§ 14 RVG; Nr. 2300 VV RVG; §§ 826, 249 BGB

Leitsatz

Zur Bestimmung einer außergerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV.

BGH, Urt. v. 10.5.2022 – VI ZR 156/20

I. Sachverhalt

Der Kläger hatte vor dem LG Stuttgart gegen die beklagte Volkswagen AG Ansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-Dieselskandal geltend gemacht. Der Kläger hatte einen gebrauchten Pkw Audi erworben, der mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor ausgestattet war, der eine Software zur Abgasrückführungssteuerung enthielt. Diese Software verfügte über zwei Modi. Aufgrund eines Bescheides des Kraftfahrtbundesamtes wurde die Software als unzulässig beanstandet. Hieraufhin entwickelte die Beklagte ein Software-Update, das vom Kraftfahrtbundesamt freigegeben wurde und auf dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde.

Der Kläger hatte geltend gemacht, er sei von der Beklagten durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung sittenwidrig geschädigt worden. Er hat vor dem LG Stuttgart die Feststellung beantragt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm Ersatz für Schäden zu leisten, die aus der Manipulation seines Fahrzeugs resultieren würden. Außerdem hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Anwaltskosten, berechnet auf der Grundlage einer 2,0-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV freizustellen. Das LG Stuttgart hat die beantragte Feststellung ausgesprochen und die Beklagte zur Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten, jedoch berechnet nur auf der Grundlage einer 1,3-Geschäftsgebühr, verurteilt und die Klage i.Ü. abgewiesen.

Die Beklagte hat hiergegen Berufung mit dem Ziel der vollständigen Klageabweisung eingereicht. Mit seiner Anschlussberufung hat sich der Kläger gegen die Absetzung eines Teils der vorgerichtlichen Anwaltskosten gewandt. Das OLG Stuttgart hat die Berufungen zurückgewiesen. Die Revision der Beklagten hatte beim BGH Erfolg. Nach Auffassung des BGH war der Feststellungsantrag des Klägers unzulässig. Die Revision des Klägers hatte nach Auffassung des BGH deshalb keinen Erfolg, weil der Kläger – auch wenn das Berufungsgericht ihm im zweiten Rechtsgang auf seine Hauptforderung einen Schadensersatzanspruch zusprechen sollte –, jedenfalls keinen Anspruch auf Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Anwaltskostenhatte.

II. Anspruch auf Freistellung von Anwaltskosten

Sofern dem Kläger ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte zustehen sollte, umfasst dieser auch gem. §§ 826, 249 BGB einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten. Diese Anwaltskosten sind nämlich Bestandteil des infolge einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch den Schädiger (hier die Beklagte) zu erstattenden Schadens. Die Beklagte hat dem Kläger jedoch nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Anwaltskosten zu ersetzen. Er kann nur die vorgerichtlichen Anwaltskosten ersetzt verlangen, die aus seiner Sicht zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (s. BGH AGS 2015, 97 = RVGreport 2015, 68 [Hansens]; BGH AGS 2015, 589 m. Anm. Schons = zfs 2016, 44 m. Anm. Hansens = RVGreport 2016, 25 [Ders.]).

III. Anspruch auf Ersatz einer Geschäftsgebühr

1. Anfall der Geschäftsgebühr

Nach Vorbem. 3 Abs. 3 VV entsteht die Geschäftsgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Vorliegend hatte der Kläger für die vorgerichtliche Tätigkeit seines Rechtsanwalts eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV geltend gemacht, deren gesetzlicher Rahmen von 0,5 bis 2,5 reicht. Nach der Anm. zu Nr. 2300 VV in der hier anwendbaren bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung des RVG kann eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Diese Voraussetzungen hat der Kläger hier als erfüllt angesehen und eine 2,0-Geschäftsgebühr verlangt.

2. Bestimmung der Gebührenhöhe im Einzelfall

Bei einer Rahmengebühr wie hier in Nr. 2300 VV vorgesehen, bestimmt der Rechtsanwalt gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen. Dieses Bestimmungsrecht des Rechtsanwalts gilt jedoch nicht unbeschränkt. Nach der Anm. zu Nr. 2300 VV kann eine Geschäftsgebühr von mehr als 1,3 nämlich nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (BGH AGS 2012, 373 m. Anm. Schons = zfs 2012, 584 m. Anm. Hansens = RVGreport 2012, 375 [Hansens]; BGH AGS 2007, 28 m. Anm. Schons = zfs 2007, 102 m. Anm. Hansens = RVGreport 2007, 21 [Ders.]).

Ist die Geschäftsgebühr – wie es vorliegend der Fall war – von einem Dritten zu ersetzen, trägt der ersatzpflichtige Dritte (hier die beklagte Volkswagen AG) gem. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG die Darlegungs- und Beweislast für die Unbilligkeit der getroffenen Bestimmung (BGH RVGreport 2011, 145 [Hansens]). Dies gilt grds. auch dann, wenn das Bestimmungsrecht nach der Anm. zu Nr. 2300 VV eingeschränkt ist.

3. Die Argumentation des OLG Stuttgart

In seinem dem Revisionsurteil des BGH vorangegangenen Berufungsurt. v. 20.12.2019 (5 U 202/18) hat das OLG Stuttgart die Auffassung vertreten, dem Rechtsanwalt des Kläge...

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