§ 48 RVG; § 143a StPO

Leitsatz

  1. Der Wechsel des Pflichtverteidigers ist seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 10.12.2018 (BGBl I, 2128) gesetzlich in § 143a StPO geregelt. Der einverständliche Pflichtverteidigerwechsels wurde durch das genannte Gesetz zwar nicht explizit geregelt, soll aber nach den von der Rechtsprechung entwickelten Maßgaben weiterhin möglich sein. Danach ist dem Wunsch des Beschuldigten auf Wechsel des Pflichtverteidigers nachzukommen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist und durch die Bestellung des neuen Verteidigers weder eine Verfahrensverzögerung noch Mehrkosten für die Staatskasse verursacht werden.
  2. Dazu ist der neue Pflichtverteidiger anzuhören.

LG Braunschweig, Beschl. v. 22.12.2022 – 4 Qs 371/22

I. Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Mit Verfügung vom 19.8.2022 übersandte die Staatsanwaltschaft die Akte an das AG mit dem Antrag, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger beizuordnen. Mit Schreiben vom 31.8.2022 legitimierte sich Rechtsanwalt R 1 für den Beschuldigten und beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Mit Beschluss des AG vom 1.9.2022 wurde Rechtsanwalt R 1 als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Mit Schriftsatz vom 1.11.2022 teilte Rechtsanwalt R 1 dem AG mit, dass seinerseits eine Interessenkollision bestehe. Er beantragte daher, ihn zu entpflichten und Rechtsanwalt R 2 als Pflichtverteidiger beizuordnen. Der Beschuldigte sei mit der Umbeiordnung einverstanden. Die Staatsanwaltschaft hat dagegen keine Einwände erhoben. Seitens der Staatsanwaltschaft wurden keine Bedenken erhoben.

Mit Beschl. des AG v. 7.11.2022 wurde der Beschluss "vom 1.9.2022 dahingehend geändert, dass dem Beschuldigten unter gleichzeitiger Entpflichtung von Rechtsanwalt R 1 Rechtsanwalt R 2 als notwendiger Verteidiger beigeordnet wird mit der Maßgabe, dass der Landeskasse durch die Umbeiordnung keine Mehrkosten entstehen".

Gegen diesen Beschluss hat Rechtsanwalt R 2 ausschließlich bezüglich der Mehrkostenentscheidung sofortige Beschwerde eingelegt. Er begründete diese damit, dass es nicht hinnehmbar sei, dass er auf die entstehenden Mehrkosten verzichten solle, zumal der Umstand der Interessenkollision von keiner Seite zu verantworten sei. Zudem habe er auch keinen Mehrkostenverzicht erklärt und sei insoweit nicht angehört worden. Die sofortige Beschwerde hatte beim LG Erfolg.

II. Kostenneutrale Umbeiordnung zulässig

Nach Auffassung des LG findet die angegriffene gerichtliche Bestimmung, dass für den Rechtsanwalt R 2 ein Anspruch auf die bereits entstandenen Verteidigerkosten nicht bestehe, keine Stütze im Gesetz und sei daher aufzuheben. Der Wechsel des Pflichtverteidigers sei nunmehr seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 10.12.2019 (BGBl I, 2128) gesetzlich in § 143a StPO geregelt. Der vorliegende Fall des einverständlichen Pflichtverteidigerwechsels sei durch das genannte Gesetz zwar nicht explizit geregelt worden, solle aber nach den von der Rspr. entwickelten Maßgaben weiterhin möglich sein (vgl. BT-Drucks 19/13829, 47).

Nach diesen Maßgaben sei dem Wunsch des Beschuldigten auf Wechsel des Pflichtverteidigers nachzukommen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist und durch die Bestellung des neuen Verteidigers weder eine Verfahrensverzögerung noch Mehrkosten für die Staatskasse verursacht werden (vgl. KG NStZ 2017, 305; 1993, 201; OLG Braunschweig, Beschl. v. 30.7.2015 – 1 Ws 152/15; OLG Karlsruhe NStZ 2016, 305; OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.10.2017 – 2 Ws 277/17, Justiz 2018, 555; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 10.10.2016 – 1 Ws 113/16, StraFo 2016, 514 = RVGreport 2017, 80). Der Begriff der Mehrkosten erfasse nur solche Gebührenpositionen, die durch eine neue Bestellung doppelt entstehen würden (Grund- und Verfahrensgebühr), nicht dagegen Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder (vgl. OLG Celle AGS 2019, 333 = RVGreport 2019, 254 = StraFo 2019, 263 = RVGprofessionell 2019, 95 = Rpfleger 2019, 424). Die erforderliche Kostenneutralität sei gewahrt, wenn der neue Verteidiger auf die bisher für die Pflichtverteidigung angefallenen Gebühren (Grund- und Verfahrensgebühr) verzichte (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 37. Ed., 1.7.2020, § 143a Rn 33 ff. m.w.N.).

III. Verzicht des neuen Pflichtverteidigers fehlt

Diesen Voraussetzungen werde die angefochtene Entscheidung nicht gerecht, sodass sie keinen Bestand haben könne. Einen Verzicht auf die bereits Rechtsanwalt R 1 entstandenen Gebühren habe Rechtsanwalt R 2 nicht erklärt. Er sei diesbezüglich auch nicht durch das Amtsgericht angehört worden. Eine gerichtliche Kompetenz, die Gebühren des neuen Pflichtverteidigers nach Pflichtverteidigerwechsel zu begrenzen, bestehe nicht. Vorliegend wäre das AG gehalten gewesen, vor der Entscheidung über den Pflichtverteidigerwechsel eine Stellungnahme von Rechtsanwalt R2 im Hinblick auf die Kostenneutralität des Pflichtverteidigerwechsels einzuholen. Dass dies nicht erfolgt sei, könne nicht zu Lasten des Rechtsanwalts R 2 gehen.

IV. Bedeutung für die Praxis

1. Es bleibt auch nach dieser...

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