Das KG hat die vom Rechtsanwalt in der Phase der Einarbeitung in das Verfahren erbrachte Beistandsleistung als besonders umfangreich und auch in der Gesamtschau mit den Pflichtverteidigergebühren als nicht mehr zumutbar vergütet i.S.d. § 51 RVG angesehen. Dabei geht das LG von folgenden Kriterien aus:

1. Besonderer Umfang

Besonders umfangreich sei ein Strafverfahren, wenn der von dem Verteidiger erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liege, den er in einer "normalen" vergleichbaren Sache zu erbringen hat (vgl. u.a. KG, Beschl. v. 21.10.2011 – 1 ARs 8/11; OLG Saarbrücken RVGreport 2011, 58). Als Vergleichsmaßstab dienen dabei – so das KG – gleichartige Verfahren, hier also solche, die vor einer Schwurgerichtskammer bei dem LG verhandelt werden. Der besondere Umfang bemesse sich aufgrund der objektiven Gesamtumstände nach dem zeitlichen Aufwand der jeweiligen Tätigkeit des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts. Dabei seien die Dauer und die Anzahl der einzelnen Verhandlungstage, die Terminsfolge, die Gesamtdauer der Hauptverhandlung, der Umfang und die Komplexität des Verfahrensstoffs sowie das Ausmaß der von dem Rechtsanwalt wahrgenommenen weiteren Tätigkeiten, wie etwa die Durchführung von Mandantenbesprechungen, die Teilnahme an Haftprüfungen, polizeilichen Vernehmungen und Anhörungen von Sachverständigen, das Führen einer umfangreichen Korrespondenz sowie die Wahrnehmung von sonstigen Gesprächsterminen von Bedeutung (vgl. KG, a.a.O., m.w.N.). Allerdings könne eine Vielzahl von jeweils einzeln vergüteten Hauptverhandlungsterminen das gesteigerte Ausmaß eines anderen für die Bemessung einer Pauschvergütung relevanten Merkmals kompensieren (vgl. BVerfG NJW 2005, 1264; KG, Beschl. v. 15.10.2009 – 1 ARs 18/07; OLG Frankfurt am Main NJW 2006, 457; OLG Köln StraFo 2006, 130).

2. Besondere Schwierigkeit

Eine "besondere Schwierigkeit" der Sache ist nach Auffassung des KG dann gegeben, wenn das Verfahren aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen über das Normalmaß hinaus in besonderem Ausmaß verwickelt ist.

3. Unzumutbarkeit

Unzumutbar ist nach Auffassung des KG die sonst maßgebliche Gebühr, wenn sie augenfällig unzureichend und unbillig sei. Diese Situation trete keineswegs schon bei jeder Strafsache ein, deren Umfang oder Schwierigkeit das Normale übersteigt (KG, Beschl. v. 2.6.2016 – 1 ARs 23/15). Dabei sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG von dem zusätzlichen Merkmal der Unzumutbarkeit, welches den Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 RVG zugleich einschränken und den Ausnahmecharakter dieser Regelung zum Ausdruck bringen soll (vgl. BT-Drucks 15/1971, 291), abhängig zu machen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.3.2007 – 2 BvR 51/07, RVGreport 2007, 263 = AGS 2007, 504).

Nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers sei die Bewilligung einer Pauschgebühr die Ausnahme. Daher sei ein strenger Maßstab anzulegen. Die anwaltliche Mühewaltung müsse sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben. Sie müsse sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen – Verfahren so deutlich abheben, dass dem Rechtsanwalt die gesetzlichen Gebühren als Vergütung seiner Tätigkeit auch in Anbetracht des geltenden Prinzips der Mischkalkulation nicht zumutbar seien. Dass die gesetzlichen Gebühren nicht angemessen sind, genüge nicht (so Stollenwerk, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl., 2021, § 51 Rn 23 m.w.N.).

Ob solche Erschwernisse vorgelegen haben, die zu einer unzumutbaren Belastung des beigeordneten oder bestellten Verteidigers geführt haben, richtet sich nach den weiteren Ausführungen des KG grds. nach dem Umfang der Tätigkeit im gesamten Verfahren. Daher sei eine Gesamtschau aller anwaltlichen Tätigkeiten von der Bevollmächtigung bzw. Bestellung bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss vorzunehmen, um zu klären, ob die Tätigkeit des Antragstellers mit den gezahlten Gebühren unzumutbar niedrig vergütet sei und ihm damit ein Sonderopfer abverlangt werde (KG, Beschl. v. 15.10.2009 – 1 ARs 18/07). Ob dem beigeordneten Rechtsanwalt ein unzumutbares Sonderopfer abverlangt worden sei, hänge damit insbesondere davon ab, ob er durch seine Pflichtverteidigerbestellung so belastet gewesen sei, dass dies seine Existenz gefährdete oder zumindest erhebliche negative finanzielle Auswirkungen auf seinen Kanzleibetrieb hatte, weil er in der Möglichkeit der Wahrnehmung anderer Mandate erheblich eingeschränkt gewesen sei (vgl. VerfGH Berlin, Beschl. v. 22.4.2020 – VerfGH 177/19, StRR 6/2020, 14).

4. Bemessungsmaßstab

Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist nach Auffassung des KG hinsichtlich der Höhe der zu gewährenden Pauschgebühr der Grundsatz zu beachten, dass die Pauschgebühr durch die Wahlanwaltshöchstgebühren begrenzt ist und diesen nur im Ausnahmefall nahe kommen oder sie sogar erreichen kann. Die danach bedeutsamen Wahlanwaltshöchstgebühren haben hier 35.620,00 EUR; betragen, die Mittelgebühren...

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