Beispiel 1: Mehrere Berufungen

Gegen das amtsgerichtliche Urteil, das den Angeklagten verurteilt hat, legen sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Die Strafkammer beraumt einen Berufungshauptverhandlungstermin an. In dem Termin erscheint der Angeklagte nicht. Daher wird seine Berufung abgetrennt und nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Die Berufung der Staatsanwaltschaft wird in einem Fortsetzungstermin weiter durchgeführt und hat Erfolg. Der Verteidiger legt sowohl gegen das Verwerfungsurteil als auch gegen das im Fortsetzungstermin ergangene Urteil Revision ein. Welche Gebühren kann er geltend machen?

Für die Lösung ist zunächst von Bedeutung, dass durch die Abtrennung/Trennung der beiden Berufungen zwei Angelegenheiten vorliegen mit der Folge, dass nach § 15 Abs. 2 RVG in jeder dieser Angelegenheiten Gebühren geltend gemacht werden können.

Das bedeutet im Einzelnen:

Der Verteidiger kann für das ursprüngliche gemeinsame Berufungsverfahren die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV und die Terminsgebühr Nr. 4126 VV abrechnen.

Für das nach Abtrennung fortgeführte Verfahren über die Berufung der Staatsanwaltschaft kann er, da es sich um eine neue Angelegenheit handelt, noch einmal die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV und, wenn er an dem Hauptverhandlungstermin teilgenommen hat, eine weitere Terminsgebühr Nr. 4126 VV geltend machen.

Wird der Verteidiger für den Angeklagten später auch in den Revisionsverfahren tätig, entsteht zweimal die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV, da es sich auch insoweit um unterschiedliche Angelegenheiten handelt.

 

Beispiel 2: Berufungsverfahren; Auftrag erst in der Berufungsinstanz

Der Angeklagte A ist vom AG zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er erscheint bei Rechtsanwalt R und beauftragt ihn, gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung einzulegen. R legt Berufung ein und nimmt am Berufungshauptverhandlungstermin teil. Nachdem A dann nur noch zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist, lässt er das Berufungsurteil rechtskräftig werden.

R erhält auch die Grundgebühr Nr. 4100 VV, obwohl er erst im Berufungsverfahren mandatiert worden ist (vgl. dazu VI., 1.). Diese entsteht in jeder Lage des Verfahrens. R verdient außerdem eine Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV und für die Teilnahme an der Berufungshauptverhandlung eine Terminsgebühr Nr. 4126 VV.

 

Beispiel 3: Gerichtliches Verfahren; AG nimmt den Angeklagten nach der Hauptverhandlung in Haft

Dem Angeklagten A wird ein Diebstahl zur Last gelegt. Er wird bereits im Ermittlungsverfahren von Rechtsanwalt R vertreten. Dieser nimmt beim AG an einer eintägigen Hauptverhandlung teil. Das AG nimmt den Angeklagten nach der Hauptverhandlung in U-Haft, da er zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. R beantragt beim LG einen Haftprüfungstermin. Er nimmt an der Haftprüfung teil und nimmt zur Haftfrage Stellung. A bleibt in Haft. Er wird erst nach dem Berufungshauptverhandlungstermin entlassen. Das in diesem Fall ergehende Urteil wird rechtskräftig.

Rechtsanwalt R erhält die Gebühren für die Verteidigung des A im Ermittlungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren I. Instanz, und zwar die Grundgebühr Nr. 4100 VV, die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV, die Verfahrensgebühr Nr. 4106 und die Terminsgebühr Nr. 4108 VV für das gerichtliche Verfahren beim AG.

Rechtsanwalt R erhält die Verfahrensgebühr für das amtsgerichtliche Verfahren mit Zuschlag. Denn A ist noch im amtsgerichtlichen Verfahren in Haft genommen worden. Das Berufungsverfahren beginnt erst mit der Einlegung der Berufung (vgl. III., 1.). Auch die Terminsgebühr für die Hauptverhandlung beim AG entsteht mit Zuschlag, da A während dieses noch andauernden Termins in U-Haft genommen worden ist.[68]

Im Berufungsverfahren entsteht keine weitere Grundgebühr Nr. 4100 VV. Diese entsteht nur einmal im Laufe des Verfahrens. Die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr für die Tätigkeiten im Berufungsverfahren (Nrn. 4124, 4126 VV) entstehen allerdings mit Zuschlag, da A sich während des Berufungsverfahrens nicht auf freiem Fuß befunden hat. R verdient außerdem für die Teilnahme an dem landgerichtlichen Haftprüfungstermin eine Terminsgebühr Nr. 4102 Nr. 3 VV, und zwar mit Zuschlag, also nach Nr. 4103 VV.

 

Beispiel 4: Einstellung des Verfahrens im Berufungsverfahren

Dem Angeklagten A wird eine Körperverletzung zur Last gelegt. Er verteidigt sich im vorbereitenden Verfahren und im gerichtlichen Verfahren I. Instanz zunächst selbst. A wird verurteilt. A sucht nun Rechtsanwalt R auf und beauftragt ihn mit seiner Verteidigung im Berufungsverfahren. R legt Berufung ein und regt bei der Staatsanwaltschaft jetzt noch einen Täter-Opfer-Ausgleich an. Er nimmt an einem Termin mit dem Geschädigten und seinem Rechtsanwalt, in dem über den Täter-Opfer-Ausgleich verhandelt wird, teil. A verpflichtet sich zu Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlung. Nachdem die Zahlungen erfolgt sind, wird das Verfahren nach § 153a StPO endgültig eingestellt.

R verdient im Berufungsverfahren die Grundgebühr Nr. 4100 VV (vgl. Beispie...

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