I. Fragen

1. Fall 1

Der Antragsteller A, seine Ehefrau F und die beiden durch den Antragsteller und dessen Ehefrau gesetzlich vertretenen minderjährigen Kinder K1 und K2 haben beim LG Berlin gegen die Antragsgegnerin unter den vier Gerichtsaktenzeichen 27 O 122, 27 O 123, 27 O 124 und 27 O 125/21 ohne mündliche Verhandlung eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung derselben Wortberichterstattung erwirkt. Alle vier Familienmitglieder haben sich dabei durch denselben Rechtsanwalt S vertreten lassen. Der Inhalt der vier Anträge auf Erlass der einstweiligen Verfügung war – mit Ausnahme der personenbezogenen Angaben – weitgehend identisch. Das LG hat die Kosten in jedem dieser vier Verfahren der Antragsgegnerin auferlegt. Den Streitwert hat das LG im Verfahren des A und der F jeweils auf 50.000,00 EUR, in den Verfahren von K1 und K2 auf jeweils 25.000,00 EUR festgesetzt.

Rechtsanwalt S beantragt die Festsetzung der Kosten gegen die Antragsgegnerin wie folgt:

 
Praxis-Beispiel
 
I. Antragsteller A und Ehefrau F jeweils  
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV 1.662,70 EUR
  (Wert: 50.000,00 EUR)  
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 319,71 EUR
  Gesamt 2.002,41 EUR
  für A und F zusammen 4.004,82 EUR
II. K1 und K2 jeweils  
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV 1.048,80 EUR
  (Wert: 25.000,00 EUR)  
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 203,07 EUR
  Gesamt 1.271,87 EUR
  für K1 und K2 zusammen 2.543,74 EUR
  für die gesamte Familie somit 6.548,56 EUR

Welche Entscheidung wird der Rechtspfleger über diese Kostenfestsetzungsan-träge treffen?

2. Fall 2

Das LG hat in dem Rechtsstreit auf Zahlung eines Restkaufpreises Zeugenbeweis über die Behauptung des Beklagten erhoben, der verkaufte Gebrauchtwagen habe tatsächlich eine höhere Kilometer-Laufleistung gehabt als in dem Kaufvertrag zugesichert. Der Kläger hatte dies zunächst bestritten, in einem drei Tage vor dem Verhandlungs- und Beweisaufnahmetermin beim Gericht eingegangenen Schriftsatz jedoch zugestanden. Dieser Schriftsatz gelangte erst nach dem Verhandlungs- und Beweisaufnahmetermin zu den Gerichtsakten. Im Termin zur mündlichen Verhandlung waren die Prozessbevollmächtigten der Parteien und der geladene Zeuge erschienen. Nachdem der Klägervertreter dem Richter eine Abschrift des vorgenannten Schriftsatzes gezeigt hatte, hat dieser den erschienenen Zeugen ohne Vernehmung wieder entlassen. Am Schluss der Sitzung hat das LG die Klage auf Kosten des Klägers abgewiesen.

Die Anweisungsstelle des Gerichts hat dem Zeugen die von ihm gem. § 19 JVEG geltend gemachte Entschädigung (Fahrtkostenersatz 10,00 EUR, Entschädigung für Verdienstausfall 75,00 EUR) ausgezahlt. Der Kostenbeamte hat diese Entschädigung nach Nr. 9005 GKG-KostVerz. in den Gerichtskostenansatz eingestellt und von dem Kläger eingefordert. Dem Zeugen wäre kein Entschädigungsanspruch entstanden, wenn er einen Tag vor dem Beweisaufnahmetermin abgeladen worden wäre.

Der Kläger fragt seinen Prozessbevollmächtigten, was er unternehmen kann, um sich gegen die Einforderung der Zeugenentschädigung zu wenden. Was wird der Rechtsanwalt seinem Mandanten raten?

II. Lösungen

1. Lösung zu Fall 1

Der Rechtspfleger hat zu prüfen, ob die von dem Antragsteller A, der Ehefrau F und den Kindern K1 und K2 geltend gemachten Anwaltskosten als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Gem. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO sind zwar die Anwaltskosten der obsiegenden Partei kraft Gesetzes erstattungsfähig, sodass grds. eine Prüfung, ob deren Aufwand zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war, nicht vorzunehmen ist. Jedoch kommt in Ausnahmefällen eine solche Notwendigkeitsprüfung in Betracht. Ein solcher Fall kann dann vorliegen, wenn die Geltendmachung der Anwaltskosten rechtsmissbräuchlich ist. Dies ist gegeben, wenn der (jeweilige Antragsteller) die Festsetzung von Mehrkosten beantragt, die darauf beruhen, dass mehrere von demselben Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten vertretene Antragsteller in engem zeitlichen Zusammenhang mit weitgehend gleichlautenden Antragsbegründungen aus einem weitgehend identischen Lebenssachverhalt in getrennten Prozessen gegen denselben Antragsgegner vorgegangen sind, ohne dass ein sachlicher Grund hierfür gegeben ist.[1]

Ein solcher Fall hat hier vorgelegen. Der Antragsteller A, dessen Ehefrau F und die Kinder K1 und K2 haben zum selben Zeitpunkt durch denselben Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt S vier verschiedene Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eingereicht, die gegen dieselbe Antragsgegnerin gerichtet waren und deren Grundlage auf demselben Lebenssachverhalt (nämlich auf derselben Wortberichterstattung) beruhte. Auch die Begründung der jeweiligen Anträge war weitgehend gleichlautend. Einen sachlichen Grund für dieses getrennte Vorgehen haben die jeweiligen Antragsteller nicht dargetan, es ist auch kein Grund für dieses Vorgehen ersichtlich.

Deshalb können die Antragsteller A, F sowie K1 und K2 nur diejenigen Kosten erstattet verlangen, die entst...

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