Leitsatz

  1. Die prozessuale Möglichkeit, Klagen gem. § 29 Abs. 1 ZPO am Erfüllungsort oder in arbeitsrechtlichen Verfahren am gewöhnlichen Arbeitsort gem. § 48 Abs. 1a ArbGG erheben zu können, besagt noch nichts über den Umfang der Kostentragungspflicht nach § 91 Abs. 1 ZPO. Die gesetzlichen Gerichtsstandsregelungen haben keinen kostenrechtlichen Bezug. (Hypothetische) Reisekosten der obsiegenden Partei werden von dieser Regelung nicht berührt.
  2. Für die Frage der Notwendigkeit der Reisekosten i.S.v. § 91 Abs. 1 ZPO kommt es darauf an, ob eine ordnungsgemäße Prozessführung durch Mitarbeiter der Partei am Ort des Prozessgerichts möglich wäre. Dabei ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen.

BAG, Beschl. v. 17.8.2015 – 10 AZB 27/15

1 Sachverhalt

Die Beklagte vertreibt an ihrem Sitz in A bei Augsburg Alarmanlagen und Videoüberwachungsanlagen an Händler. Sie beschäftigt nach eigenen Angaben 80, nach Angaben des Klägers etwa 150 bis 160 Mitarbeiter. In der einzigen weiteren Betriebsstätte der Beklagten in K bei Kiel wird ausschließlich Software entwickelt. Dort beschäftigt die Beklagte insgesamt fünf bis sechs Arbeitnehmer, darunter einen Teamleiter sowie – bis zu seinem Ausscheiden – den Kläger.

Die Parteien stritten zunächst über die Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte und einigten sich im Vergleichswege auf dessen Beendigung. In der Folgezeit klagte der Kläger einen Betrag von mehr als 57.000,00 EUR als Differenzvergütung für den Zeitraum Dezember 2009 bis Juni 2011 ein mit der Begründung, die mit ihm getroffene Vergütungsvereinbarung sei wegen Sittenwidrigkeit unwirksam. Dabei stritten die Parteien unter anderem um die Frage, welchem Wirtschaftszweig das Unternehmen der Beklagten zuzurechnen sei und in welche Gehaltsgruppe des betreffenden Rahmentarifvertrags der Kläger einzugruppieren wäre.

Der Kläger erhob seine Klage vor dem ArbG Kiel, welches drei Termine durchführte. Zu diesen Terminen erschien jeweils der anwaltliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten als deren einziger Vertreter. Er reiste zu den Terminen vom Sitz seiner Kanzlei in Augsburg an.

Das ArbG wies die Klage ab und verurteilte den Kläger, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil wies das LAG rechtskräftig zurück.

Das ArbG hat die vom Kläger der Beklagten zu erstattenden Kosten auf 6.024,33 EUR festgesetzt. Davon entfallen 2.066,48 EUR auf hypothetische Reisekosten der Beklagten für die drei erstinstanzlichen Gerichtstermine.

Gegen die Festsetzung dieser hypothetischen Reisekosten hat sich der Kläger mit seiner sofortigen Beschwerde gewandt und geltend gemacht, die Beklagte habe den Rechtsstreit von K aus mit dem dortigen Teamleiter führen können, der auch Vertragsänderungen mitverhandelt und ein Zwischenzeugnis unterzeichnet habe. Im Übrigen bestehe kein Anspruch auf Kostenerstattung für die Terminswahrnehmung, wenn der Arbeitgeber am Gerichtsstand des Erfüllungsorts verklagt werde.

Die Beklagte hat geltend gemacht, sie habe durch keinen der in K beschäftigten Mitarbeiter einen arbeitsgerichtlichen Prozess führen können. Es handele sich um eine Niederlassung ohne eigene Personalverwaltung, in der die Mitarbeiter mit Tätigkeiten aus dem Bereich Technik und EDV beschäftigt würden.

Das ArbG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Das LAG hat sie zurückgewiesen. Mit der vom LAG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

2 Aus den Gründen

Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist unbegründet.

Das LAG hat zu Recht die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des ArbG zurückgewiesen. Die Beklagte kann vom Kläger Erstattung ihrer hypothetischen Reisekosten von A nach Kiel für die drei erstinstanzlichen Termine vor dem ArbG verlangen.

I. Die Beklagte hat gegen den Kläger gem. § 91 Abs. 1 ZPO Anspruch auf Erstattung der erstinstanzlichen Anwaltskosten in Höhe ihrer ersparten Reisekosten.

1. Reisekosten sind notwendige Kosten i.S.v. § 91 Abs. 1 ZPO, wenn eine Partei in der konkreten Lage die die Kosten verursachende Reise vernünftigerweise als sachdienlich ansehen darf (vgl. BAG v. 21.1.2004 – 5 AZB 43/03, zu II 1 der Gründe). Dabei ist jede Prozesspartei verpflichtet, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle eines Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt. Diese Verpflichtung beherrscht als Ausdruck von Treu und Glauben das gesamte Kostenrecht (vgl. BAG v. 14.11.2007 – 3 AZB 36/07, Rn 11; BGH v. 2.5.2007 – XII ZB 156/06, Rn 12 f. [= AGS 2007, 541]).

2. Erscheint die Partei nicht selbst, sondern entsendet sie einen Prozessbevollmächtigten, sind die durch diesen entstehenden Kosten im Rahmen hypothetisch berechneter Reisekosten, die der Partei sonst entstanden wären, grundsätzlich erstattungsfähig (vgl. GMP/Germelmann, 8. Aufl., § 12a Rn 22; GK-ArbGG/Schleusener, Stand Juni 2015, § 12a Rn 46; Schwab/Weth/Vollstädt, ArbGG, 4. Aufl., § 12a Rn 25). Z...

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