflicht besteht für die Verfahren nicht (§ 12 Abs. 2 Nr. 2 GKG). Das ist Folge der Regelung des Art. 5 Abs. 2 S. 2 EU-BagatellVO, wonach die Zustellung des Klageformblatts innerhalb von 14 Tagen nach Eingang des ordnungsgemäß ausgefüllten Formblatts vorzunehmen ist.

Wird das europäische Verfahren gem. § 1097 Abs. 2 ZPO als normales Zivilprozessverfahren fortgeführt, weil die Klage nicht in den Anwendungsbereich der EU-BagatellVO fällt, aber auch keine Klagerücknahme erfolgt, so entfällt die Vergünstigung des § 12 Abs. 2 Nr. 2 GKG.[4] Die Klage soll dann erst nach Zahlung der Verfahrensgebühr (Nr. 1210 GKG-KostVerz.) zugestellt werden. Die Gebühren fallen aber nicht doppelt an, da es sich bei dem europäischen und dem ordentlichen Klageverfahren gebührenrechtlich um ein Verfahren i.S.d. § 35 GKG handelt.

[3] BT-Drucks 16/8839, S. 31 zu Art. 4.
[4] BT-Drucks 16/8839, S. 31 zu Art. 4.

2. Anwaltskosten

Die Verfahren sind wie normale Zivilprozessverfahren zu behandeln, so dass Teil 3 VV Anwendung findet. Hinsichtlich der Terminsgebühr der Nr. 3104 VV ist jedoch zu beachten, dass eine mündliche Verhandlung gem. Art. 5 Abs. 1 EU-BagatellVO nur ausnahmsweise stattfinden soll, sie also nicht obligatorisch vorgesehen ist. Findet eine mündliche Verhandlung in dem europäischen Verfahren nicht statt, kann deshalb auch eine Terminsgebühr nicht entstehen. Der Gesetzgeber hat daher auch bewusst von einer Erweiterung des Anwendungsbereichs der Nr. 3104 VV auf das europäische Verfahren abgesehen.[5]

[5] BT-Drucks 16/8839, S. 32 zu Art. 5.

III. Überprüfung der Bestätigung nach Art. 18 EU-BagatellVO

Unter den Voraussetzungen des Art. 18 EU-BagatellVO kann der Beklagte eine Überprüfung des im europäischen Verfahren ergangenen Urteils beantragen. Liegen die Voraussetzungen vor, wird das Verfahren fortgesetzt und in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor Erlass des Urteils befand (§ 1104 Abs. 1 ZPO).

1. Gerichtskosten

Das ursprüngliche Verfahren und das fortgesetzte Verfahren bilden einen einheitlichen Kostenrechtszug i.S.d. § 35 GKG. Gesonderte Gebühren fallen herfür nicht an.

2. Anwaltskosten

Gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 Buchst. c) RVG gehört das Verfahren nach Art. 18 EU-BagatellVO zum Erkenntnisverfahren. Gebühren und auch die Postpauschale (Nr. 7002 VV) können deshalb nicht gesondert geltend gemacht werden.

IV. Bescheinigungen nach der EU-BagatellVO zu inländischen Titeln

1. Erteilung der Bestätigung nach Art. 20 EU-BagatellVO

a) Verfahrensrechtliches

In Deutschland in einem europäischen Verfahren ergangene Urteile werden in den anderen EU-Mitgliedsstaaten vollstreckt und anerkannt, ohne dass es eines besonderen Exequaturverfahrens bedarf (Art. 20 Abs. 1 EU-BagatellVO). Für die Vollstreckung ist gem. Art. 21 Abs. 2 EU-BagatellVO neben der Urteilsausfertigung insbesondere auch eine Bestätigung nach Art. 20 Abs. 2 EU-BagatellVO vorzulegen. Zuständig ist nach § 1106 Abs. 1 ZPO das Gericht, dem die Erteilung der Vollstreckungsklausel obliegt, also das Prozessgericht, dort der Rechtspfleger (§ 20 Abs. 1 Nr. 11 RPflG). Vor der Erteilung der Bestätigung ist der Schuldner zu hören (§ 1...

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