Beispiel 1

Gegen den Beschuldigten ist ein Sicherungsverfahren anhängig. In diesem bestellte der Vorsitzende der Strafkammer den Rechtsanwalt am 24.9.2022 zum Pflichtverteidiger. Der Rechtsanwalt nimmt am 6.10.2022 Akteneinsicht. Nachdem der Beschuldigte aufgrund eines Unterbringungsbefehls der Strafkammer vom 31.10.2022 am 28.11.2022 festgenommen und anschließend im Maßregelvollzug einstweilig untergebracht worden war, suchte ihn der Rechtsanwalt dort erstmals am 13.12.2022 auf, um ein erstes Informationsgespräch mit dem Beschuldigten zu führen.[34]

Die Grundgebühr Nr. 4100 VV ist mit Haftzuschlag entstanden, auch wenn der Beschuldigte sich bei Übernahme des Mandats (noch) nicht in Haft befunden hat.[35]

 

Beispiel 2

Der Angeklagte wird vom AG in Abwesenheit (§ 231 Abs. 2 StPO) verurteilt. Außerdem wird Untersuchungshaft angeordnet. Zwei Tage nach der Hauptverhandlung wird der Angeklagte verhaftet. Rechtsanwalt R, der ihn verteidigt hat, hat noch kein Rechtsmittel eingelegt.

Rechtsanwalt R erhält die gerichtliche Verfahrensgebühr für die I. Instanz aus dem erhöhten Betragsrahmen nach Nr. 4107 VV, da es sich auch nach Urteilsverkündung noch um "den ersten Rechtszug vor dem AG" handelt. Die gerichtliche Verfahrensgebühr entsteht i.Ü. auch dann mit Zuschlag nach Nr. 4107 VV, wenn der Angeklagte ggf. erst am Schluss der Hauptverhandlung in Haft genommen wird.[36] Er ist dann (noch) im Verfahrensabschnitt "gerichtliches Verfahren"[37] "nicht auf freiem Fuß" gewesen.

 

Beispiel 3

Gegen den Angeklagten wird ein Strafverfahren durchgeführt. Zur ersten terminierten Hauptverhandlung erscheint der Angeklagte nicht. Das AG erlässt daher Vorführungshaftbefehl nach § 230 StPO. Es wird ein neuer Termin angesetzt. Zu diesem wird der Angeklagte vorgeführt.

Rechtsanwalt R erhält die gerichtliche Verfahrensgebühr aus dem erhöhten Betragsrahmen nach Nr. 4107 VV. Er hat sich während der Zeit, in der ihn die Vorführungsbeamten in Gewahrsam hatten, "nicht auf freiem Fuß" befunden. Auf die Länge des Zeitraums und darauf, ob Erschwernisse entstanden sind, kommt es nicht an.

 

Beispiel 4

Das AG hat die Hauptverhandlung auf drei Tage terminiert. Der Angeklagte befindet sich in Untersuchungshaft. Nach dem ersten Hauptverhandlungstag wird der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Rechtsanwalt R hat an allen drei Hauptverhandlungsterminen teilgenommen.

Rechtsanwalt R stehen drei Terminsgebühren zu. Die erhöhte Gebühr nach Nr. 4109 VV erhält er aber nur für den ersten Hauptverhandlungstag. Für die beiden weiteren Termine hat er jeweils nur die Terminsgebühr nach Nr. 4108 VV verdient.

 

Beispiel 5

Gegen den Angeklagten A wird ein Strafverfahren durchgeführt. Zur ersten terminierten Hauptverhandlung erscheint er nicht. Das AG erlässt daher Vorführungshaftbefehl nach § 230 StPO, es wird neuer Termin angesetzt. Zu diesem wird der Angeklagte vorgeführt. Die Hauptverhandlung wird aufgerufen. Danach werden die Vorführungsbeamten entlassen.

Der Verteidiger des A erhält die Terminsgebühr aus dem erhöhten Betragsrahmen nach Nr. 4109 VV. Der A hat sich während der gesamten Zeit, in der ihn die Vorführungsbeamten in Gewahrsam hatten, "nicht auf freiem Fuß" befunden. Dieser Zeitraum hat über den "Aufruf der Sache" hinaus angedauert.

 

Beispiel 6

Gegen den Angeklagten ist ein umfangreiches Verfahren wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz anhängig. A ist (zunächst) auf freiem Fuß. Es findet dann beim LG an zwei Tagen die Hauptverhandlung statt. Am Ende des zweiten Hauptverhandlungstages beantragt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer eine fünfjährige Freiheitsstrafe und beantragt den Erlass eines Haftbefehls. Der Verteidiger plädiert auf Freispruch. Das Gericht berät und beschließt, das Urteil erst am nächsten Tag zu verkünden. Es erlässt Haftbefehl gegen den Angeklagten. Der wird noch im Sitzungssaal festgenommen. Am nächsten Tag wird in einem dritten Hauptverhandlungstermin das Urteil gegen den Angeklagten verkündet. Welche Gebühren sind mit Zuschlag entstanden?

Für das Entstehen des Haftzuschlags gilt:

 

Grundgebühr

Nr. 4100 VV
ohne Zuschlag, da sich der Angeklagte in dem Verfahrensabschnitt nicht in Haft befunden hat

Verfahrensgebühr

vorbereitendes Verfahren

Nr. 4104 VV
ohne Zuschlag, da sich der Angeklagte in dem Verfahrensabschnitt nicht in Haft befunden hat

Verfahrensgebühr

gerichtliches Verfahren

Nr. 4112 VV
mit Zuschlag, da der Angeklagte noch während des gerichtlichen Verfahrens in Haft genommen worden ist

Terminsgebühr

1. Hauptverhandlungstermin

Nr. 4114 VV
ohne Zuschlag, da sich der Angeklagte während dieses Termins nicht in Haft befunden hat

Terminsgebühr

2. Hauptverhandlungstermin

Nr. 4114 VV oder Nr. 4115 VV
ggf. mit Zuschlag; es kommt darauf an, ob der Angeklagte noch vor der Schließung der Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden in Haft genommen worden ist

Terminsgebühr

3. Hauptverhandlungstermin

Nr. 4115 VV
mit Zuschlag, da sich der Angeklagte während dieses Termins in Haft befunden hat

Autor: Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

AGS 4/2023, S. 147 - 152

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