Die Entscheidung ist unzutreffend und gibt auch die Rechtsprechung des BGH nicht zutreffend wieder.

Der Abmahnung, dem Abschlussschreiben und dem Erkenntnisverfahren liegt jeweils der Hauptsacheanspruch zugrunde.

Daraus folgt,

  dass Abmahnung und Abschlussschreiben dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG darstellen, in der die Geschäftsgebühr nur einmal ausgelöst wird (§ 15 Abs. 2 RVG),
  dass die Geschäftsgebühr für die Abmahnung und das Abschlussschreiben im Erkenntnisverfahren anzurechnen ist, da sie denselben Gegenstand betrifft (Vorbem. 3 Abs. 4 VV).

Dem einstweiligen Verfügungsverfahren liegt dagegen der Eilanspruch zugrunde.

Daraus folgt,

  dass die Geschäftsgebühr für Abmahnung und Abschlussschreiben im Beschlussverfahren nicht anzurechnen ist, da sie einen anderen Gegenstand betrifft (Vorbem. 3 Abs. 4 VV).

Auch wenn der BGH zum Teil unzutreffenderweise die Geschäftsgebühr für eine Abmahnung auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden einstweiligen Verfügungsverfahrens anrechnet,[1] hat er doch in anderen Fällen erkannt, dass eine Anrechnung ausscheidet. Er hat nämlich festgestellt, dass eine Geschäftsgebühr sowohl hinsichtlich der Eilsache als auch hinsichtlich der Hauptsache anfallen kann und dass eine Anrechnung nur hinsichtlich des jeweils identischen Gegenstands in Betracht kommt.

 
Hinweis

Die außergerichtliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts vor einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und diejenige vor dem nachfolgenden Hauptsacheverfahren stellen regelmäßig verschiedene Angelegenheiten dar, deren Wahrnehmung jeweils eine Geschäftsgebühr auslöst.

BGH, Urt. v. 12.3.2009 – IX ZR 10/08[2]

Auf eine Verfahrensgebühr für ein einstweiliges Verfügungsverfahren kann daher nur eine Geschäftsgebühr angerechnet werden, die selbst die Eilsache betraf, nicht aber eine Geschäftsgebühr, die die Hauptsache betraf.[3]

Die zutreffende Anrechnung lässt sich am besten anhand folgenden Schaubilds verdeutlichen.

Das gleiche Problem stellt sich auch in verwaltungs- und finanz- und sozialrechtlichen Angelegenheiten. So sind dort zutreffenderweise die Gebühren für behördliche Aussetzungsanträge nur auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens anzurechnen, nicht aber auf das Hauptsacheverfahren. Umgekehrt ist eine Geschäftsgebühr für das Verwaltungs-, Einspruchs- oder Widerspruchsverfahren nur im Hauptsacheverfahren anzurechnen, nicht aber im gerichtlichen Aussetzungsverfahren.

Angesichts der widersprüchlichen Rechtsprechung des BGH hätte das OLG die Rechtsbeschwerde zulassen müssen, damit der BGH Gelegenheit erhält, die Rechtsfrage abschließend zu klären und die widersprüchlichen Rechtsansichten des I. und des IX. Senats aufzulösen.

Norbert Schneider

AGS 1/2016, S. 2 - 4

[1] Beschl. v. 2.10.2008 – I ZB 30/08; RVGreport 2008, 470 = WRP 2009, 75.
[2] BGH AGS 2009, 261, 262 = AnwBl 2009, 462 = NJW 2009, 2068 = MDR 2009, 772 = Rpfleger 2009, 414 = WRP 2009, 744 = BGHR 2009, 811 = JurBüro 2009, 358 = MittdtschPatAnw 2009, 246 = BRAK-Mitt 2009, 138 = NJW-Spezial 2009, 427 = RVGreport 2009, 261 = VersR 2010, 496.
[3] Ausführlich N. Schneider, NJW 2009, 2017; ebenso Weber, in: Münchener Anwaltshandbuch Vergütungsrecht, § 11 Rn 14 ff.

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