1. Gesetzliche Regelung

a) BRAO

Rechtsanwältin X hat die Gutachten – im Verfahren vor dem OLG Brandenburg ging es lediglich um deren Tätigkeit im Rahmen der Berufungshauptverhandlung – in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer des Landes Brandenburg erteilt. Gem. § 73 Abs. 2 Nr. 8 BRAO obliegt dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer insbesondere, Gutachten zu erstatten, die eine Landesjustizverwaltung, ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde des Landes anfordert. Eine vergleichbare Regelung trifft § 177 Abs. 2 Nr. 5 BRAO. Nach dieser Bestimmung obliegt der Bundesrechtsanwaltskammer insbesondere, Gutachten zu erstatten, die eine an der Gesetzgebung beteiligte Behörde oder Körperschaft des Bundes oder ein Bundesgericht anfordert.

b) RVG

Im RVG sind einige Fälle geregelt, in denen das Gericht ein Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer einzuholen hat. Dies betrifft einmal den Fall, dass eine Vereinbarung oder eine für den Erfolgsfall vereinbarte Vergütung vom Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände als unangemessen hoch angesehen wurde. Gem. § 3a Abs. 3 S. 2 RVG hat in einem solchen Fall das Gericht vor der Herabsetzung der vereinbarten Vergütung ein Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer einzuholen. Nach § 3a Abs. 3 S. 3 RVG ist dieses Gutachten kostenlos zu erstatten. Ein weiterer Fall ist in § 14 Abs. 3 S. 1 RVG geregelt. Im Rechtsstreit über die Angemessenheit der von dem Rechtsanwalt bestimmten Rahmengebühr hat das Gericht nach dieser Vorschrift ein Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer einzuholen, soweit die Höhe der Gebühr streitig ist. Gem. § 14 Abs. 3 S. 2 RVG ist dieses Gutachten kostenlos zu erstatten.

2. Kein kostenloses Gutachten

Nach den Ausführungen des OLG Brandenburg hat es sich bei der Heranziehung der Rechtsanwältin X im Hauptverhandlungstermin des LG Potsdam am 7.4.2022 nicht um eine gutachterliche Leistung der Rechtsanwaltskammer i.S.v. § 14 Abs. 3 RVG gehandelt. Nach dem Gesetzeswortlaut und dem Willen des Gesetzgebers sei diese Vorschrift nämlich nur auf die Fälle beschränkt, in denen das Gericht in einem Rechtsstreit über die Höhe der Rahmengebühr den Streit zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu entscheiden habe. Dieser Fall betreffe somit Zivilstreitigkeiten zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten. Demgegenüber seien die Fälle der Heranziehung durch die Staatsanwaltschaft oder durch die Strafgerichte hiervon nicht erfasst.

3. Keine entsprechende Anwendung

Nach den weiteren Ausführungen des OLG Brandenburg kam hier auch eine entsprechende Anwendung des § 14 Abs. 3 RVG und insbesondere des § 14 Abs. 3 S. 2 RVG auf gutachterliche Leistungen eines Mitglieds des Vorstands der Rechtsanwaltskammer, die durch die Heranziehung der Staatsanwaltschaft oder der Strafgerichte erfolgten, nicht in Betracht.

4. Kein Gutachten über die Angemessenheit von Rahmengebühren

Darüber hinaus hat das OLG Brandenburg darauf hingewiesen, dass Rechtsanwältin X im Hauptverhandlungstermin des Berufungsgerichts nicht (nur) ein Gebührengutachten i.S.v. § 14 Abs. 3 RVG erstattet hat. Zwar ergebe sich aus den Gründen des den Angeklagten freisprechenden Urteils, dass Rechtsanwältin X die von dem Angeklagten erstellte Kostennote geprüft und als nicht zu beanstanden bewertet habe. Zum Zeitpunkt der Heranziehung der Rechtsanwältin X als Sachverständige habe jedoch das gesamte erstinstanzliche Urteil zur Überprüfung gestanden. Deshalb sei es auch um die Frage gegangen, ob und ggf. in welchem Umfang ein vergütungspflichtiger Vertrag zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten zustande gekommen war. Diese Frage sei nämlich auch Gegenstand der von der Staatsanwaltschaft eingeholten schriftlichen gutachterlichen Stellungnahme vom 3.3.2020 gewesen. Damit diente das in der Berufungshauptverhandlung erstellte Gutachten der Rechtsanwältin X auch der Klärung streitiger Fragen und sei damit über eine amtliche Äußerung der Rechtsanwaltskammer zur Gebührenhöhe deutlich hinausgegangen.

Das OLG Brandenburg hat darauf hingewiesen, dass die Vorsitzende der Berufungskammer bei der Verfügung der Ladung der Rechtsanwältin X eine Beschränkung des Beweisthemas allein auf die Höhe der geltend gemachten und ggf. berechtigten Gebühren nicht vorgenommen hatte. Folgerichtig habe sie auf dem Beleg über die Auszahlung von Sachverständigenvergütung angeordnet, dass die Sachverständige bestimmungsgemäß zu vergüten sei. Das OLG Brandenburg ist somit zu dem Ergebnis gelangt, dass die von der Rechtsanwältin X erbrachte gutachterliche Leistung nach den Vorschriften des JVEG vergütungsfähig ist. Die Gutachtenerstellung sei nämlich nach der allgemeinten Regelung in § 73 Abs. 2 Nr. 8 BRAO erfolgt, die keine Kostenfreiheit gewährleistet.

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