Der VerfGH schließt sich der Auffassung der Betroffenen an. Die Ablehnung der Erstattung der Auslagenversendungspauschale verletze Art. 10 Abs. 1 VvB in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Ein Richterspruch verstoße gegen das Verbot objektiver Willkür, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar seien und sich daher der Schluss aufdränge, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruhe. Dies sei etwa der Fall, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet werde (BVerfG, Beschl. v. 13.10.2015 – 2 BvR 2436/14 – und v. 24.9.2014 – 2 BvR 2782/10).

So liege der Fall hier. Die mit der Verfassungsbeschwerde allein angegriffene Versagung der Erstattung der Aktenversendungspauschale verletze das Grundrecht der Betroffenen auf eine willkürfreie Entscheidung gem. Art. 10 Abs. 1 VvB. Der amtsgerichtliche Beschluss sei insoweit, gemessen an seiner Begründung, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar. Die Entscheidung über die Erstattung der Aktenversendungspauschale habe sich daran orientieren müssen, ob es sich dabei um Auslagen der Betroffenen in dem genannten Verfahren handelte und ob diese notwendig waren. Das ergebe sich aus der Kostengrundentscheidung, die die Staatskasse zur Tragung der notwendigen Auslagen der Betroffenen in dem gegen sie geführten Ordnungswidrigkeitenverfahren verpflichtet habe. Zu diesem der Entscheidung über die Erstattung der Aktenversendungspauschale zugrunde zulegenden Maßstab weise die Begründung des AG, die Aktenversendungspauschale sei eine Servicepauschale, die der Verteidiger dafür bezahle, dass er sich eine Akteneinsicht bei der Behörde oder eine Mitnahme der Akte erspare, keinen sachlichen Bezug mehr auf. Weder nehme das Argument des AG der Aktenversendungspauschale offenkundig die Eigenschaft als Auslage der Betroffenen, noch lasse es deren Notwendigkeit offensichtlich entfallen. Eine Konkretisierung des abstrakten rechtlichen Entscheidungsmaßstabes, die einen sachlichen Bezug zwischen den Begriffen Auslage und Notwendigkeit einerseits und der Begründung des Beschlusses andererseits herstellen könnte, habe das AG nicht ausgeführt.

Die verfahrensgegenständliche Aktenversendungspauschale könne als Auslage der Betroffenen angesehen werden. Auslagen seien Vermögenswerte, d.h. in Geld messbare Aufwendungen eines Verfahrensbeteiligten, die bei der Rechtsverfolgung bzw. der Geltendmachung prozessualer Rechte entstanden seien. Aufwendungen eines Dritten seien als Auslagen des Beteiligten anzusehen, wenn ihm der Beteiligte zum Ersatz verpflichtet sei (vgl. Gieg, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl., 2019, § 464a Rn 6). Die Verpflichtung zur Zahlung der Aktenversendungspauschale sei gegenüber dem Verteidiger der Betroffenen durch deren Verteidigung gegen den verfahrensgegenständlichen Ordnungswidrigkeitenvorwurf entstanden. Die Betroffene sei ihrem Verteidiger insoweit auch aus dem mit ihm bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrag zum Ersatz verpflichtet.

Die Aktenversendungspauschale könne auch als notwendige Auslage angesehen werden. Notwendig sei eine Auslage, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder zur Geltendmachung prozessualer Rechte erforderlich war (vgl. Gieg, a.a.O.). Das könne schon dann anzunehmen sein, wenn der vernünftige und besonnene Verfahrensbeteiligte sie für geboten halten durfte. Angesichts des Umstandes, dass die einzige andere Möglichkeit, Akteneinsicht zu erlangen, vorliegend eine Einsichtnahme in die elektronisch geführte Verfahrensakte an einem Bildschirm in den Räumen des Polizeipräsidenten in Berlin gewesen sei, dürfte dies – so der VerfGH – auch naheliegen. Denn diese Möglichkeit der Akteneinsicht stelle sich gegenüber der von dem Verteidiger der Betroffenen erbetenen Übersendung eines Ausdrucks der Verfahrensakte zweifellos als die deutlich zeit- und kostenaufwändigere Alternative dar.

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