RVG §§ 48 Abs. 1 RVG VV Nr. 4143; StPO §§ 140, 141

Leitsatz

  1. Die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger umfasst nicht auch die Vertretung des Angeklagten auf Abwehr im Adhäsionsverfahren geltend gemachter vermögensrechtlicher Ansprüche.
  2. Wird ein Anwalt nach dem Stichtag einer Gesetzesänderung zum Pflichtverteidiger bestellt, richtet sich seine Vergütung auch dann nach neuem Recht, wenn er bereits vor dem Stichtag als Wahlanwalt tätig war.

OLG Hamm, Beschl. v. 8.11.2012 – III-3 Ws 139/12

1 Sachverhalt

Der Anwalt war am 16.4.2004 als gewählter Verteidiger des (damaligen) Beschuldigten beauftragt worden. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens bestellte der Vorsitzende der großen Strafkammer mit Beschl. v. 13.9.2011 den Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger des Angeklagten; weitere Ausführungen enthält der Bestellungsbeschluss nicht. Im Laufe des Verfahrens vor dem LG machten sowohl einer der durch die Tat Verletzten als auch die Witwe eines weiteren durch die Tat Verletzten vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Angeklagten im Verfahren nach §§ 403 ff. StPO geltend. Das LG sah jeweils nach § 406 Abs. 1 S. 3 StPO von einer Entscheidung über die Adhäsionsanträge ab und sprach den Angeklagten frei.

Der Pflichtverteidiger beantragte daraufhin die Festsetzung der ihm aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung. Dabei machte er u.a. eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV geltend. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle lehnte die Festsetzung der Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV ab. Die hiergegen erhobene Erinnerung sowie die dagegen wiederum erhobene Beschwerde hatten keinen Erfolg.

Auch die zugelassene weitere Beschwerde blieb erfolglos.

2 Aus den Gründen

a) Auf den Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers gegen die Staatskasse sind in materiell-rechtlicher Hinsicht nach § 61 Abs. 1 S. 1 RVG die Vorschriften des RVG anzuwenden, weil der Beschwerdeführer nach dem 1.7.2004 gerichtlich bestellt worden ist. Dass er bereits vor diesem Zeitpunkt als Wahlverteidiger tätig war, ändert hieran nichts (vgl. OLG Jena NJOZ 2005, 3709; BT-Drucks 15/1971, S. 203).

b) Dem Beschwerdeführer steht ein Anspruch auf Festsetzung von Verfahrensgebühren nach Nr. 4143 VV gegen die Staatskasse nicht zu.

Nach § 48 Abs. 1 RVG bestimmt sich der Umfang des Vergütungsanspruches des Rechtsanwaltes gegen die Staatskasse nach den Beschlüssen, durch die der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist.

aa) Die Bestellung des Beschwerdeführers zum Pflichtverteidiger des Angeklagten nach §§ 140, 141 StPO als solche umfasste das Tätigwerden zur Abwehr der gegen den Angeklagten gerichteten Adhäsionsanträge nicht.

(1) In der obergerichtlichen Rspr. und der Lit. wird die Frage, ob die Bestellung zum Pflichtverteidiger auch das Tätigwerden zur Abwehr von Adhäsionsanträgen umfasst, unterschiedlich beantwortet. Nach der wohl überwiegenden Auffassung in der obergerichtlichen Rspr. ist die Abwehr von Adhäsionsanträgen nicht von der Bestellung zum Pflichtverteidiger umfasst (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.4.2012 – III-1 Ws 84/12 [= AG kompakt 2012, 103]; KG, Beschl. v. 24.6.2010 – 1 Ws 22/09; OLG Hamburg, Beschl. v. 17.6.2010 – 2 Ws 237/09; OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.4.2010 – 1 Ws 178/10 [= AGS 2010, 427]; OLG Stuttgart, Beschl. v. 6.4.2009 – 1 Ws 38/09 [= AGS 2009, 387]; OLG Bamberg, Beschl. v. 22.10.2008 – 1 Ws 576/08; OLG Brandenburg, Beschl. v. 30.9.2008 – 1 Ws 142/08 [= AGS 2009, 69]; OLG Jena, Beschl. v. 14.4.2008 – 1 Ws 51/08; OLG Celle, Beschl. v. 6.11.2007 – 2 Ws 143/07 [= AGS 2008, 229]; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.9.2006 – 1 Ws 347/06; OLG München, Beschl. v. 26.11.2001 – 2 Ws 1340/01). Nach a.A. umfasst die Bestellung zum Pflichtverteidiger nach §§ 140, 141 StPO auch das Tätigwerden im Adhäsionsverfahren (OLG Rostock, Beschl. v. 15.6.2011 – I Ws 166/11 [= AGS 2011, 540]; OLG Dresden, Beschl. v. 13.6.2007 – 1 Ws 155/06 [= AGS 2007, 404]; OLG Köln, Beschl. v. 29.6.2005 – 2 Ws 254/05 [= AGS 2005, 436]; OLG Hamm [2. Strafsenat], Beschl. v. 31.5.2001 – 2 (s) Sbd 6 – 87/01 [= AGS 2002, 110]; OLG Schleswig NStZ 1998, 101 [= AGS 1998, 6]; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. [2012], § 140 Rn 5).

(2) Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung und hier insbesondere den in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen in den oben zitierten Beschlüssen der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Hamburg an. Entscheidend für die Auffassung des Senats sind hierbei namentlich folgende Erwägungen:

(a) § 404 Abs. 5 StPO sieht für die gerichtliche Entscheidung, dem Angeklagten zur Abwehr von gegen ihn gerichteten Adhäsionsanträgen einen Rechtsanwalt beizuordnen, ein besonderes Verfahren vor, das sich sowohl in seinem Ablauf als auch in den anzuwendenden Entscheidungsmaßstäben von dem Verfahren zur Bestellung eines Pflichtverteidigers unterscheidet. Während die Bestellung eines Pflichtverteidigers grundsätzlich keinen hierauf gerichteten Antrag des Angeklagten voraussetzt, sondern auch von Amts wegen erfolgen kann (vgl. § 140 Abs. 2 S. 1 StPO), macht § 404 Abs. 5 S. 1 StPO die Beiordnung von einem Antrag des...

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