Beispiel 1

Gegen den Beschuldigten B wird in drei verschiedenen Verfahren jeweils wegen Diebstahls ermittelt. Die Staatsanwaltschaft erhebt in jedem der Verfahren Anklage beim AG. Dieses verbindet vor der Hauptverhandlung die Verfahren. Das Verfahren 3 führt. Die Hauptverhandlung findet statt. Das ergehende Urteil wird rechtskräftig. B ist von Anfang an von Rechtsanwalt R in allen drei Verfahren verteidigt worden. Alle Merkmale des § 14 Abs. 1 RVG sind durchschnittlich.

Entstanden sind folgende Gebühren:

Bis zur Verbindung sind in Verfahren 1 und Verfahren 2 jeweils entstanden: Grundgebühr Nr. 4100 VV, Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV (vorbereitendes Verfahren), Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV, Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV (gerichtliches Verfahren), Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV. Im führenden Verfahren 3 sind bis zur Verbindung entstanden: Grundgebühr Nr. 4100 VV, Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV (vorbereitendes Verfahren), Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV, Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV (gerichtliches Verfahren), Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV.

Nach der Verbindung ist im verbundenen Verfahren 3 (noch) entstanden: Terminsgebühr Nr. 4108 VV (gerichtliches Verfahren).

Zu beachten ist: Bei Anwendung der Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG muss im vorstehenden Beispielsfall, wenn die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren i.H.d. Mittelgebühr angesetzt wird, die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren im Verfahren 3 wegen der größeren Bedeutung – das Verfahren bezieht sich jetzt auf drei Diebstahlstaten – höher angesetzt werden.

Für die Auslagen gilt: Auch die bis zur Verbindung entstandenen Auslagen kann der Rechtsanwalt abrechnen. Die Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV entsteht in dem führenden Verfahren 3 nach Verbindung aber nicht noch einmal. Nach der Anm. 1 zu Nr. 7002 VV kann diese Pauschale in derselben Angelegenheit nur einmal entstehen. Sie ist aber im Verfahren 1 bereits einmal entstanden. Die Verbindung führt nicht zu einer neuen/weiteren "Angelegenheit nach Verbindung".[12] Allerdings können weitere Auslagen, die nach Verbindung entstanden sind, zusätzlich zu den Auslagen, die schon vor der Verbindung in dem führenden Verfahren angefallen sind, abgerechnet werden,[13] so z.B. weitere Fotokopien.

 

Beispiel 2

Im Beispiel 1 werden die Verfahren nicht beim AG, sondern von der Staatsanwaltschaft schon vor Anklageerhebung verbunden, Verfahren 1 führt. B wird in beiden Verfahren von Rechtsanwalt R verteidigt. Es kommt dann zur Anklage beim AG. Beim AG findet nach Terminierung eine eintägige Hauptverhandlung statt.

Die Verfahren 1 und 2 bilden bis zur Verbindung eigenständige Angelegenheiten. Die in diesen Verfahren entstandenen Gebühren gehen Rechtsanwalt R nicht verloren.[14] Entstanden sind jeweils die Grundgebühr Nr. 4100 VV und die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren Nr. 4104 VV. In dem nach der Verbindung führenden Verfahren 1 entstehen dann nur noch die Gebühren, deren Tatbestand erst nach der Verbindung verwirklicht wird. Das ist die gerichtliche Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV, die nun – anders als im Beispiel 1 – aber nur einmal entsteht. Im verbundenen führenden Verfahren entsteht nicht noch einmal eine Grundgebühr Nr. 4100 VV (s. bei Beispiel 1). Es entsteht aber auch die Terminsgebühr Nr. 4108 VV.

Nach der Rspr. ist für die Annahme der Verbindung von Verfahren nicht die – nicht nach außen getretene – bloße Absicht der Staatsanwaltschaft, die Verfahren (demnächst) zu verbinden, ausreichend.[15] Auch die gemeinsame Terminierung verschiedener (Bußgeld-)Verfahren bewirkt noch keine Verbindung.[16]

 

Beispiel 3

Im Beispiel 1 werden die Verfahren nicht vor, sondern erst in der Hauptverhandlung verbunden, das Verfahren 1 führt. Es findet dann eine eintägige Hauptverhandlung statt.

Die Ausführungen zu Beispiel 1 gelten hinsichtlich der in den Verfahren 1, 2 und 3 bis zur Verbindung entstandenen Gebühren entsprechend. Für die nach der Verbindung im führenden Verfahren 1 entstehenden Gebühren gilt ebenfalls wie in Beispiel 1, dass nicht noch eine weitere (dritte) Verfahrensgebühr und/oder Grundgebühr entsteht.

Fraglich ist allerdings, wie viele Terminsgebühren entstanden sind. Die Antwort hängt davon ab, ob in allen Verfahren eine Hauptverhandlung stattgefunden hat. Unerheblich ist es insoweit, ob in allen Sachen eine Hauptverhandlung anberaumt war,[17] da eine Terminsgebühr nach dem Wortlaut der Vorbem. 4 Abs. 3 VV nicht nur entsteht, wenn eine Hauptverhandlung anberaumt war.[18]

Das Entstehen einer Hauptverhandlungsterminsgebühr setzt i.Ü. auch nicht voraus, dass ein förmlicher Aufruf erfolgt ist,[19] es reicht der "Beginn" der Hauptverhandlung. Hat in jedem Verfahren eine Hauptverhandlung stattgefunden, entsteht in jeder – zunächst noch nicht verbundenen – Angelegenheit gesondert eine Terminsgebühr. Der Verteidiger muss also darauf achten, dass die Verbindung erst nach Aufruf bzw. Beginn aller Sachen erfolgt, da dann auch in den hinzuverbundenen Verfahren eine Hauptverhandlung stattgefunden hat.[...

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