Das LG hat die Tätigkeit der nach § 408b StPO bestellten Verteidigerin zu Unrecht als Einzeltätigkeit gewertet.

Es kann vorliegend dahin stehen, wie weit die Bestellung des Pflichtverteidigers nach § 408b StPO zeitlich reicht; vgl. zum Meinungsstand OLG Köln NStZ-RR 2010, 30 f. m. w. Nachw. Anders als etwa in § 117 Abs. 4 S. 1 StPO "für die Dauer der Untersuchungshaft", § 118a Abs. 2 S. 3 StPO "für die mündliche Verhandlung" im Haftprüfungsverfahren, § 350 Abs. 3 S. 1 StPO "für die Hauptverhandlung" in der Revisionsinstanz, § 418 Abs. 4 StPO "für das beschleunigte Verfahren" – nimmt § 408b StPO nicht ausdrücklich eine Beschränkung der Reichweite der Verteidigerbestellung vor.

Selbst wenn man der Meinung folgt, dass die Pflichtverteidigerbestellung nach § 408b StPO lediglich für das Strafbefehlsverfahren, nicht aber darüber hinaus für das weitere Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl gilt, vgl. dazu OLG Düsseldorf NStZ 2002, 390; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 408b Rn 6 m. w. Nachw., so folgt daraus nicht, dass die Tätigkeit des nach § 408b StPO bestellten Pflichtverteidigers vergütungsrechtlich lediglich als Einzeltätigkeit nach Nr. 4302 VV zu beurteilen wäre. Nach der Vorbem. 4.3 Abs. 1 VV entstehen die Gebühren Nrn. 4300 bis 4304 VV für einzelne Tätigkeiten, ohne dass dem Rechtsanwalt sonst die Verteidigung oder Vertretung übertragen ist.

Der nach § 408b StPO bestellte Pflichtverteidiger ist indessen "Vollverteidiger". Dem nach § 408b StPO bestellten Verteidiger obliegt die Verteidigung des Angeklagten, der vor der Verhängung der Freiheitsstrafe nicht persönlich durch einen Richter angehört wird und sich häufig der Gefahr des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f StGB mit der Folge, dass er die Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, nicht bewusst ist, umfassend. Die Verteidigung beschränkt sich nicht darauf, nach § 145a Abs. 1 StPO den Strafbefehl für den Angeklagten in Empfang zu nehmen und hiergegen nach dessen Willen oder vorsorglich gegebenenfalls Einspruch einzulegen. Vielmehr gehört es zu den Aufgaben des bestellten Verteidigers, dem Angeklagten fachkundige Beratung zukommen zu lassen und dessen verfahrensmäßige Rechte im Strafbefehlsverfahren wahrzunehmen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, ist der Pflichtverteidiger gehalten, Einsicht in die Ermittlungsakten zu nehmen und als fachkundiger Berater mit dem Angeklagten zu erörtern, ob es zweckmäßig erscheint, Einspruch gegen den Strafbefehl einzulegen.

Auch aus dem Gesetzeswortlaut kann nicht geschlossen werden, die Tätigkeit des Pflichtverteidigers unterliege bis zur Einspruchseinlegung irgendwelchen Beschränkungen. Dies zeigt bereits der Hinweis in § 408 b S. 2 StPO auf die entsprechende Anwendbarkeit des § 141 Abs. 3 StPO. Dort ist geregelt, dass ein Verteidiger auch schon während des Vorverfahrens bestellt werden kann. Schon hieraus allein ergibt sich, dass der Verteidiger während der gesamten Dauer seiner Bestellung unbeschränkte Verteidigerbefugnisse hat, vgl. dazu im Einzelnen: LG Bayreuth StV 1998, 614.

Soweit das LG eine inhaltliche Einschränkung der Verteidigerfunktion vorliegend mit der Begründung für gerechtfertigt hält, dass ein Angeschuldigter, gegen den zunächst lediglich ein Strafbefehl erlassen werde, sonst besser gestellt werde als derjenige, gegen den von vorneherein Anklage erhoben werde und der nur unter den Voraussetzungen des § 140 StPO Anspruch auf einen Pflichtverteidiger habe, verkennt es, dass § 408b StPO eine bewusst getroffene Sonderregelung darstellt, die gerade kompensieren soll, dass – anders als im Falle einer Anklage – gegen einen Angeschuldigten eine Freiheitsstrafe festgesetzt werden kann, ohne dass er zuvor von einem Richter gehört worden ist.

Im Übrigen verkennt das vom LG angeführte Argument ungerechtfertigter Besserstellung, dass in der auf einen Einspruch hin anberaumten Hauptverhandlung – anders als bei einer zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage – über § 411 Abs. 2 S. 2 StPO der für das beschleunigte Verfahren geltende § 420 StPO anzuwenden ist. Nach § 420 Abs. 4 StPO bestimmt der Strafrichter unbeschadet des § 244 Abs. 2 StPO den Umfang der Beweisaufnahme. Es können zwar Beweisanträge gestellt werden. Der Strafrichter kann sie aber ohne Bindung an die Beweisablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 bis 5 StPO ablehnen, wobei auch eine Beweisantizipation für zulässig gehalten wird. Dadurch wird das formelle Beweisantragsrecht erheblich eingeschränkt. Wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten (eine solche Strafe wird in Fällen der Pflichtverteidigerbestellung nach § 408b StPO vielfach gegeben sein) zu erwarten ist, ist dem Beschuldigten für das beschleunigte Verfahren ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Damit soll den Nachteilen und Gefahren der erleichterten Beweisaufnahme nach § 420 StPO Rechnung getragen werden. Es ließe sich nicht begründen, dass derjenige, der auf dem Umweg über das Strafbefehlsverfahren in die Hauptverhandlung mit verkürzter Beweisaufnahme gelangte, keinen Pfli...

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