Anträge auf Gewährung einer Reiseentschädigung an mittellose Personen werden in der Praxis gar nicht einmal so selten gestellt. Gleichwohl sind sich sowohl die Gerichte als auch die Rechtsanwälte nicht immer sicher, welche Rechtsgrundlagen hierfür bestehen. Dieses Problem und die praktischen Auswirkungen der Gewährung einer Reiseentschädigung sollen nachfolgend erörtert werden (vgl. auch den Aufsatz von Hagen Schneider, AGS 2020, 497).

1. Gesetzliche Grundlagen für die Bewilligung

Die Probleme fangen schon damit an, dass Uneinigkeit darüber besteht, aufgrund welcher Rechtsgrundlage Reiseentschädigungen aus der Staatskasse bewilligt werden können.

Nach einer Auffassung können Reisentschädigungen an mittellose Personen aufgrund der bundeseinheitlichen Fassung der von sämtlichen Landesjustizverwaltungen erlassenen "Allgemeinen Verfügung über die Gewährung von Reiseentschädigungen an mittellose Personen und Vorschusszahlungen für Reiseentschädigungen an Zeuginnen, Zeugen, Sachverständige, Dolmetscherinnen, Dolmetscher, Übersetzerinnen und Übersetzer, ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtliche Richter und Dritte" vom 2.6.2006, zuletzt geändert am 20.1.2014, "VwV-Reiseentschädigung" genannt, gewährt. Die VwV- Reiseentschädigung ist etwa veröffentlicht im Amtsblatt für Berlin v. 16.6.2006, S. 2063 und im Bundesanzeiger AT 29.1.2014 B1. Allerdings handelt es sich um Landesrecht, sodass fraglich ist, ob die Regelungen auch für Bundesgerichte gelten, was der BGH (AGS 2020, 282 = RVGreport 2020, 159 [Hansens]) nicht problematisiert hat. Der BGH, a.a.O. hat ohne Hinweis auf die VwV-Reiseentschädigung die §§ 114 ff. ZPO entsprechend herangezogen. Das BVerwG (RVGreport 2017, 235 [Hansens] = JurBüro 2017, 259) hat – wie hier der VGH Baden-Württemberg – ebenfalls die VwV-Reiseentschädigung nicht herangezogen und für seine Entscheidung § 166 VwGO i.V.m. § 122 Abs. 1 ZPO entsprechend angewandt.

2. Die Gewährung von Reiseentschädigung

Nach 1 VwV-Reiseentschädigung können mittellosen Parteien oder anderen Beteiligten auf Antrag Mittel für die Reise zum Ort einer Verhandlung, Vernehmung oder Untersuchung und für die Rückreise gewährt werden. Hierauf soll in der Ladung oder in anderer geeigneter Weise hingewiesen werden, was in der Praxis nicht selten unterlassen wird. Als mittellos sind Personen anzusehen, die nicht in der Lage sind, die Kosten der Reise aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Die Vorschriften über die Bewilligung von PKH und VKH bleiben unberührt. Dies hat zur Folge, dass auch diejenigen mittelosen Personen Anspruch auf Reiseentschädigung aus der Staatskasse haben, die nicht PKH/VKH beantragt haben oder deren entsprechender Antrag zurückgewiesen worden ist (s. auch BGH BGHZ 64, 139 = NJW 1975, 1124, die an sich durch Inkrafttreten der VwV-Reiseentschädigung überholt ist). Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn einem bedürftigen Kläger PKH wegen fehlender Erfolgsaussichten (§ 114 Abs. 1 ZPO) versagt worden ist, das Prozessgericht aber gleichwohl sein persönliches Erscheinen angeordnet hat. Auch in diesem Fall kann folglich dem bedürftigen Kläger auf seinen Antrag hin die Reiseentschädigung aus der Staatskasse gezahlt werden. So ist auch der VGH Baden-Württemberg hier vorgegangen.

Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit einer bedürftigen Partei eine Reiseentschädigung bewilligt werden kann, bestimmt die VwV-Reiseentschädigung nicht. Nach Auffassung des BGH RVGreport 2017, 235 (Hansens) und des BVerwG AGS 2020, 282 = RVGreport 2020, 159 (Hansens) muss die Teilnahme an dem Termin notwendig sein. Knüpft der Anspruch auf Reiseentschädigung an die bewilligte PKH/VKH an, sind auch die Vorschriften der §§ 114 ff. ZPO einschließlich der Nachzahlungspflicht (§ 125 ZPO) und des Beschwerderechts (§ 127 ZPO) anzuwenden. Danach ist die zu prüfende Notwendigkeit der Reise immer dann anzunehmen, wenn die Partei zu dem Termin persönlich geladen ist. Wenn dies nicht der Fall ist, hat das Gericht zu prüfen, ob die Partei einen Anspruch aus der Staatskasse deshalb hat, weil ihr die aus eigenen Mitteln nicht zu bestreitende Terminsanreise nach den Grundsätzen eines fairen Verfahrens billiger Weise ermöglicht werden müsste (so auch der BGH, a.a.O. und das BVerwG, a.a.O.). Hierbei können der allgemeine Grundsatz auf Gewährung rechtlichen Gehörs oder das Fragerecht der Partei in der Beweisaufnahme eine Rolle spielen, was auch der VGH Baden-Württemberg angesprochen hat. Dies muss dann auch gelten, wenn der betreffenden mittellosen Partei keine PKH/VKH bewilligt worden ist, die Terminsreise jedoch – etwa wegen der Anordnung des persönlichen Erscheinens – gleichwohl erforderlich ist.

3. Bemessung der Reiseentschädigung

Die Reiseentschädigung soll nach 1.1.2. VwV-Reiseentschädigung so bemessen sein, dass sie die notwendigen Kosten der Hin- und Rückreise deckt. Zu diesen Reisekosten gehören entsprechend den Vorschriften des JVEG neben den eigentlichen Fahrtkosten ggfs. auch unvermeidbare Tagegelder (s. § 6 Abs. 1 JVEG) und Übernachtungs...

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