Besonders umfangreich ist ein Strafverfahren, wenn der von dem Verteidiger erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer "normalen" vergleichbaren Sache zu erbringen hat. Der Pauschgebührenantrag kann zur Begründung des "besonderen Umfangs" allerdings nur noch bedingt auf vor dem 1.7.2004 ergangene Rspr. gestützt werden.[17] Bei dem Verfahren, in dem der Rechtsanwalt tätig war, muss es sich aber nicht um ein "exorbitantes" Verfahren gehandelt haben.[18] Die in Rspr. und Lit. dazu teilweise vertretene a.A. ist falsch und lässt sich auch nicht den Gesetzesmaterialien entnehmen. Diese Auffassung wäre allenfalls dann berechtigt, wenn die Pauschgebühr ein "besonders schwieriges und umfangreiches Verfahren" voraussetzen würde; das ist aber nicht der Fall.[19] Besondere Schwierigkeit und besonderer Umfang i.S.d. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG werden nicht durch das Stellen von Anträgen in der Hauptverhandlung herbeigeführt, die den Bereich angemessener und sinnvoller Verteidigung überschreiten, wie z.B. Rechtshilfeersuchen an al Baghdadi und Vernehmung einer Zeugin durch den Sharia-Richter des IS in Raqqa.[20]

Bei der Beurteilung des besonderen Umfangs gehen die OLG – auch bei verfahrensabschnittsweiser Geltendmachung einer Pauschgebühr – davon aus, dass die Erschwerung der Verteidigertätigkeit in einer Hinsicht, etwa wegen des Aktenumfangs und kurzer Einarbeitungszeit, durch ihre Erleichterung in anderer Hinsicht, z.B. durch die geringe Terminsdichte und eine unterdurchschnittliche Terminsdauer, ganz oder teilweise kompensiert werden kann.[21] M.E. ist das unzulässig. Dazu verweise ich nochmals[22] auf die Gesetzesbegründung zu § 51 RVG. In der BT-Drucks 15/1971, 201 heißt es zu der vom RVG ausdrücklich geschaffenen Möglichkeit, eine Pauschgebühr auch verfahrensabschnittsweise beantragen zu können, was bis dahin in der Rspr. der OLG umstritten war:

Zitat

"Abs. 1 S. 1 sieht vor, dass die Pauschgebühr entweder für das ganze Verfahren oder, wenn nur einzelne Verfahrensabschnitte besonders umfangreich oder schwierig gewesen sind, für diese einzelnen Verfahrensabschnitte gewährt wird. Wird nur für einen einzelnen Verfahrensabschnitt eine Pauschgebühr gewährt, sind nach Abs. 1 S. 3 die Gebühren des Vergütungsverzeichnisses, an deren Stelle die Pauschgebühr treten soll, zu bezeichnen."

Dieses Zusammenspiel zeigt m.E. mehr als deutlich, dass es – auch bei der verfahrensabschnittsweisen Beantragung einer Pauschgebühr – bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 51 RVG immer auch nur auf diesen Verfahrensabschnitt und die in ihm erbrachten Tätigkeiten ankommen kann. Alles andere führt dazu, dass Birnen mit Äpfeln verglichen werden, bzw.: Man negiert (auch) den Willen des Pflichtverteidigers, der sich mit den gesetzlichen Gebühren für andere Verfahrensabschnitte zufrieden gibt und sie als zumutbar ansieht.

[17] OLG Celle, Beschl. v. 10.12.2021 – 5 AR (P) 7/20, AGS 2022, 172 = StraFo 2022, 127 = JurBüro 2022, 131.
[18] Zur unzutreffenden a.A. u.a. BGH StRR 2014, 198 = RVGreport 2014, 269; ähnlich OLG Celle, Beschl. v. 10.12.2021 – 5 AR (P) 7/20, AGS 2022, 172 = StraFo 2022, 127 = JurBüro 2022, 131; OLG Nürnberg RVGreport 2015, 181 = StRR 2015, 157 = AGS 2015, 171 = Rpfleger 2015, 355; OLG Rostock RVGreport 2010, 415 = StRR 2011, 242 = NStZ-RR 2010, 326 (Ls.); wohl auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 9.8.2022 – 5-2 StE 7/20, AGS 2022, 404, in diesem Heft; BeckOK RVG/Seltmann/Sommerfeldt/Sommerfeldt, Stand 1.9.2022, § 51 Rn 10.
[19] Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn 12.
[20] OLG München RVGreport 2018, 450 = JurBüro 2018, 409.
[21] VerfGH Berlin NStZ-RR 2020, 190 = RVGreport 2020, 299; KG StRR 2015, 476 = RVGreport 2016, 16 = JurBüro 2016, 133 = Rpfleger 2016, 243; OLG Bamberg RVGreport 2018, 51 = NStZ-RR 2017, 392 = JurBüro 2017, 631; OLG Hamm RVGreport 2017, 13; OLG Nürnberg RVGreport 2015, 181 = StRR 2015, 157 = AGS 2015, 171 = Rpfleger 2015, 355; OLG Saarbrücken RVGprofessionell 2015, 206; s. auch unten II. 5.
[22] Vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn 158 und Burhoff, StraFo 2026, 448.

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