Die statthafte, rechtzeitig eingelegte und auch sonst zulässige Erinnerung (§ 165 i.V.m. § 151 VwGO) hat auch in der Sache Erfolg.

Entgegen der Rechtsauffassung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des VG ist eine weitere 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV in Ansatz zu bringen, weil die Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG vorliegen.

Nach § 15 Abs. 5 S. 1 RVG erhält ein Rechtsanwalt, nachdem er in einer Angelegenheit tätig geworden ist und beauftragt wird, in derselben Angelegenheit weiter tätig zu werden, grundsätzlich nicht mehr an Gebühren, als er erhalten würde, wenn er von vornherein hiermit beauftragt worden wäre. Der Rechtsanwalt kann demnach im Grundsatz Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal verlangen.

Demgegenüber enthält § 15 Abs. 5 S. 2 RVG als reine Billigkeitsregelung eine Ausnahmeregelung, die diesen Grundsatz durchbricht, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt ist. Diese Bestimmung setzt demnach zunächst voraus, dass der frühere Auftrag erledigt ist und dem Rechtsanwalt nach der Erledigung ein weiterer Auftrag erteilt worden ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 8.12.2014 – 15 M 14.2529, juris [= AGS 2015, 62]). Dem weiteren Auftrag steht jedes anders geartete Ansinnen, eine Angelegenheit wieder anzugehen, gleich.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Es trifft zwar zu, dass die Anordnung des Ruhens des Verfahrens und die statistische Erledigung das zunächst unter dem Aktenzeichen 2 K 778/09 geführte gerichtliche Verfahren lediglich (vorübergehend) unterbrochen, nicht aber endgültig abgeschlossen haben. Im Hinblick auf die hier streitigen Fragen kommt es jedoch nicht auf den endgültigen Abschluss des Klageverfahrens an. Maßgeblich ist im Rahmen der Prüfung des Vorliegens einer Erledigung i.S.d. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG allein die Erledigung des Verfahrens für den bevollmächtigten Rechtsanwalt. "Erledigt" ist daher bezogen auf das Rechtsanwaltsvergütungsrecht zu verstehen. Das RVG verwendet den Begriff der Erledigung nicht nur in § 15 Abs. 5, sondern ebenfalls in § 15 Abs. 1, Abs. 4 und § 8 Abs. 1 RVG. Dort wird die Erledigung jedoch ausschließlich auf den Zeitpunkt bezogen, in dem die Rechtsanwaltsgebühren fällig werden. Auf den formalen, endgültigen Abschluss eines Klageverfahrens kommt es insoweit nicht an. Denn hierfür verwendet § 8 Abs. 1 RVG ausschließlich den Begriff der "Beendigung". Damit hat der Gesetzgeber, was der Kostenbeamte der Geschäftsstelle verkannt hat, deutlich gemacht, dass er beiden Begriffen verschiedene prozessuale Sachverhalte zugrunde legt. Es ist darüber hinaus kein Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber diese Unterscheidung nur im Hinblick auf die Fälligkeit der Rechtsanwaltsgebühren vorgenommen haben soll, insbesondere, da er beide prozessuale Sachverhalte gleich behandelt. Eine "Erledigung" i.S.v. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG liegt deswegen bereits vor, wenn ein gerichtliches Verfahren länger als drei Monate förmlich ruht und somit rechtsanwaltsgebührenrechtlich die Fälligkeit (§ 8 Abs. 1 S. 2 a.E. RVG) eingetreten ist (vgl. auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 13.5.2002 – 8 W 640/01, juris m.w.N. zu § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO [= AGS 2003, 19]).

Dieses Verständnis der (gebührenrechtlichen) Erledigung wird zudem durch die weitere Voraussetzung des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG gestützt. Danach muss diese Erledigung seit mehr als zwei Kalenderjahren vorliegen. Der Grund für diese Ausnahmeregelung ist allein die Erfahrung, dass nach einem Ablauf von zwei Kalenderjahren eine vollständige Wiedereinarbeitung eines Rechtsanwaltes in ein Mandat erfolgen muss (Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., RVG § 15 Rn 125). Über die bereits in § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO enthaltene vorhergehende Regelung hinaus sollten nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers gem. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG auch sonst vorgesehene Anrechnungen entfallen, weil sich auch in diesen Fällen ein Rechtsanwalt wegen des Zeitablaufs wieder neu in die Angelegenheit einarbeiten muss (vgl. BT-Drucks 15/1971, S. 190). Das Abstellen auf die Notwendigkeit einer Neueinarbeitung nach Ablauf von zwei Kalenderjahren schlägt auch auf die Frage durch, was unter einer gebührenrechtlichen Erledigung zu verstehen ist, nämlich schlicht ein Zeitpunkt, ab dem sich ein Rechtsanwalt mit einer Angelegenheit nicht mehr weiter befasst, so dass er sich nach Ablauf der zwei Kalenderjahre wieder neu einarbeiten muss. Dem stünde ein Verständnis entgegen, dass eine Erledigung etwa bei einem förmlich angeordneten Ruhen des Verfahrens nicht eingetreten sein soll, und dieses Verfahren erst nach zwei Kalenderjahren Jahren wieder angerufen wird. Denn auch dann müsste sich der Rechtsanwalt wieder neu in die Sache einarbeiten.

Diese Situation unterscheidet sich für den Rechtsanwalt auch nicht von der einer Zurückverweisung einer Sache nach § 21 RVG, hinsichtlich der in Rspr. und Lit. uneingeschränkte Einigkeit dahingehend besteht, dass dann § 15 Abs. 5 S. 2 RVG greift.

Auch insoweit liegen daher die tatbestandlichen Voraussetzung...

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