Wird der Rechtsanwalt im Zusammenhang mit dem Erlass eines Strafbefehls nach § 408b StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet, entsteht nicht nur eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4302 VV.[7] Vielmehr rechnet nach h.M. auch der Rechtsanwalt nach Teil 4 Abschnitt 1 VV ab mit der Folge, dass Grundgebühr, Verfahrensgebühr und ggf. auch die zusätzliche Gebühr Nr. 4141 VV entstehen (können).[8] Die h.M. (der OLG) ist zutreffend.[9] Die andere Ansicht des LG Aurich[10] vermengt nämlich die verfahrensrechtliche Sicht der Dinge, die bis zum Inkrafttreten des "Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung" v. 10.12.2019[11] am 13.12.2019 umstritten war,[12] mit der gebührenrechtlichen Sicht. Von der (früher umstrittenen verfahrensrechtlichen) Frage des zeitlichen Umfangs der Pflichtverteidigerbestellung zu unterscheiden ist aber auf jeden Fall die (gebührenrechtliche) Frage, ob der nach § 408b StPO bestellte Pflichtverteidiger "Vollverteidiger" ist, was von den OLG[13] zutreffend bejaht wird.[14] Es gehört nämlich auch zu den Aufgaben des nach § 408b StPO jetzt ausdrücklich als "Pflichtverteidiger" beigeordneten Rechtsanwalts, dem Beschuldigten/Angeklagten fachkundige Beratung zukommen zu lassen und dessen verfahrensmäßigen Rechte im Strafbefehlsverfahren umfassend wahrzunehmen. Eine Beschränkung der Verteidigerbefugnisse besteht i.Ü. nach der Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigung jetzt auch nicht mehr in zeitlicher Hinsicht.[15]

 

Beispiel 4

Gegen den Beschuldigten B ist ein Strafverfahren wegen einer Trunkenheitsfahrt anhängig. Gegen ihn wird Strafbefehl erlassen. Gleichzeitig mit Erlass des Strafbefehls wird gem. § 408b StPO Rechtsanwalt R als Pflichtverteidiger bestellt. Diesem wird der Strafbefehl zugestellt. Daraufhin sieht er die Akte ein, gibt aber keine Erklärung ab. Der Strafbefehl wird rechtskräftig. Welche Gebühren kann Rechtsanwalt R als gesetzliche Gebühren festsetzen lassen?

Entstanden ist die Grundgebühr Nr. 4100 VV. Die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV für das vorbereitende Verfahren ist nicht entstanden. Das vorbereitende Verfahren war nach der Anm. zu Nr. 4104 VV bereits mit Eingang des Antrags auf Erlass des Strafbefehls beim AG beendet.

Entstanden ist aber die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV für das gerichtliche Verfahren. Das hängt nach der Klarstellung durch das 2. KostRMoG in der Nr. 4100 VV nicht mehr davon ab, ob der Rechtsanwalt über den Abgeltungsbereich der Grundgebühr hinausgehende Tätigkeiten erbracht hat.[16] Die Grundgebühr und Verfahrensgebühr entstehen nämlich immer nebeneinander.[17] Allerdings wird ggf. bei der Bemessung der Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV zu berücksichtigen sein, wenn er nur wenige über die erste Einarbeitung hinaus gehende Tätigkeiten erbracht hat.[18]

Wandelt man das vorstehende Beispiel dahin ab, dass Rechtsanwalt R Einspruch einlegt und dann an der Hauptverhandlung teilnimmt, in der der Einspruch zurückgenommen wird, so steht ihm für die Teilnahme an der Hauptverhandlung auch die Terminsgebühr Nr. 4108 VV zu, es sei denn die Pflichtverteidigerbestellung ist zuvor ausdrücklich aufgehoben worden (§ 143 Abs. 1 StPO).[19]

 

Beispiel 5

Dem Beschuldigten B wird eine Trunkenheitsfahrt zur Last gelegt. Er erscheint zur Hauptverhandlung beim AG nicht. Der Amtsrichter will nach § 408a Abs. 1 S. 1 StPO einen Strafbefehl erlassen und den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilen. Er ordnet dem Angeklagten gem. § 408b StPO den zufällig im Saal anwesenden Rechtsanwalt R als Pflichtverteidiger bei. Dieser legt nach der Hauptverhandlung zunächst Einspruch ein und nimmt den nach einer Besprechung mit B zurück. Welche gesetzlichen Gebühren kann Rechtsanwalt R als Pflichtverteidiger festsetzen lassen?

Entstanden ist die Grundgebühr Nr. 4100 VV. Die Grundgebühr entsteht für den Verteidiger immer. Entstanden ist außerdem auch eine Verfahrensgebühr Nr. 4108 VV. Die Grundgebühr und Verfahrensgebühr entstehen immer nebeneinander.[20]

Ob auch eine Terminsgebühr als gesetzliche Gebühr entstanden ist, war früher umstritten. Das AG Koblenz[21] hat das bejaht, N. Schneider und Hansens haben das hingegen verneint.[22] Die Frage hing früher davon ab, wie man die Reichweite/den Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers im Strafbefehlsverfahren bestimmt.[23]

Die Problematik hat sich durch die Neuregelung in § 408b StPO durch das "Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung" v. 10.12.2019[24] erledigt. Denn insoweit gilt jetzt: Legt der Angeschuldigte gegen den Strafbefehl Einspruch ein und folgt gem. § 411 Abs. 2 StPO eine Hauptverhandlung, ist zu unterscheiden:[25]

Ist die Verhängung einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu erwarten, liegt – schon nach den allgemeinen Vorgaben zur Bestellung eines Pflichtverteidigers in § 140 Abs. 2 StPO – ohnehin ein Fall notwendiger Verteidigung vor, sodass die Bestellung nach § 143 Abs. 1 StPO jedenfalls fortdauert.
Entsprechendes gilt, wenn eine unter einem Jahr li...

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