Hier habe das AG den Fristverlängerungsantrag der Klägerin übergangen und sein den Rechtszug abschließendes Urteil erlassen, ohne darüber entschieden zu haben. Diese Vorgehensweise sei nicht gerechtfertigt. Maßgebliche Vorschrift für die Verlängerung gerichtlich gesetzter Stellungnahmefristen sei § 224 Abs. 2 ZPO. Nach § 224 Abs. 2 ZPO können richterliche Fristen verlängert werden, wenn erhebliche Gründe glaubhaft gemacht sind. Es werde dabei als zulässig angesehen, auf eine eidesstattliche Versicherung zu verzichten und eine bloße anwaltliche Versicherung ausreichen zu lassen (vgl. MüKo-ZPO/Stackmann, 6. Aufl., 2020, § 224 Rn 5), insbesondere dann, wenn es sich um eine erstmalige Verlängerung handele (vgl. Stackmann, a.a.O., § 225 Rn 4). Über einen Antrag auf Fristverlängerung könne nach § 225 Abs. 1 ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

Ein Antrag auf Fristverlängerung müsse innerhalb der noch laufenden Frist bei Gericht eingegangen sein (vgl. Stackmann, a.a.O., § 224 Rn 8). Nicht erforderlich sei dagegen, dass über ihn noch während des Fristlaufs entschieden werde. Für den Eingang eines Schreibens bei Gericht sei nicht erforderlich, dass das Schreiben der richtigen Akte zugeordnet werde oder dass es der Geschäftsstelle übergeben werde, sondern allein, dass es in den Machtbereich des Gerichts gelangt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.10.1979 – 1 BvR 726/78; Beschl. v. 12.12.2012 – 2 BvR 1294/10; BGH, Beschl. v. 10.6.2003 – VIII ZB 126/02, NJW 2003, 3418).

Nach diesem Maßstab müsse – so das BVerfG – der Fristverlängerungsantrag als am 20.12.2022, 17:54 Uhr, gestellt gelten, denn zu diesem Zeitpunkt gelangte das per beA übermittelte Schreiben in den Machtbereich des Gerichts. Soweit das AG in seinem Beschluss über die Anhörungsrüge ausführe, der Fristverlängerungsantrag habe zum Zeitpunkt der Abfassung des Urteils nicht einmal der Geschäftsstelle vorgelegen, verfehle es die prozessrechtlichen Anforderungen. Das Gericht hätte noch über den Antrag befinden müssen; Verzögerungen bei der Weiterleitung des Antrags innerhalb des Gerichts können nicht zu Lasten der Beschwerdeführerin gehen.

Das AG habe auch nicht verlangen können, dass der Prozessbevollmächtigte seinen Fristverlängerungsantrag zu einem früheren Zeitpunkt hätte stellen müssen. Fristen dürfen einem gesicherten prozessrechtlichen Grundsatz zufolge, der seine Stütze im Verfassungsrecht finde, vollständig ausgeschöpft werden (vgl. BVerfGE 40, 42; 41, 323; 52, 207; 69, 381, 385). Lediglich bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax sei zu beachten, dass mit der Übermittlung so rechtzeitig begonnen wird, dass in der Regel mit einem rechtzeitigen Abschluss des Sendungsvorgangs gerechnet werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 12.4.2016 – VI ZB 7/15).

Zuletzt spiele es auch keine Rolle, ob den Prozessbevollmächtigten der Klägerin Verschulden treffe, ob er damit rechnen durfte, dass seinem Antrag stattgegeben werden würde und wann er mit einer Entscheidung rechnen durfte. Da es hier nicht um eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gehe, seien diese Fragen unerheblich. Maßgeblich seit nach dem Dargestelltem allein, ob der Fristverlängerungsantrag rechtzeitig bei Gericht einging und ob ein erheblicher Grund dafür glaubhaft gemacht wurde. Von beidem sei hier auszugehen. Es sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen das AG den erstmaligen Fristverlängerungsantrag wegen Arbeitsüberlastung und Ortsabwesenheit hätte ablehnen können.

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