1. Einzelbeträge

Das OLG hat einen Vorschuss auf eine Pauschvergütung von insgesamt: 228.573,00 EUR bewilligt. Dabei sind für die einzelnen Verfahrensabschnitte folgende Beträge als Vorschuss festgesetzt worden, wobei das OLG jeweils davon ausgegangen ist, dass die gesetzlichen Gebühren unzumutbar niedrig sind:

Anstelle der Grundgebühr nach Nr. 4101 VV ist nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG – anstelle der gesetzlichen Grundgebühr i.H.v. 193,00 EUR – eine Pauschgebühr i.H.v. 10.000 EUR, was dem Antrag der Verteidigerin entsprochen hat, festgesetzt worden. Anstelle der gesetzlichen Vorverfahrensgebühr nach Nr. 4105 VV i.H.v. 161,00 EUR hat das OLG eine Pauschvergütung von 6.000,00 EUR festgesetzt. Anstelle der gesetzlichen Verfahrensgebühr nach Nr. 4119 VV i.H.v. 385,00 EUR wurde eine Pauschvergütung von 25.000,00 EUR festgesetzt.

Anstelle der Terminsgebühren nach Nrn. 4121 und 4122 VV für die Teilnahme an 229 Tagen ist eine Pauschgebühr von 212.970,00 EUR festgesetzt worden, was einem Betrag von 930,00 EUR/Tag entspricht. Die gesetzlichen Gebühren nach RVG hätten insgesamt 145.726,00 EUR betragen. Tatsächlich habe die Antragstellerin zwar nur an 223 Verhandlungstagen teilgenommen. An sechs Tagen seien die Termine noch nach dem Erscheinen der Beteiligten kurzfristig abgesetzt worden. Diese jeweils nicht vorhersehbaren Terminsabsetzungen mindern nach Auffassung des OLG die Pauschgebühr im Ergebnis angesichts des dennoch erbrachten Aufwands durch die Antragstellerin ausnahmsweise nicht. Die gesetzlichen Gebühren sind angesichts der vorbezeichneten Umstände auch unzumutbar niedrig. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der Dauer der Hauptverhandlung von über vier Jahren. Die ständige Vorbereitung von Hauptverhandlungsterminen über einen derart langen Zeitraum stelle ein Sonderopfer dar. Die von der Antragstellerin beantragte Summe orientiere sich an den Wahlverteidigerhöchstgebühren. Dies sei vor dem Hintergrund des außerordentlichen Umfangs und der Schwierigkeit des Verfahrens angemessen und entspreche auch der Vorgehensweise des BGH in vergleichbaren Fällen (vgl. nur BGH, Beschl. v. 18.1.2021 – 1 StR 399/16).

2. Paralleles NSU-Verfahren

Bei der Bemessung der Pauschgebühr war nach Auffassung des OLG zu berücksichtigen, dass die Rechtsanwältin im über mehrere Jahre parallel verlaufenden sog. NSU-Verfahren ebenfalls eine Pauschvergütung i.H.v. insgesamt 391.128,00 EUR erhalten habe. Im Hinblick auf die überschneidende Dauer der Verfahren vom Beginn der Hauptverhandlung in dieser Sache am 17.6.2016 bis zur Urteilsverkündung im NSU-Verfahren am 11.7.2018 könne das Sonderopfer, das der Verteidiger mit der Übernahme der Mandate übernehme, nicht in voller Höhe doppelt berücksichtigt werden. Eine Kürzung rechtfertige sich aus dem Grundgedanken der Pflichtverteidigung und der Pauschvergütung: Die Bestellung zum Pflichtverteidiger sei eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Sinn der Pflichtverteidigung sei es nicht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Ihr Zweck bestehe ausschließlich darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhalte und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet werde. Angesichts der umfassenden Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers für die Wahrnehmung dieser im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe habe der Gesetzgeber die Pflichtverteidigung nicht als eine vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht angesehen, sondern den Pflichtverteidiger honoriert. Der Umstand, dass sein Vergütungsanspruch unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers liege, sei durch einen vom Gesetzgeber i.S.d. Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit für den Pflichtverteidiger gewahrt sei. In Strafsachen, die die Arbeitskraft des Pflichtverteidigers für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, gewinne die Höhe des Entgelts für den Pflichtverteidiger existenzielle Bedeutung. Für solche besonderen Fallkonstellationen gebiete das Grundrecht des Pflichtverteidigers auf freie Berufsausübung eine Regelung, die sicherstelle, dass ihm die Verteidigung kein unzumutbares Opfer abverlangt. Dieses Ziel stelle § 51 Abs. 1 RVG sicher (vgl. BVerfGE 68, 237, 255; BVerfG NJW 2007, 3420 = AGS 2007, 504; NJW 2019, 3370 = RVGreport 2020, 13).

Mit Blick auf diese bundesverfassungsgerichtliche Rspr. stellt das OLG München hier grds. darauf ab, ob die Höhe des Entgelts für die im Rahmen der Hauptverhandlung entfaltete Tätigkeit wegen für längere Zeit währender ausschließlicher oder fast ausschließlicher Inanspruchnahme für den Pflichtverteidiger von existenzieller Bedeutung ist. Für die Zeiträume der Überschneidung von NSU-Verfahren und dem hiesigen Verfahren könne von ei...

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