I.

Das VG Halle übersieht zunächst, dass § 91 Abs. 2 ZPO in verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht gilt. In § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO heißt es lediglich:

 
Hinweis

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in Abgabenangelegenheiten auch einer der in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 genannten Personen, sind stets erstattungsfähig.

Danach sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig. Ein Verweis auf § 91 Abs. 2 ZPO fehlt. Die Erstattungsvorschrift differenziert gerade nicht nach einem Anwalt, der am Gerichtsort ansässig ist, im Gerichtsbezirk niedergelassen ist oder außerhalb wohnt und niedergelassen ist.

Insoweit hat das BVerwG[1] Folgendes klargestellt:[2]

 
Hinweis

"§ 162 Abs. 2 S. 1 VwGO bestimmt, dass Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts als Prozessbevollmächtigten stets erstattungsfähig sind. Eine Einschränkung des Inhalts, dass Reisekosten eines nicht am Sitz des Gerichts tätigen oder wohnenden Rechtsanwalts nur erstattungsfähig sind, wenn seine Zuziehung notwendig war, kennt die Verwaltungsgerichtsordnung nicht. Die für den Zivilprozess insoweit in § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffene Regelung findet über § 173 VwGO keine Anwendung. Der Gesetzgeber wollte die Beteiligten im Verwaltungsprozess nämlich bei der Wahl eines Rechtsanwalts ihres Vertrauens freier stellen (vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl., 2004, § 162 Rn 10; Olbertz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Februar 2007, § 162 Rn 49), um es ihnen zu erleichtern, einen im Verwaltungsrecht qualifizierten Anwalt zu finden (vgl. BT-Drucks 3/55, 48)."

Allerdings wird diese Entscheidung von der Instanzrechtsprechung – wie hier – regelmäßig übergangen. Schon aus diesem Grunde wären die vorangemeldeten Fahrtkosten in voller Höhe erstattungsfähig gewesen.

II.

Abgesehen davon verkennt das VG Halle, dass es nicht darauf ankommt, wo die am weitetesten entfernte Anwaltskanzlei im Gerichtsbezirk liegt. Vielmehr ist abzustellen auf die höchstmögliche Entfernung im Gerichtsbezirk, unabhängig, ob dort ein Anwalt ansässig ist oder nicht. Es kommt nur darauf an, ob dort ein Anwalt ansässig sein könnte. Das OLG Brandenburg[3] hat dies plastisch ausgedrückt. Maßgebend ist die Entfernung "bis zum hintersten Winkel" im jeweiligen Gerichtsbezirk.

Genau diese Entfernung "bis zum hintersten Winkel" ist in der zitierten Reisekostentabelle unter Angabe der jeweiligen Koordinaten angegeben.

III.

Wie der Richter auf die Idee kommt, ein "Streitwert" für das Erinnerungsverfahren festzusetzen, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Erinnerungsverfahren lösen keine Gerichtsgebühr aus. Daher bedarf es keiner Streitwertfestsetzung.

Ein Wert ist allenfalls für die Anwaltsgebühren erforderlich. Dann handelt es sich aber nicht um den "Streitwert", sondern um den "Gegenstandswert". Dieser bemisst sich dann auch nicht nach § 52 Abs. 3 GKG, sondern nach § 23 Abs. 1 S. 3 RVG.

Rechtsanwalt Norbert Schneider

AGS 7/2020, S. 345 - 347

[1] NJW 2007, 3656 = DÖV 2008, 209 = RVGreport 2008, 65.
[2] Ebenso OVG Sachsen NVwZ-RR 2017, 311 und AG Aachen AGS 2020, 95 = NJW-Spezial 2019, 764.
[3] NZFam 2016, 566.

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