In der Beratungshilfepraxis im Familienrecht spielen zwei Punkte immer wieder eine entscheidende Rolle: 1. der Begriff der Angelegenheit und 2. die Möglichkeit anderweitiger (kostenloser) Hilfe, z.B. durch die Jugendämter.

1.  Mit dem OLG Düsseldorf[1] und dem OLG Frankfurt/M.[2] sind Trennungsfolgen ungeachtet der Regelungen zum späteren, gerichtlichen Scheidungsverbund einzelne Angelegenheiten im Sinne des Beratungshilferechts (§ 2 Abs. 2 u. § 6 BerHG). § 16 Nr. 4 RVG kann zur Begründung eines sog. Beratungshilfeverbundes in Familiensachen nicht herangezogen werden. Eine direkte Anwendung von § 16 Nr. 4 RVG scheidet aus, weil dort nur der Scheidungsverbund (seit dem 1.9.2009: § 137 FamFG) geregelt ist, d.h. das mit dem Scheidungsantrag eingeleitete gerichtliche Verfahren, nicht aber die außergerichtliche Beratung. Eine analoge Anwendung wird vom OLG Düsseldorf und vom OLG Frankfurt/M. wohl zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass der Gesetzgeber das zum alten § 7 Abs. 3 BRAGO bereits lebhaft diskutierte Problem nicht übersehen haben könne,[3] es also an der für eine Analogie erforderlichen sog. planwidrigen Regelungslücke fehle.[4] Für die geläufigen Trennungsfolgen wie Trennungsunterhalt oder Unterhalt nach § 1615l BGB, Kindesunterhalt, Sorgerecht und Umgangsrecht sind daher jeweils die entsprechenden Beratungshilfegebühren festzusetzen.

2.  In der Beratungshilfepraxis rückt nun die Frage der Möglichkeit und Zumutbarkeit anderweitiger Hilfe in den Fokus. Insbesondere beim Kindesunterhalt wird auf die Möglichkeit der Beratung und Vertretung durch die Jugendämter verwiesen.

Das BVerfG musste sich jüngst mit der Frage der Möglichkeit und Zumutbarkeit anderweitiger Hilfe beschäftigen. Es hob eine ganze Reihe von ablehnenden Beratungshilfeentscheidungen auf, die den unbemittelten Rechtsuchenden im Widerspruchsverfahren gegen SGB-II-Bescheide auf eine Beratung durch die Widerspruchsstelle der Ausgangsbehörde verwiesen. Dass der sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz, dem Sozialstaats- und dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Grundsatz der Rechtsschutzgleichheit auch für den außergerichtlichen Rechtsschutz gilt, hatte das BVerfG zuvor bereits entschieden (Beratungshilfe in steuerrechtlichen Angelegenheiten, hier Kindergeld).[5] Der Unbemittelte sei einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der bei seiner Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigt und vernünftig abwägt. In den SGB-II-Entscheidungen führt das BVerfG aus, dass durchaus Anlass bestehen könne, bereits im Widerspruchsverfahren einen Rechtsanwalt beizuziehen. Ob der bemittelte Rechtsuchende von seinem Recht der aktiven Verfahrensbeteiligung durch Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für das Widerspruchsverfahren vernünftigerweise Gebrauch mache, könne nicht pauschal verneint werden, sondern hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Ein kostenbewusster Rechtsuchender werde dabei insbesondere prüfen, inwieweit er fremde Hilfe zur effektiven Ausübung seiner Verfahrensrechte brauche oder selbst dazu in der Lage sei.[6]

Auch die Frage, ob ein bemittelter Rechtsuchender in Unterhaltsangelegenheiten die Hilfe des Jugendamts in Anspruch nehmen oder stattdessen (sogleich) einen Rechtsanwalt beauftragen würde, lässt sich nicht pauschal beantworten.

Das AG Helmstedt hält die Möglichkeit der Inanspruchnahme anderweitiger Hilfe durch das Jugendamt in dem hier besprochenen Extremfall für unzumutbar. Im Ergebnis ist dem AG selbstverständlich zuzustimmen.

Die Begründung des Gerichts trägt aber auch in weniger extremen Fällen: "Die Möglichkeit der Beratung und Betreuung durch das Jugendamt ist dem unbemittelten Bürger jedoch dann unzumutbar, stellt mithin keine andere Möglichkeit der Hilfe im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG dar, wenn die zu klärende rechtliche Angelegenheit [...] lediglich einen Teil eines komplexen familiären Sachverhalts betrifft und der mit der Beratungshilfesache beauftragte Rechtsanwalt bereits in anderen Teilbereichen des Gesamtsachverhalts tätig war."

Nicht hinzunehmen ist die Praxis der Beratungshilfestellen, der rechtsuchenden Kindesmutter Beratungshilfe nur für ihren Unterhalt zu gewähren und sie wegen des Kindesunterhalts an das Jugendamt zu verweisen. Bei solchen Entscheidungen tritt ein fehlendes Verständnis der familienrechtlichen Zusammenhänge zutage. Ob und in welcher Höhe der Kindesmutter ein Unterhaltsanspruch zusteht, hängt maßgeblich vom Kindesunterhalt ab (vgl. nur § 1609 BGB). Neben dem rechtlichen Zusammenhang gibt es auch tatsächlich Gründe, die beim Unterhalt der Kindesmutter und beim Kindesunterhalt für eine Beratung/Vertretung aus einer Hand sprechen: Bei künstlicher Spaltung in einen Part für den Rechtsanwalt (Mutter) und einen Part für das Jugendamt (Kinder) würde die Kindesmutter einen weitgehend identischen Sachverhalt zwei Stellen mitzuteilen und dort jeweils entsprechende Unterlagen einzureichen haben. Gleiches gilt für den Ehemann bzw. Ex-Partner und Kindesvater....

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