Ich gebe zu, kein Freund einer Zusammenstellung von typischen Fallgestaltungen zu sein, zumal im Familienrecht einmal mehr die Wahrnehmung "jeder Fall ist anders" greift, genau dieses Augenmerk jenseits klassischer Fallgestaltungen gelegen ist und aus meiner Sicht allein zu praxisgerechter Mandatsbearbeitung führen kann. Das ist die Ausgangssituation, zu der der Titel des Werks verleiten könnte. Das Werk, ausgewählt als Praxisleitfaden, ist hingegen herausragend und zum Glück weit davon entfernt, typische Fallgestaltungen zu konstruieren. Es vermag vielmehr in 18 Kapiteln, materiell-rechtlich und verfahrensrechtlich individuell aufbereitet, auch den Anfänger im Familienrecht, an den sich die Autoren erklärtermaßen ebenfalls richten, in sämtliche familienrechtlichen Kernbereiche einzuführen und dem erfahrenen Praktiker die für ihn heranzuziehenden vertiefenden (Warn-)Hinweise und Praxistipps zu geben.

Dabei vermögen die Autoren auch den wirtschaftlichen Hintergrund des familienrechtlich tätigen Anwalts zu erkennen und ihn in einem einführenden 1. Kapitel im Hinblick auf die besonderen Begegnungen in der familienrechtlichen Praxis zu sensibilisieren. Dazu verhelfen insbesondere Vorschläge für Mandantenfragebogen, die Beschreibung der Erstbegegnung mit familienrechtlichen Mandanten und den Mitarbeitern des Anwalts und die Visualisierung der möglichen Weichenstellungen, die zur Beauftragung führen.

Das 2. Kapitel offeriert eine kompetente Abgrenzung zwischen den Tätigkeitsfeldern im Zeitraum der Trennung und nach der Scheidung unter Abwägung ihrer jeweiligen wirtschaftlichen und tatsachlichen Vor- und Nachteilen. Bevor die Autoren in die Kernbereiche der Familiensachen (§ 111 FamFG) auch vertiefend einführen (4. bis 13. Kapitel), widmen sie ihr 3. Kapitel der vorsorgenden Rechtspflege, dem Ehevertrag.

Einem eigenen Kapitel zum Internationen Familienrecht, ein für den Praktiker eher unliebsames Thema, sind allein 77 Seiten gewidmet, die auch dem versierten und erfahrenen Praktiker bisher nicht erkannte Möglichkeiten in der Fallbearbeitung eröffnen und in einer mehr als haftungsträchtigen Materie kompetent wegweisend sind. Dabei ist die mit Wirkung ab dem 21.6.2012 geltende Rom-III-Verordnung in das Werk eingearbeitet und ihr sachlicher Anwendungsbereich anhand einer Vielzahl von Beispielsfällen eingehend erläutert. Auch die Schnittstellen zum Erbrecht werden in einem eigenen Kapitel 16 dargestellt und leiten über in die sich aus § 135 Abs. 2 FamFG ergebende Vorgabe des Gesetzgebers, in geeigneten Fällen den Beteiligten eine außergerichtliche Streitbeilegung der Folgesachen vorzuschlagen (Mediation). Die Zusammenstellung typischer Mandantenfragen in einem abschließenden Kapitel 18 rundet das Werk ab.

Begleitet wird es durch eine CD-ROM, die Muster zum Ausfüllen am PC enthält, Zugriff auf die einschlägigen Vorschriften des Familienrechts, Unterhaltstabellen und die zitierten Entscheidungen bietet und über Updates über einen Online-Service verfügt, abgerundet durch einen Mail-Newsletter mit Hinweis auf wichtige Entscheidungen und Gesetzesänderungen, sodass der familienrechtliche Praktiker alles präsentiert erhält, was er zur kompetenten Mandatsbearbeitung benötigt. Jedes Kapitel enthält visuell hervorgehobene "Praxishinweise", "Warnhinweise" und Muster, die lediglich begrifflich teilweise noch einer Anpassung im Hinblick auf den Sprachgebrauch des § 113 Abs. 5 FamFG bedürfen.

Das Werk lässt sich mit Leichtigkeit lesen und aufnehmen. Das mag in erster Linie darauf zurückzuführen sein, dass die Autoren sich nicht nur juristisch mit dem Familienrecht auseinandersetzen, sondern durch ihre eigene Erfahrung geprägt und mit emphatischem Augenmerk versehen erkennen, was in der Mandatsbearbeitung unabdingbar ist. Das Werk dürfte sich in erster Linie an Anwälte richten. Gleichermaßen sollte aber auch die Gerichtsbarkeit profitieren, der regelmäßig die sachgerechte und umfassende Erfassung eines Falls deshalb versagt bleibt, weil sie nur mit Teilbereichen konfrontiert ist und sie dem sich aus § 135 Abs. 2 FamFG ergebenden Auftrag deshalb häufig nicht gerecht werden kann.

Eine sehr empfehlenswerte Bereicherung für jeden Praktiker im Familienrecht.

Autor: Lotte Thiel

Rechtsanwältin u. FAFamR Lotte Thiel, Koblenz

AGS 7/2013, S. III - IV

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