1. Zutreffende Entscheidung

Eine weitere Entscheidung "von ganz oben" zu den gesetzlichen Neuregelungen im Recht der Pflichtverteidigung. Allerdings bringt die Entscheidung nicht viel Neues, da der BGH zu den Fragen der Entpflichtung und der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers nach den Regelungen des neuen Recht bereits mehrfach Stellung genommen hat (vgl. die o.a. Zitate). Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass nun auch der BGH – wie schon zuvor das OLG Hamburg (a.a.O.) – die Verhinderung des Pflichtverteidigers an mehreren Hauptverhandlungsterminen als genügenden Anlass ansieht, die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben. Das war schon zum alten Recht anerkannt (vgl. dazu die Nachw. bei Hillenbrand, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 3529 ff. m.w.N.). Aber: Der Vorsitzende muss sich – nach wie vor – ernsthaft bemühen, die Terminschwierigkeiten zu beseitigen. Das galt auch schon zum alten Recht (vgl. Burhoff/Hillenbrand, a.a.O.). Darauf weist der BGH ausdrücklich hin. Die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers zur "Unterstützung" des verhinderten Pflichtverteidigers gehört zu den ggfs. zu ergreifenden Maßnahmen nach Auffassung des BGH aber nicht. Das ist m.E. zutreffend, denn § 144 Abs. 1 StPO hat eben, worauf der BGH hinweist, andere/zusätzliche Voraussetzungen.

2. Verfahren der Aufhebung

Zum Verfahren bei der Aufhebung der Bestellung eines "zweiten"/zusätzlichen Pflichtverteidigers hat vor kurzem das OLG Saarbrücken (Beschl. v. 1.9.2022 – 4 Ws 268/22) entschieden. Danach ist vor der Aufhebung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers nach § 144 Abs. 2 StPO dem Beschuldigten nach § 144 Abs. 2 S. 2 StPO i.V.m. § 142 Abs. 5 S. 1 StPO Gelegenheit zu geben, innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist den Pflichtverteidiger zu bezeichnen, dessen Beiordnung aufgehoben werden soll. Macht der Beschuldigte von der Möglichkeit des § 142 Abs. 5 S. 1 StPO Gebrauch, kann dann nach Auffassung des OLG Saarbrücken nur der von ihm bezeichnete Verteidiger nach § 144 Abs. 2 StPO entpflichtet werden. Etwas anderes gilt beim Vorliegen eines wichtigen Grundes. M.E. ist das zutreffend. Denn es ist kein Grund erkennbar, warum der Beschuldigte zwar grds. "bestimmen" können soll, wer ihn (pflicht-)verteidigt, er aber dann, wenn es um die Aufhebung einer von mehreren Pflichtverteidigerbestellungen geht, an die zeitliche Abfolge der Bestellung gebunden sein soll. Warum soll er dann nicht auch auswählen und sich für einen der bestellten Verteidiger entscheiden können? Folgt man dieser zutreffenden Ansicht des OLG, dann ist es nur konsequent, auch etwaige Stellungnahme-/Anhörungsrechte auszudehnen.

3. Gebührenrechtliche Auswirkungen

Gebührenrechtlich hat die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung nur Auswirkungen für die Zukunft (vgl. dazu LG Kaiserslautern RVGreport 2019, 135 = JurBüro 2019, 245; AG Osnabrück AGS 2021, 548). Bereits entstandene Gebühren bleiben dem "ausscheidenden" Pflichtverteidiger erhalten. Das entspricht dem Rechtsgedanken des § 15 Abs. 4 RVG.

Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

AGS 10/2022, S. 475 - 477

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